Frau Dr. Anja Meurer, Obfrau der Kreisärzteschaft Neuwied im Portrait (Foto: SWR)

Lieber Beratung statt Impfpflicht

Neuwieder Ärztin: "Viele lassen sich aus Angst nicht impfen"

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AUTOR/IN
Christina Nover
Autorin Christina Nover (Foto: SWR)

Die Diskussion um eine Impfpflicht ist in vollem Gange. Die Obfrau der Kreisärzteschaft in Neuwied, Dr. Anja Meurer, plädiert für Beratung statt weiterem Druck auf die Ungeimpften.

Im November haben Sie sich noch gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen - hat sich an Ihrer Meinung etwas geändert?

Ich halte eine Impfpflicht für die ganze Bevölkerung weiterhin medizinisch für nicht vertretbar. Über eine Teil-Impfpflicht könnte man nachdenken - zum Beispiel ab 50 Jahren, wie in Italien. Wo genau man die Altersgrenze zieht, darüber kann man natürlich diskutieren. Es könnte auch 55 oder 60 Jahre sein. Wenn es darum geht, die Krankenhäuser zu schützen, dann wäre auch eine Impfpflicht für alle mit Vorerkrankungen eine Möglichkeit. Aber 20- bis 30-Jährige dazu zu verdonnern, sich dreimal Impfen zu lassen, obwohl sie mit Omikron mit großer Wahrscheinlichkeit gut zurechtkommen, das halte ich aus medizinischer Sicht für fragwürdig.

Wie wäre es stattdessen mit einer Impfberatungspflicht?

Die würde ich sehr befürworten. Es gibt immer noch viele Menschen, die sich einfach aus Angst nicht impfen lassen, obwohl es für sie sinnvoll wäre. Ein Patient, der übergewichtig ist und raucht - der wird vermutlich schon richtig Probleme haben, wenn er Corona kriegt - egal, welches Alter er hat. Da muss man einfach sagen, dass der Nutzen der Impfung die potentiellen Risiken überwiegt.

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Was sind denn die größten Ängste Ihrer ungeimpften Patienten?

Die beziehen sich vor allem auf die neuartigen mRNA-Impfstoffe. Die wurden zwar massenhaft in Umlauf gebracht, aber sind einfach noch nicht so erforscht wie andere Impfstoffe, wie die gegen Masern, Mumps und Co. Durch die schiere Menge an Corona-Impfungen, die verabreicht wurden, sind ja auch schon einige schwerwiegende Nebenwirkungen bekannt geworden - wie Herzmuskelentzündungen oder Thrombosen. Aber es wird sicher auch noch einige Nebenwirkungen geben, die erst auf lange Sicht auffallen werden. Beispielsweise Zyklusschwankungen bei Frauen, von denen Gynäkologen vermehrt berichten.

Haben Sie selbst bei den Impfungen, die Sie verabreicht haben, schwere Nebenwirkungen erlebt?

Bei den 3.500 bis 4.000 Impfungen, die ich gemacht habe, sind immer mal wieder Beschwerden aufgetaucht. Ich hatte eine Krebspatientin, bei der im Nachgang eine Thrombose festgestellt wurde - was aber nicht unmittelbar mit der Impfung zusammenhängen muss. Ansonsten hatten wir einige Patienten mit Herzmuskelentzündungen - nicht nur junge Männer, sondern auch Frauen im mittleren Alter. Allergische Schocks, vor denen ja viele besonders Angst haben, sind gar nicht aufgetreten. Einige der Beschwerden sind wahrscheinlich auch dem Nocebo-Effekt zuzuordnen.

Was halten Sie von Online-Angeboten, wo Ärzte Impfunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen?

Meiner Ansicht nach machen sich solche Kollegen strafbar. Man muss sich persönlich davon überzeugen, dass jemand nicht geimpft werden kann. So etwas ist ja per Telefon oder Mail gar nicht möglich. Außerdem: die meisten Menschen sind ja gar nicht impfunfähig, sondern impfunwillig. Das ist ein großer Unterschied. Nach unserem Gespräch im November habe ich zahlreiche Anfragen aus ganz Deutschland bekommen, von Menschen, die mich darum gebeten haben, ihnen eine Impfunfähigkeitsbescheinigung auszustellen. Was ich natürlich abgelehnt habe. Aber die Verzweiflung, mit der sich die Menschen an mich gewandt haben, die hat mich schon sehr nachdenklich gestimmt.

Inwiefern?

Diese Anfragen zeigen, dass unsere Gesellschaft ein Problem hat. Durch diesen Druck, der auf Ungeimpfte ausgeübt wird, geraten Menschen, die Bedenken gegenüber der Impfung haben, zunehmend in Verzweiflung. Die Leute fühlen sich an die Wand gedrückt - stecken mitunter in einem echten Dilemma. Die Menschen, die sich an mich gewandt haben, das waren vor allem Alten-, und Krankenpfleger, aber auch Lehrerinnen. Menschen, die ihren Job lieben und gerne weiter ausüben wollen, aber ihre Ängste rund um die Impfung nicht ablegen können.

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Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die sogenannten Montagsspaziergänge ein?

Da sind sicher viele seriöse Bedenkenträger dabei, die einfach einen Diskurs über die aktuellen Maßnahmen führen wollen. Aber leider merken sie nicht, dass sie sich bei den Demos von psychopathischen rechtsradikalen Kräften instrumentalisieren lassen. Ich mache mir da wirklich Sorgen, dass Leute, die demokratisch nicht gefestigt sind, abdriften können.

Was halten Sie denn aus medizinischer Sicht von der 2-G-Plus-Regel?

Das ist die Mohrrübe, die den Menschen von der Politik vor die Nase gehalten wird, um die Leute zum Boostern zu bringen. Wer frisch geboostert ist, der ist wahrscheinlich nicht so ansteckend wie vorher, aber der Effekt hält vielleicht zwei, drei Monate. Wirklichen Schutz bieten meiner Ansicht nach nur die Einhaltung der AHAL-Regeln. Impfen ist nicht das Allheilmittel. Ich habe Patienten, die sind dreimal geimpft, haben sich angesteckt und auch andere in ihrem Umfeld infiziert. Ich glaube, die Ansteckung durch Geboosterte wird unterschätzt.

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