In einem offenen Brief an Bund und Land hatten am Dienstag mehrere Bürgermeister aus dem Ahrtal eindringlich um mehr Hilfe bei der Bewältigung der Flutkatastrophe gebeten. Sie machten darin deutlich, dass die "bisherigen Hilfen und deren Organisation nicht ansatzweise ausreichen".
Am Mittwoch bekräftigten die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos), und ihre Amtskollegen aus der Verbandsgemeinde Adenau und den Städten Sinzig und Bad Neuenahr-Ahrweiler ihre Forderung vor Ort noch einmal.

Sonderbeauftragter für den Wiederaufbau im Ahrtal gefordert
Bei ihrem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) handele es sich um einen Hilferuf. Die Menschen im Ahrtal bräuchten jetzt eine Perspektive, denn ihnen gehe nach drei Wochen die Kraft aus. Deshalb müsse der Wiederaufbau koordiniert werden. Geschehe das nicht, befürchten die Bürgermeister "eine Entvölkerung des Ahrtales".
Eine ihrer Forderungen ist deshalb die Einsetzung eines Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau des Ahrtals. Dieser müsse mit "sehr weitgehenden Kompetenzen" ausgestattet sein. Der Sonderbeauftragte müsse einen Plan für den Wiederaufbau entwickeln und dessen Umsetzung leiten.
Bürgermeister im Ahrtal fürchten, dass viele Menschen wegziehen
Politiker, die diesen ablehnten, sollten sich die Lage im Tal anschauen, dann würden sie vielleicht umdenken, so Altenahrs Verbandsbürgermeisterin Cornelia Weigand. Jetzt sei nicht die Zeit, auf Zuständigkeiten und Bürokratie zu schauen. Auch der Bürgermeister von Bad-Neuenahr Ahrweiler, Guido Orthen (CDU), sagte bei der Pressekonferenz am Mittwoch, das Ahrtal befände sich in einem übergesetzlichen Notstand.
Staatskanzlei: Bund und Land haben schnell reagiert
Nach Angaben des Chefs der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei, Fabian Kirsch, haben Bundesregierung und Landesregierung schnell auf den offenen Brief vom Dienstag reagiert. Viele der Forderungen seien bereits umgesetzt oder auf dem Wege der Umsetzung. Der Bund habe Hilfen zugesagt, das Land Soforthilfen beschlossen und ein Spendenkonto eingerichtet, erste Auszahlungen liefen.
Die Landesregierung stimme sich ständig mit den Verantwortlichen in den betroffenen Regionen ab - und gehe - wo immer dies möglich sei - auf deren Wünsche und Bedürfnisse ein. Im rheinland-pfälzischen Innenministerium solle ein eigener Stab den Wiederaufbau koordinieren und Verzögerungen vermeiden. Am kommenden Dienstag werde die Ministerpräsidentenkonferenz über einen Nationalen Wiederaufbaufonds beraten, um den Wiederaufbau finanziell abzusichern.
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Scholz gegen einen Sonderbeauftragten
Auch die Bundesregierung reagierte am Mittwoch auf den offenen Brief. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) wandte sich gegen die Berufung eines Sonderbeauftragten. "Das wäre bürokratische Tätigkeitsvermehrung und würde die Sache eher komplizierter machen", sagte er im WDR. "Ich bin überzeugt, die Länder müssen diese Sache in die Hand nehmen und sich dabei auf die Unterstützung des Bundes verlassen können", so Scholz. "Wir sorgen dafür, dass das Geld bereitsteht."
Bürgermeisterin Weigand zeigte sich nach Scholz' Absage enttäuscht: "Ohne eine übergreifende Koordination wird es meines Erachtens nicht funktionieren", sagte sie am Mittwoch. "Das Ergebnis ist, dass die Menschen hier mit ihrem Leid allein gelassen werden und die Region im Zweifelsfall nicht überleben wird. Insofern meine ganz herzliche Bitte und mein Appell, in Ruhe diese Lage zu beurteilen."
