Ehemalige Polizisten haben hier, in der Nähe des Tatortes bei Ulmet im Kreis Kusel, eine Gedänkstätte für ihre getöteten, ehemaligen Kollegen errichtet. (Foto: SWR)

Interview mit SWR-Rechtsexpertin

FAQ: Das sind die drängenden Fragen im Polizistenmord-Prozess von Kusel

Stand

Ende November soll im Polizistenmord-Prozess von Kusel am Landgericht Kaiserslautern das Urteil fallen. Vor der Urteilsverkündung stellen sich noch viele drängende Fragen. Die SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller beantwortet sie hier.

Am 31. Januar 2022 wurden zwei Polizisten in der Nähe von Ulmet im Kreis Kusel erschossen. Zwei Tatverdächtige wurden festgenommen und müssen sich am Landgericht Kaiserslautern verantworten. