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Wie das Leben im Heim das spätere Leben prägt

Stand

Von Autor/in Constantin Pläcking

Wer als Kind in einem Heim aufwächst, muss sich mit vielen Vorurteilen auseinandersetzen. Kevin Freischheim war Heimkind in Koblenz und ist jetzt wieder dort - als Betreuer.

Es gibt viele Vorurteile über Kinder, die in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe aufwachsen: Sie seien schwierig und nicht eigenständig, heißt es oft. Kevin Freischheim weiß, dass das so nicht stimmt. Er arbeitet als Betreuer im Seraphischen Liebeswerk in Koblenz und kümmert sich dort seit fast vier Jahren um die Wohngruppe für Mädchen. Das Besondere: Er hat selbst als Kind in der Einrichtung gelebt und findet: "Ich habe schon Glück gehabt, hier wohnen zu dürfen."

Wegen Gewalt in der Familie ins Koblenzer Heim gekommen

Kevin Freischheim hatte eine schwere Kindheit. In seiner Familie hat es immer wieder Probleme gegeben. Darum seien er und seine Brüder ins Heim gekommen, erzählt er im SWR-Interview. Für Freischheim war nicht sofort klar, dass er als Betreuer zurück ins Heim nach Koblenz-Arenberg kommen möchte. Er war zuvor lange Erzieher in einem Kindergarten. Doch jetzt sei ihm klar: Seine persönlichen Erfahrungen als Heimkind geben ihm eine besondere Perspektive. "Für mich ist es Erfüllung hier zu sein."

Für mich ist es Erfüllung hier zu sein.

Die Wohngruppe im Heim: WG mit Betreuer und festen Regeln

Als Betreuer kümmert sich Kevin Freischheim um neun Mädchen und junge Frauen, die in der Wohngruppe im Seraphischen Liebeswerk Koblenz leben. Eine von ihnen ist die 16-jährige Alexandra. Ihre Eltern sind geschieden, ihr Vater lebt im Ausland. Weil ihre Mutter psychische Probleme hat und bei ihrer Oma nach einem Schlaganfall Demenz diagnostiziert wird, kann sie dort auch nicht bleiben und kommt schließlich ins Heim.

Alexandra sitzt zusammen mit Kevin Freischheim, Karn Born vom Verein Careleaver und ihrer Mitbewohnerin Amira (von links) vauf der Terasse iher Wohngruppe.
Alexandra sitzt zusammen mit Kevin Freischheim, Karn Born vom Verein Careleaver und ihrer Mitbewohnerin Amira (von links) vauf der Terasse iher Wohngruppe.

Die Wohngruppe, in der Alexandra lebt, ist eine Wohngemeinschaft, aber mit Betreuer. Es gibt klare Regeln, die eingehalten werden müssen, beispielsweise feste Hausaufgabenzeiten oder Uhrzeiten, an denen die Kinder und Jugendlichen abends wieder Zuhause sein müssen. "Wir dürfen natürlich auch bei Freunden übernachten", sagt Alexandra. Das müsse dann aber vorher mit den Betreuern abgesprochen werden. "Es ist eigentlich ganz locker", findet die 16-Jährige.

Ausnahmen gibt es, aber nicht spontan

Und trotzdem gibt es einige Punkte, die sich Alexandra anders wünschen würde. Die Handy- und Internetzeiten beispielsweise. Und wenn sie am Wochenende abends mit Freunden unterwegs sei, würden die oft fragen, ob sie nicht spontan länger bleiben könne: "Da fühlt man sich schon etwas blöd, wenn man sagen muss: 'Nee, ich muss jetzt schon gehen.'" Denn für Ausnahmen braucht sie vorher eine Genehmigung. Es gebe Freunde, die würden sie deswegen schon gar nicht mehr fragen. Andere aber würden verstehen, dass das eben die Regeln sind.

Heimkinder werden oft schon in der Schule diskriminiert

Kinder wie Alexandra werden später aufgrund von Vorurteilen oft diskriminiert, beispielsweise in der Berufswelt, weiß Karn Born. Auch er hat im Seraphischen Liebeswerk in Koblenz gelebt und engagiert sich heute beim Verein Careleaver, der sich für die Belange von Heimkindern einsetzt.

Heimkind sein ist gesellschaftlich mit ganz vielen negativen Konnotationen verbunden.

In der Gesellschaft brauche es eine größere Sensibilisierung für das Thema, sagt er: "Damit Menschen, die in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie aufwachsen, nicht diskriminiert werden und einen bessere Zugang bekommen." Die Diskriminierung fange oft schon in der Schule an: von Mitschülern, aber auch von Lehrkräften: "Heimkind sein ist gesellschaftlich mit ganz vielen negativen Konnotationen verbunden."

Der Koblenzer Standort des Seraphischen Liebeswerk im Stadtteil Arenberg. Dort hat auch Kevin Freischheim gelebt und ist jetzt wieder dort als Betreuer.
In Koblenz-Arenberg betreibt das Seraphische Liebeswerk eine Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe.

Das Leben als Heimkind hat Kevin Freischheim geprägt

Kevin Freischheim profitiert in seinem Beruf heute davon, wie er aufgewachsen ist. "Das, was Kinder in dieser Situation brauchen, ist Nähe", sagt er. Durch seine Erfahrung als Heimkind falle es ihm leichter, diese Nähe zu geben. Und: Die Kinder würden sich ihm viel schneller anvertrauen, denn er versteht, was sie durchmachen.

Seine Zeit als Heimkind hat ihn für immer geprägt. Der Begriff "Familie" beispielsweise hat für ihn eine völlig neue Bedeutung bekommen: "Für mich ist Familie auch: Die Betreuer, die mich betreut haben. Ein Stück weit auch die Kinder, die hier leben. Ich nenne das hier eine 'crazy zusammengewürfelte Zeitfamilie.'"

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