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Für die Hochwasser-Betroffenen wird es einfacher, an frisches Trinkwasser zu kommen. Wir sagen Ihnen, in welchen Orten in den Verbandsgemeinden Adenau und Altenahr Wasser nicht mehr abgekocht werden muss.
Weiteres Thema in dem offenen Brief: Ein besonderes Augenmerk solle beim Wiederaufbau auf der Strom-, Wasser- und Gasversorgung liegen. Bislang bestünden vielerorts nur provisorische Lösungen - hier müsse es schnell eine Zusage geben, wann die Versorgung wieder geregelt ist. "Wird man im Herbst heizen können?", sei eine der entscheidenden Fragen. Wenn nicht, würden weitere erhebliche Schäden an den noch existierenden Gebäuden drohen, schreiben die Vertreter der Kommunen.
Sorge, dass das Ahrtal unattraktiv wird
Die Bürgermeister befürchten einen dauerhaften Attraktivitätsverlust der Region. Brücken, Straßen und Schienen müssten schnellstmöglich wiederhergestellt werden, ebenso sei es notwendig, Schulen, Kitas und Krankenhäuser zu reaktivieren.
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Mit Blick auf zukünftige Hochwasser fordern die Unterzeichner des offenen Briefs: "Es braucht ein verlässliches, differenziertes Frühwarnsystem und einen geübten Katastrophenschutz." Auch müsse beim Wiederaufbau auf eine hochwassertaugliche Bauweise geachtet werden. Es brauche zudem neue Baugebiete, die höher liegen und einen besseren Schutz bieten.
Elementarversicherungen zu akzeptablen Konditionen
Eine weitere Forderung an Merkel und Dreyer ist, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, sich zu "akzeptablen Konditionen" zu versichern. Dies sei Voraussetzung dafür, damit der Wiederaufbau an der Ahr auch gewagt werde.
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Ebenso brauche es unkomplizierte Aufbauhilfe für Betriebe jeder Art - ob Firma, Weingut oder Gastronomie. Die Unterzeichner kritisieren, dass die angedachten steuerlichen Maßnahmen nicht ausreichten. Es müsse beispielsweise über die Aussetzung der Mehrwertsteuer für private und öffentliche Aufträge zum Wiederaufbau nachgedacht werden.
Programm zur Traumabewältigung gefordert
Für Privatleute bräuchte es ebenfalls zielgerichtete Hilfe. Teilweise müssten diese jetzt "Kredite für Weggeschwemmtes" bezahlen. Daher würde eine Kombination aus Transferleistungen, Förderkrediten und Steuererleichterungen Sinn machen. Für ältere Menschen müssten neue Wohnformen entwickelt werden. Zuletzt sei auch ein Programm zur Traumabewältigung von Nöten.
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Weigand beklagt politisches Vakuum
Weigand sagte am Dienstag dem SWR, das Land laufe auf die Bundestagswahl zu "und das heißt, dass wir jetzt darüber reden müssen, wie es weiter geht, weil danach wird es schwierig sein". Die Flutkatastrophe verschwinde ein bisschen vom Radar, beklagte Weigand. "Auch die Leute in den Dörfern sagen: Wir sind vergessen."
Was außerdem deutlich zu sehen sei: "Es gibt ein politisches Vakuum." Die Menschen bräuchten eine Perspektive. Denn wenn es ein politisches Vakuum gebe, werde das auch gefüllt. "Wir haben Querdenker schon da, wir haben Rechtsradikale da. Und das darf es nicht sein."
Kirsch: Landesregierung tut alles
Kirsch schreibt in seiner Antwort der Staatskanzlei: Der Opferbeauftragte der Landesregierung habe eine erste psychologische Betreuung organisiert – nicht nur für die Opfer der Flutkatastrophe, sondern auch für die zahlreichen Helfenden. Die Landesregierung tue alles, den betroffenen Regionen die bestmögliche Unterstützung zukommen zu lassen.