Obwohl Samstag ist, stehen vor dem Schulgebäude der Julius-Wegeler-Schule in Koblenz zahlreiche Autos. Die Kennzeichen verraten: Ihre Besitzer kommen nicht nur aus der direkten Umgebung, sondern auch von weiter her - aus ganz Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen. Gegen 9 Uhr strömen von allen Seiten Eltern mit ihren Kindern durch den Haupteingang. Sie wollen zum Kinder-College, das hier jeden zweiten Samstag Kurse für hochbegabte Kinder anbietet.

Im Eingangsbereich werden sie freundlich von Mitarbeiterinnen des Kinder-Colleges empfangen. Unter ihnen auch die Psychologin Helga Thieroff, die die außerschulische Fördereinrichtung vor 25 Jahren in Neuwied gegründet hat. Antrieb war damals ihr eigener Sohn. Bei ihm sei eine Höchstbegabung festgestellt worden, erzählt Thieroff. Er habe sich schrecklich in der Schule gelangweilt und sei auch auf dem Gymnasium nicht gut zurechtgekommen.
Hochbegabung fällt meist durch frühe Sprachentwicklung auf
"Ich wollte für diese Kinder eine Heimat bieten, in der sie nicht nur intellektuell, musisch und kreativ gefördert werden. Sondern dass sie auch akzeptiert werden, so wie sie sind - so anders, wie sie eben sind", sagt Helga Thieroff. Seitdem ist das Kinder-College zu ihrer Lebensaufgabe geworden. Heute lernen dort mehr als tausend Kinder und Jugendliche in 117 Kursen. Einer von ihnen ist der sechsjährige Tim. Er besucht hier die Kurse "Kleine Mediziner" und "Chemie".
Bereits in der Kita sei den Erzieherinnen aufgefallen, dass Tim sich für Themen interessiert, mit denen andere Kinder seines Alters nur wenig anfangen können, erzählt seine Mutter Britta Homscheid: "Die haben gesagt: Der erzählt so viel und so ausführlich. Und der benutzt Wörter, die kennen die anderen Kinder noch nicht mal." Trotzdem habe sie gezögert, Tim testen zu lassen. Sie hatte Sorge, dass er als Besserwisser abgestempelt werden könnte und wollte es mit seiner Förderung nicht übertreiben: "Es muss ihm immer Spaß machen."
Unterforderung kann bei Hochbegabten zu psychischen Problemen führen
Der neunjährige Michel hat mit einem IQ von 138 bereits zwei Stufen übersprungen und geht aktuell in die fünfte Klasse. Seit vier Semestern lernt er zusätzlich am Kinder-College Japanisch erzählt Michel: "Was es hier ausmacht, ist, dass hier wirklich intensiv gelernt wird." In der Schule werde der Stoff mehrfach wiederholt. Im Japanisch-Unterricht hingegen sei alle drei Stunden ein Thema durch. Die höhere Lerngeschwindigkeit tue ihm gut, sagen seine Eltern.
Forum Superschlau und unterfordert – Was brauchen hochbegabte Kinder?
Lukas Meyer-Blankenburg diskutiert mit
Prof. Dr. Tanja Baudson, Psychologin, Charlotte-Fresenius-Uni Wiesbaden, Mitglied im Netzwerk hochbegabter Menschen „Mensa"
Ira Lemm, Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind in Rheinland-Pfalz
Prof. Dr. Julia Schiefer, Psychologin, Tübinger Institut für Hochbegabung
Denn ohne neuen Input werde Michel schnell langweilig, erklärt Mutter Simone Pietsch: "Der braucht das, sonst geht es ihm schlecht. Er wird dann wirklich traurig." Helga Thieroff kennt dieses Problem. Die Psychologin sagt, das sei bei Hochbegabten nicht ungewöhnlich. "Wenn sie über längere Zeit permanent unterfordert sind, verlieren sie die Motivation und können auch krank werden. Sie entwickeln psychosomatische Störungen und können auch depressiv werden."
Hochbegabung kann für Kinder und Eltern belastend sein
Deswegen sei es wichtig, den Kindern eine Förderung zu bieten, die ihren Fähigkeiten, Interessen und Talenten entspreche, sagt Helga Thieroff. Das Kinder-College bietet Kurse aus unterschiedlichen Gebieten an, aus denen die Kinder und Jugendlichen selbst auswählen dürfen.

