Im Bürgerhaus in Miehlen im Rhein-Lahn-Kreis sind etwa achtzig Menschen versammelt. Sie stehen vor Informationsständen des Hospizvereins, des Demenz-Netzwerks oder des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und lassen sich beraten, nehmen Flyer mit und erzählen von ihren Sorgen. "Ich habe eine Schwester, die Parkinson und eine psychische Störung hat", sagt eine Frau.

Sie wohne aber sechzig Kilometer entfernt. Sie sei hier, weil sie darauf hoffe, Informationen zu bekommen, wie sie ihrer Schwester am besten helfen könne. Und auch ein Mann in den 50ern steht da. Sein Vater sei dement und er sei der erste Ansprechpartner. Auch er hofft auf Austausch, Informationen zu Pflegegraden und Bürokratie. Aber auch auf emotionale Unterstützung.
Fünf von sechs Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt
Rund 200.000 Menschen werden laut der Westerwälder Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (WeKISS) in Rheinland-Pfalz zuhause gepflegt. Besonders wichtig für diejenigen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen, sei nicht bloß die Unterstützung bei Formalitäten wie Pflegeanträgen, sagt Sylvia Wawrzinski-Schmidt, sondern auch die Selbstfürsorge. Bei WeKISS hilft sie pflegenden Angehörigen, Selbsthilfegruppen zu gründen.
Zusammen mit dem DRK und den Gemeindeschwestern Plus der Verbandsgemeinde Nastätten hat Wawrzinski-Schmidt die Infoveranstaltung in Miehlen organisiert. "Normalerweise stehen immer die Personen im Vordergrund, die gepflegt werden müssen", sagt sie. Die Pflegenden würden häufig hinten runter fallen. Deshalb sei es wichtig, auf Gleichgesinnte zu treffen, die wüssten, was man durchmache. Mit ihnen könne man lachen, weinen, und auch fluchen, wenn alles zuviel werde.
Selbsthilfegruppen unterstützen auf Augenhöhe
Wie sehr solche Gruppen helfen können, zeigen die Erfahrungen von anderen, die sich schon in Selbsthilfegruppen organisiert haben. So erzählt Ulla Laux, dass ihr Mann an einer früh einsetzenden und schnell fortschreitenden Demenz erkrankt sei. Mit gerade einmal 54 Jahren habe er nicht mehr zu Hause leben können. Mittlerweile erkenne er weder seine Frau noch seine drei Kinder. Ulla Laux hat darum die Selbsthilfegruppe "Vergiss mein nicht…" in Lahnstein gegründet.
Es wird leichter, wenn er in seiner eigenen Welt lebt.
Sie sagt, dort begegne sie Anderen, die Ähnliches durchmachten. Das schaffe Nähe und Verständnis. Anfangs konnte sie es nicht verstehen, wenn andere Leute sagten: "Es wird leichter, wenn er in seiner eigenen Welt lebt." Heute wisse sie, was damit gemeint sei. Der Nebel im Kopf ihres Mannes habe inzwischen den gesamten Geist verschlungen. Es sei ein Prozess, den man durchlaufe - gemeinsam mit der Familie, mit dem Partner. Die Selbsthilfegruppe unterstützt dabei auf Augenhöhe.

Der Partner vergisst - die Gruppe gibt Halt
Ähnlich ist es bei Annelie Wintergerst aus Miellen. Die 69-Jährige pflegt seit drei Jahren ihren Ehemann, der an Alzheimer erkrankt ist. Mittlerweile hat er den Pflegegrad vier. Er kenne kaum noch Namen und beschreibe Menschen nur noch vage. "Das ist nicht mehr die Persönlichkeit, die mich 51 Jahre begleitet hat." Der Kontakt zu ihrer Selbsthilfegruppe in Bad Ems habe sie gelehrt, dass es nicht nur um den zu Pflegenden gehe - man müsse auch auf sich selbst aufpassen.
"Da kann man Dinge sagen, die man mit den eigenen Kindern lieber nicht bespricht."
Wenn sie selbst nicht mehr könne, sei niemandem geholfen. Dass sie das offen sagen könne, liege an ihrem Umfeld, an Familie und Freunden. Aber natürlich auch an der Selbsthilfegruppe: "Da kann man Dinge sagen, die man mit den eigenen Kindern lieber nicht bespricht." Dort finde sie aber nicht nur emotionale Unterstützung, sagt Annelie Wintergerst. Die Gruppe helfe auch bei der Bürokratie, gebe Informationen zu Pflegegraden und Tipps bei Problemen mit Behörden, die ihr im Alltag helfen.
Angehörige übernehmen Arztbesuche, Einkäufe, Papierkram
Christine Wäschenbach pflegt ihre Eltern zuhause. Sie sagt, es sei okay, in der Gruppe zu weinen: "Wenn ich sage: Ich kann gerade nicht mehr – dann weiß ich, dass mir niemand Vorwürfe macht. Weil alle das kennen." Wäschenbachs Vater ist 84 Jahre alt. Seit einem halben Jahr fährt er kein Auto mehr. "Seitdem ist vieles an mir hängen geblieben." Arztbesuche, Einkäufe, Papierkram. Christine Wäschenbach teilt sich die Pflege mit ihren Geschwistern.
Wenn ich sage: Ich kann gerade nicht mehr – dann weiß ich, dass mir niemand Vorwürfe macht. Weil alle das kennen.
Gemeinsam beobachten sie die Situation ihrer Eltern genau. Eventuell steht irgendwann der Umzug in ein Seniorenheim an. Und da bietet ihre Selbsthilfegruppe ganz praktische Hilfe: Welche Tagespflege ist empfehlenswert? Was muss man beim Besuch des medizinischen Dienstes beachten? Wie lässt sich Verhinderungspflege organisieren? "Man bekommt nicht nur Adressen oder Anträge", sagt Christine Wäschenbach, "sondern echte Erfahrungswerte. Und das ist Gold wert."
Neue Selbsthilfegruppe in der Verbandsgemeinde Nastätten
Damit auch Menschen aus Miehlen und Umgebung diese Erfahrungen mitnehmen können, gibt es jetzt eine weitere Selbsthilfegruppe im Rhein-Lahn-Kreis. Sie trifft sich erstmals am 13. Juni im Georg-Brandt-Haus in Nastätten. Ab 15 Uhr haben pflegende Angehörige dort die Möglichkeit, sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen.