Vom Helden der Opposition zum Sklavenhalter des IS. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / ZUMAPRESS.com | Dabiq)

IS-Prozess in Koblenz

Vom Helden der Opposition zum Sklavenhalter des IS?

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Eric Beeres

Ibrahim O. war in Syrien ein angesehener Arzt der Opposition, der angeblich von Assads Schergen ermordet wurde. SWR-Recherchen zeigen nun: Tatsächlich tauchte der Mann in Deutschland unter und reiste dann zur Terrormiliz IS - wo er mutmaßlich zum Sklavenhalter wurde.

Die Todesmeldung war offiziell: Am 12. Dezember 2011 verurteilte das französische Außenministerium den Mord an dem syrischen Arzt Ibrahim O. Als "Mann des Friedens" und als führendes Mitglied der Organisation "Koordination der Ärzte von Damaskus" habe dieser sich "konstant" engagiert, um "Verletzte zu versorgen, ohne Diskriminierung". So steht es noch heute auf der Internetseite des Ministeriums.

"Doktor der Revolution"

Tatsächlich hatte Ibrahim O. während der Aufstände in Syrien eine gewisse Berühmtheit erlangt. Laut Medienberichten war er als "Doktor der Revolution" bekannt. Über den Mitbegründer der "Koordination der Ärzte von Damaskus" berichtete im Juni 2011 auch der amerikanische Nachrichtensender CNN. Ibrahim O. führte eine Reporterin in eine Art "Feldhospital" in einer Halle. Allein in der Woche zuvor habe er 40 Verwundete behandelt, erzählte der Arzt.

Ein halbes Jahr später, am 10. Dezember 2011, erklärte dann das "Lokale Koordinationskomitee Syriens" (LCC) - damals ein Dachverband von rund 70 Aktivisten-Gruppen - den Tod des Arztes. Ibrahim H., auch bekannt unter dem Namen Khaled Al-Hakim, sei im Alter von 26 Jahren an der Grenze zur Türkei durch Schüsse von Kräften des syrischen Luftwaffengeheimdienstes gestorben. Veröffentlicht wurde ein 51-sekündiges Video, das den am Boden liegenden toten Körper des Arztes zeigen soll. Zu seinem Gedenken wurde eine eigene Facebook-Seite eingerichtet. CNN berichtete über den Tod des Arztes. Und die "ZEIT" schrieb: "Sein Engagement bezahlte er mit dem Leben."

Der Fall Nadine K.

Gut elf Jahre später, ab Januar 2023, wird in einem Saal des Oberlandesgerichts Koblenz der Fall der deutschen IS-Rückkehrerin Nadine K. verhandelt. Ihr werden unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Völkermord vorgeworfen. Sie und ihr Ehemann waren 2014 über die Türkei zur Terrormiliz IS gereist. Sie bezogen ein Haus in Mossul/Irak, dann zogen sie weiter nach Syrien. Ab 2016, so der Vorwurf der Bundesanwaltschaft, sollen sie eine jesidische Sklavin gehalten haben. Bis zum Frühjahr 2019, als der IS seine letzte Bastion Baghuz verlor.

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Vergewaltigungen und Drohungen

Die Jesidin reiste eigens aus dem Irak nach Koblenz und sagte über mehrere Tage als Zeugin im Prozess gegen Nadine K. aus. Über deren Ehemann berichtet die Jesidin: Er habe sie mehrfach vergewaltigt, habe gedroht, er werde ihre Eltern umbringen, wenn er auf diese träfe, da diese Ungläubige seien. Zudem habe er ihr und der Angeklagten Nadine K. jeweils Sprengstoffwesten angepasst, die sie im Fall einer Gefangennahme durch Ungläubige hätten aktivieren sollen. Seine Ehefrau habe er mehrfach geschlagen.  

Der Name des Mannes laut Anklage der Bundesanwaltschaft: Ibrahim O. Ist er der gefeierte Held der syrischen Opposition, der später zum IS-Terroristen wurde? Die Bundesanwaltschaft teilte dem SWR auf Anfrage mit, man äußere sich "grundsätzlich nicht zu Angehörigen oder dem sonstigen persönlichen Umfeld von Angeklagten". Sicherheits- und Anwaltskreise haben dem SWR jedoch bestätigt, dass es sich tatsächlich um ein und dieselbe Person handelt. Demnach war Ibrahim O. in Deutschland nie auf dem Schirm der Sicherheitsbehörden. Im Prozess gegen Nadine K. sagte ein Beamter des Landeskriminalamtes (LKA) Rheinland-Pfalz aus, seine Behörde habe erst 2019 von dem Fall Nadine K. - und somit wohl auch von Ibrahim O. - erfahren.

Mit dem Fall betraute Kreise halten es für möglich, dass Ibrahim O. nicht gezielt den Kontakt zum IS suchte, sondern wieder als Arzt im Nahen Osten habe arbeiten wollen. Erst nach Ankunft im Irak habe er sich radikalisiert. Allerdings war die Stadt Mossul zum Zeitpunkt seiner Ausreise bereits in der Hand des IS. Aus Sicherheitskreisen heißt es, es sei nicht ungewöhnlich, dass sich syrische Oppositionelle der ersten Stunde im Kampf gegen das Assad-Regime islamistischen Terrorgruppen angeschlossen hätten.

Was wussten die Behörden?

Der Fall wirft weitere Fragen auf: Was wussten Behörden von Ibrahim O.s  fingiertem Tod in Syrien? Wie konnte er von dort mutmaßlich zunächst nach Frankreich und dann weiter nach Deutschland reisen? Hat er dabei Behörden getäuscht? Die Bundesanwaltschaft wollte sich zu Details über Einreisedaten und verwendete Identitäten nicht äußern. Das französische Außenministerium ließ eine Anfrage des SWR unbeantwortet, ob man dort von dem fingierten Tod Ibrahim O.s wusste oder gar mitgeholfen hat, die Flucht des Arztes nach Europa zu organisieren.

Bereits Ende 2011 hatte es in arabischen Medien Zweifel an dem Tod des Revolutionsarztes gegeben, weil sich etwa Angaben zum Ort einer Grabstätte nicht verifizieren ließen. Eine der Familie Ibrahim O.s nahe stehende Syrerin, mit der der SWR sprechen konnte, sagte, sie habe zwar 2011 ebenfalls Zweifel an der Todesnachricht gehabt, könne allerdings nicht glauben, dass der Arzt tatsächlich zum IS ging. Die Familie sei weit entfernt vom Gedankengut der Terrormiliz.  

Spuren verwischt?

Angaben der Stadtverwaltung aus Ibrahim O.s früherem Wohnort in Nordrhein-Westfalen legen nahe, dass dieser dort gewohnt hatte, dann aber im Juli 2015 "von Amts wegen" mit Ziel "Schweden" abgemeldet worden sei - zu einem Zeitpunkt, wo er nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft längst im Irak war. Wollte Ibrahim O. Spuren verwischen, indem er deutschen Behörden Schweden als neuen Aufenthaltsort mitteilte?

Fragen, die man Ibrahim O. nicht so ohne Weiteres stellen kann. Seit seiner Festnahme Ende März 2019 soll er sich in kurdischer Haft befinden, zuletzt in der Gegend um Hasaka in Nordsyrien.

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