Nach so einem Samstag voller Informationen stellt Michels Vater Björn Pietsch eine deutliche Veränderung fest: "Dann ist er ausgeglichen. Das ist richtig entspannt, er ist glücklich - das ist schön." Für Familie Pietsch ist Michels schier unerschöpflicher Wissensdurst oft auch anstrengend. Mittlerweile seien bereits alle Museen in der Umgebung abgeklappert.
Abends schaue die Familie meist Dokumentationen, weil Michel sich für Spiel- oder Trickfilme nicht interessiere. Hochbegabt zu sein, kann Fluch und Segen zugleich sein: "Würde man mich fragen, würde ich eindeutig sagen: Fluch", so Michel. Manchmal würde er sich wünschen, mehr so zu sein, wie andere Kinder seines Alters.
Hochbegabung bedeutet nicht zwangsläufig gute Noten in der Schule
Simone Pietsch sagt, viele Menschen hätten ein falsches Bild davon, was es bedeute, hochbegabt zu sein: "Viele denken, dass man alles kann und dass man wie ein wandelndes Lexikon ist." Michel stellt klar: "Ich bin nicht so, dass ich alles kann. Ich lerne alles." Sein Zeugnis bestehe daher nicht nur aus guten Noten. Michel sagt, er habe vielleicht drei Einsen, aber er habe auch schon mal eine Sechs geschrieben.
Bildung Hochbegabte Kinder erkennen und fördern
Vor allem Mädchen und Migrantenkinder werden oft gar nicht als hochbegabt erkannt. Wie lässt sich das ändern? Und wie fördert man hochbegabte Kinder am besten?
Helga Thieroff erklärt, es sei falsch, Hochbegabung mit guten Schulnoten gleichzusetzen: "Ein schlaues Kind kann ein Einser-Schüler an der Leistungsspitze sein, muss aber nicht hochbegabt sein." Die Psychologin hält es für ein großes Problem, dass Hochbegabte, die in der Schule weniger leistungsstark sind, manchmal nicht als solche erkannt werden. Diese endeten dann mitunter auf einer Förderschule oder in Therapie.
Spezielle Interessen machen den Umgang mit Gleichaltrigen schwierig
Laut Helga Thieroff unterscheiden sich Hochbegabte oft von Gleichaltrigen, was ihre Interessen betrifft: "Sie kümmern sich früh um Erwachsenen-Themen und haben auch andere Vorstellungen von Freundschaften und sozialen Beziehungen." Solche Kinder müssten sich in der Schule oft verstellen. Das beschreibt auch der 15-jährige Finn: "Manchmal stelle ich mich auch ein bisschen doof. Weil es ist natürlich schon komisch, wenn da einer sitzt, der immer alles besser weiß." Er möchte in seiner Klasse nicht als Streber gelten.

Er habe zwar viele Freunde und sei gerne mit anderen in Kontakt, aber danach brauche er manchmal auch einen Tag Ruhe. Wenn Finn erwachsen ist, möchte er Politiker werden. Woher er seine Begeisterung für Politik hat? Seine Eltern zucken mit den Achseln. Sie selbst seien keine Politik-Nerds. Daher sei es schön, dass Finn im Kinder-College Gleichgesinnte gefunden und mit ihnen den Debattierclub gegründet habe. "Hier kann er halt einfach so sein, wie er ist", sagt Mutter Angelique Brengmann.