Helfer schaffen unermüdlich Schlamm aus den Häusern (Foto: picture-alliance / Reportdienste, Picture Alliance)

Drei Monate nach der Flut

Viele Tausend Helfer im Ahrtal - doch Zahlen sinken vor dem Winter

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Auch knapp drei Monate nach der Flutkatastrophe kommen immer noch viele auswärtige freiwillige Helfer ins Ahrtal. Doch der nahende Winter bleibt eine Herausforderung für die Betroffenen.

"Scout" steht auf der orangefarbenen Weste von Michael Gerke. Im stark flutgeschädigten Ahrtal ist er ein besonderer Helfer: Er koordiniert nicht nur Hilfseinsätze für den Wiederaufbau, sondern schaut auch, ob manche Flutopfer womöglich zu schüchtern für Bitten um Unterstützung sind.

"Ich laufe rum, spreche Leute an, wenn ich sie alleine bei ihren Häusern arbeiten sehe, und biete Hilfe an. Oft kommen wir dann ins Gespräch", sagt Gerke im Dorf Altenburg. Fast ein Vierteljahr ist es her, dass die tödliche Flut in dem romantischen Rotweingebiet für internationale Schlagzeilen sorgte.

Helfer aus der ganzen Welt im Flutgebiet

Marc Ulrich, Initiator eines Shuttledienstes für Hilfskräfte ins Hochwassergebiet, sagt: "Aus der ganzen Welt, zum Beispiel aus Mexiko, Ghana, Norwegen, Dänemark und Finnland, sind Helfer hierher gekommen." Sie befreien beschädigte Häuser von Schlamm, schlagen Putz ab und reißen Bodenbeläge raus, damit durchnässte Gebäude trocknen können.

Katastrophe verschwindet aus den Medien

Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) sprach vor Wochen von einem großen Akt der Hilfsbereitschaft. Doch inzwischen ist das Ahr-Hochwasser vom 14. und 15. Juli mit 133 Todesopfern und Tausenden beschädigten oder zerstörten Häusern seltener in den überregionalen Medien - die Zahl der Helfer und Helferinnen bröckelt vor dem nahenden Winter.

Der aus dem niedersächsischen Buchholz in der Nordheide angereiste Scout Gerke sagt: "In Norddeutschland haben viele die Flut nicht mehr im Gedächtnis. Die wissen gar nicht, dass im Ahrtal immer noch viel zu tun ist."

Fachkräftemangel erschwert Wiederaufbau

Shuttledienst-Gründer Ulrich berichtet von mehr als 2.500 Helfern und Helferinnen einst an einem einzigen Samstag - und insgesamt bislang rund 70.000. "Jetzt stabilisiert sich das so bei 400 bis 500 Helfern pro Werktag", ergänzt der Unternehmer aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. An Wochenenden seien es mehr. "Wir fahren noch den kompletten Oktober mit dem Helfershuttle, dann schauen wir, wie der Bedarf aussieht", erklärt Ulrich.

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Irgendwann seien die meisten beschädigten Häuser entkernt. Beim Wiederaufbau von Häusern, der vom Bund-Länder-Flutfonds mit je bis zu 80 Prozent und in Härtefällen bis zu 100 Prozent finanziert werden soll, könnten meist nur noch Fachfirmen weiterhelfen. Der Fachkräftemangel mache dies nicht einfacher. Der Wiederaufbau könnte sich lange hinziehen.

Shuttlebus-Kilometer würden bis zum Mond reichen

Bis zu 50 kleine und große Busse seien anfangs für den Shuttledienst im Einsatz gewesen, sagt Ulrich. Von einer Sammelstelle nahe der Autobahn 61 in Grafschaft hoch über der Ahr werden die Helfer morgens hinunter ins Flusstal und abends wieder zurückgefahren."Insgesamt hätten unsere Fahrzeuge jetzt schon die rund 384.000 Kilometer vom Ahrtal zum Mond zurückgelegt", rechnet Ulrich vor.

Die Sammelstelle in einem Gewerbegebiet ist ein komplettes Helferdorf auf einer mehrere Fußballfelder großen Fläche, das nun hohen Besuch bekommt: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich hier und erneut unten im Ahrtal für diesen Sonntag (10. Oktober) angekündigt.

Essensausgabe, Materiallager, Arbeitskleidung, Waschstelle für verdreckte Gummistiefel, Schlafzelte und Wohnmobile - all dies gibt es hier. Und eine Schmiede unter einem Zeltdach, in der gerade Dennis Stiller aus dem niedersächsischen Wolfsburg arbeitet: Der Hobbyschmied hält einen Meißel, der bei einer Hausentkernung verschlissen worden ist, ins Feuer und schmiedet ihn aus. "Immer wieder gehen Meißel kaputt", sagt Stiller. Nach einem Aufruf in sozialen Medien hätten sich bundesweit 55 Hobby-, Huf- und Kunstschmiede gemeldet, die sich hier abwechselnd abends um das verschlissene Werkzeug der Helfer kümmerten. Die Stimmung sei gut, versichert Stiller."Man findet viele neue Freunde."

"Manche Helfer können es nicht ertragen"

Anne aus Köln, die ihren Nachnamen nicht nennen will, verstaut Arbeitskleidung zurückgekehrter Helfer in einem Zelt: Vormittags gibt sie die Klamotten aus, mittags arbeitet sie im Homeoffice in ihrem normalen Job und abends nimmt sie die Arbeitskleidung wieder entgegen.

Neben ihr sitzt eine ältere Dame aus Grafschaft, die ebenfalls ihren Nachnamen nicht nennt, aber ein Schildchen mit der Aufschrift "Brigitte - Zuhörerin" an der Jacke trägt. "Ich höre allen Helfern zu, die Redebedarf haben, wenn sie Schlimmes im Tal unten gesehen haben", sagt Brigitte.Sie habe Helfer erlebt, die gesagt haben, sie könnten es nicht ertragen. Die seien nach einem Tag wieder abgereist. Andere wollten nur für einen Tag kommen, bleiben aber drei Wochen», berichtet Brigitte. "Vielen wissen nicht, dass sie auch sich selbst helfen. Hier werden sie wirklich gebraucht, hier redet ihnen kein Chef rein. Viele kommen abends müde zurück, strahlen aber."

Shuttledienst-Gründer Ulrich weiß: "Es gibt hier so ziemlich alles, was auch sonst im sozialen Leben passiert." Etwa einen Heiratsantrag im Helfercamp in einer schon bestehenden Partnerschaft, aber auch einige Paare, die sich erst hier unter den Helfern gefunden haben.

Die Freiwilligen haben noch andere Anlaufstellen, etwa den Helfertreff in Sinzig an der Ahr, eine Mischung aus Café, Kita, Gemeinschaftsbüro und Flutopfer-Treffpunkt. "Wir vermitteln Hilfen und Spenden", sagt die Gründerin Melanie Brücken. Auch syrische Flüchtlinge böten hier Flutopfern ihre Unterstützung an, Handwerker fänden neue Mitarbeiter, Fremde brächten Sachspenden. Brücken versichert: "Viele Leute hier sind unsere Freunde geworden."

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