Etwa einen Meter misst der Findling, der in Lierschied nun am Straßenrand steht. Auf einer Gedenktafel an dem Stein stehen die Namen der Mitglieder der Familie Grünebaum, die nach Angaben der Initiatoren in einem Haus an dieser Stelle gelebt hat. Alle acht Familienmitglieder wurden demnach von den Nationalsozialisten deportiert und in Auschwitz ermordet. Lange Zeit war die Erinnerung an die jüdische Familie in Lierschied vergessen.
Gedenksteine als Vorbild für andere Orte
Das will Regina Watkin-Kolb nun ändern. Die Lierschiederin erzählt, dass sie selbst lange nichts von den Schicksalen der Menschen des Ortes wusste. „Mir hat dann ein Nachbar vor seinem Tod die ganzen Geschichten erzählt. Ich wurde als erwachsener Mensch plötzlich damit konfrontiert, dass hier in meinem Ort eine Familie lebte und dass diese Familie auch ermordet wurde“, sagt Regina Watkin-Kolb. Für sie war schnell klar: "Da muss ein Monument gesetzt werden.“
"Ich wurde als erwachsener Mensch plötzlich damit konfrontiert, dass hier in meinem Ort eine Familie lebte und dass diese Familie auch ermordet wurde.“
Mit anderen Bürgerinnen und Bürgern hat sie dann den Findling aus einem Steinbruch bei Katzenelnbogen organisiert. Die Lierschiederin Ursula Strack hat sie unterstützt. Stracks Mutter ging mit den Kindern der Familie Grünebaum in die Schule. „Die Idee ist, dass es ein Pilotprojekt ist und dass sich Menschen finden, die einfach in anderen Dörfern sagen: Ja das wollen wir auch tun.“, so Regina Watkin-Kolb. So hat sich bereits jetzt der Ort Ruppertshofen, nur wenige Kilometer von Lierschied entfernt, der Idee angeschlossen. In einer Gedenkveranstaltung hat die Gemeinde auch hier in der Mitte des Dorfes einen mannshohen Findling aufgestellt.
Auch Ruppertshofen stellt Stein auf
Noch in den 30er-Jahren habe es in dem Ort im Rhein-Lahn-Kreis eine Synagoge gegeben. Eine jüdische Familie betrieb in Ruppertshofen ein Lebensmittelgeschäft, so Ellen Stein. Die Dorfbewohnerin hat die Geschichten der Familie aufgeschrieben, vor Jahren schon, erzählt sie. „Ich bin praktisch von Haus zu Haus gegangen und habe die Beiträge von den älteren Mitbürgern aufgeschrieben, die noch gelebt haben. Heute geht es nicht mehr.“

Ein Historiker hat für die Orte im Rhein-Lahn-Kreis historische Quellen ausgewertet. Sie sind nun die Grundlage für den Gedenkstein in Ruppertshofen. Elf Namen stehen hier angeschlagen. Elf Schicksale von Menschen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft ihr Leben verloren haben. Sieben konnten sich retten, viele von ihnen sind ausgewandert.
QR-Code soll Informationen zu Schicksalen geben
Eine zehnte Klasse des Wilhelm-Hofmann-Gymnasiums in Sankt Goarshausen will jetzt tiefer zu den Namen und den Schicksalen der Juden von Lierschied und Ruppertshofen recherchieren. In Archiven suchen die Schülerinnen und Schüler nach Informationen. Später soll dann ein QR-Code auf den Steinen angebracht werden, über den Interessierte die Ergebnisse der Recherche anschauen können.
„Für die Schüler ist das sehr spannend“, sagt Geschichtslehrerin Jana Zimmermann und ergänzt: „Weil es sie eben unmittelbar betrifft. Es ist in der Nähe ihres Heimatortes und nicht eben Berlin oder eine andere Großstadt, mit der sie jetzt nicht viel Verbindung haben.“ Wenn noch weitere Orte folgen, will die Klasse auch wieder dazu recherchieren. So soll die Geschichte der jüdischen Dorfbewohner am Leben gehalten werden.