Der Grundstein für soziale Teilhabe wird meiner Meinung nach schon im Kindesalter gelegt. Das bedeutet aber auch: Wer im Kindesalter benachteiligt ist, trägt diese Last mit durch das ganze Leben. In meinem Job als Hebamme sehe ich täglich, in was für verschiedene Welten Kinder geboren werden. Während manche das Glück haben, Kind einer wohlhabenden Familie zu sein, die Zeit und Geld hat, um sie zu umsorgen und zu fördern, kommen andere in eine Welt voller Probleme. Armut ist vererbbar. Oft leiden Familien über Generationen hinweg an fehlender Bildung, finanziellen Mitteln und sozialer Unterstützung. Kinder, die in solche Haushalte hineingeboren werden, erben diese Last.
Manchen Familien fehlt es an allen Ecken und Enden. Die Eltern kämpfen sich selbst jeden Morgen mühsam aus dem Bett, können sich selbst kaum versorgen und auf sich achten. Entsprechend sind dann auch die Kinder schlecht versorgt. So setzt sich der Teufelskreis immer weiter fort. Wenn ich als Hebamme bei den Familien zu Hause bin, realisiere ich jedes Mal aufs Neue, was das eigentlich bedeutet und wie viel mehr Hilfe solche Familien benötigen.
"Sozialhelfer in Pirmasens machen eine gute Arbeit"
Bei uns in Pirmasens ist die Kinderarmut dramatisch hoch. Jedes vierte Kind ist betroffen. Und wir, als Stadt, bemühen uns, sozial schwache Familien über die Diakonie, das Jugendamt und die Johanniter aufzufangen. Darüber hinaus gibt es noch Einrichtungen wie das Regenbogen Kinderland, den Pakt für Pirmasens und die Tafel. Das sind toll geführte Vereine, mit vielen engagierten Leuten, denen es wirklich am Herzen liegt, die Situation vieler Kinder zu verbessern. Ich bin sehr dankbar für diese Institutionen. Trotzdem glaube ich aber, dass sie nur Symptome lindern können. Um wirklich etwas zu verändern, also wirklich Kinder vor Armut zu schützen, muss der Staat aktiver werden. Aktuell sind Kinder auf das Engagement von Bürger:innen angewiesen. Sie sind also von der Gunst dieser Personen abhängig. Viel besser wäre es doch aber, wenn der Staat garantieren würde, dass jedes Kind an der Gesellschaft teilhaben kann. Warum machen wir es nicht wie die Skandinavier? Dort ermöglicht der Staat zum Beispiel allen Kindern, umsonst in Sportvereinen Mitglied zu werden. Damit ist klar: Jedes Kind macht, was es möchte, egal ob die Mittel von zu Hause aus da sind, oder nicht. Die Kinder mischen sich dadurch in ihrer Freizeit. Jeder spielt mit jedem. Bei uns läuft es genau anders herum: Hier muss man erst einmal Mittel beantragen, wenn man es sich nicht leisten kann, den Sohn in den Fußballverein zu schicken. Aber eine Familie, die sowieso schon damit kämpft, den Alltag zu bewältigen, hat keine Ressourcen, sich darum zu kümmern. Der bürokratische Aufwand überfordert die Betroffenen. Genau das müsste meiner Meinung nach vom Staat übernommen werden. Nicht nur, um die Eltern zu entlasten, sondern auch, um von Armut betroffenen Kindern ein normales Sozialleben zu ermöglichen. Ich schätze die Arbeit der Sozialhelfer:innen in Pirmasens sehr. Gleichzeitig glaube ich aber, dass es keine Lösung ist, sozial schwache Kinder in Auffangeinrichtungen zu bündeln. Zum einen wird den Kindern dort immer wieder bewusst gemacht, dass sie hilfebedürftig sind. Zum anderen wird soziale Segregation gefördert. Wie sollen die Kinder so ihren Horizont erweitern? Wie sollen sie andere Kinder kennenlernen, auf die sie bauen können, an denen sie sich orientieren können und die sie vielleicht sogar da raus holen? In der Schule ganz bestimmt nicht. Dort fällt sofort auf, wenn ein Kind nicht regelmäßig gewaschen wird, keine frische Kleidung trägt oder nicht das neuste Spielzeug hat. Die Kinder werden ausgeschlossen und bleiben unter ihresgleichen.
Wunsch nach mehr Personal an Schulen
Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn Kinder auf diese Weise so früh schon verstehen müssen: sie haben nicht die gleichen Chancen im Leben, sie sind nicht gleichberechtigt, sie gehören nicht dazu. Und das heißt: Sie dürfen an der Gesellschaft nicht teilhaben, so wie es andere dürfen.
Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, um die Kinderarmut in Pirmasens, aber auch in ganz Deutschland zu bekämpfen, wäre es deshalb mehr Personal an den Schulen und mehr Mittel für die Förderung sozial Benachteiligter. Es bräuchte Schulsozialarbeiter, die ein Auge auf die Kinder werfen. Die Lehrer:innen können das nicht leisten. Sie sind ohnehin schon überlastet. Um Chancengleichheit in den Schulen zu schaffen, muss man aber über die Schulerziehung hinaus blicken und auch den sozialen Aspekt mitdenken. Erst dann kann man die wenigen gezielt fördern, die es nötig haben und mit dem Zustand brechen, dass Kinder aus wohlhabenden Elternhäusern bessere Bildungschancen haben.
Vor allem muss sich aber eins ändern: Es muss ein Selbstverständnis herrschen, dass soziale Ungleichheit im Kindesalter beginnt, und dass man Menschen, die nichts für ihre Herkunft können, aus der Gesellschaft ausschließt, wenn man ihnen gleichberechtigte Möglichkeiten im Kindesalter verwehrt.
Kurzbiographie
Laura Bräcklein (38) ist geborene Pirmasenserin. Im Strecktal-Park wird sie von allen Seiten herzlich begrüßt. Denn als Hebamme begleitet sie seit 14 Jahren die jüngsten Pirmasenser auf dem Weg in die Welt. Dass Kindern und Jugendlichen eine Perspektive geboten wird, liegt ihr daher besonders am Herzen.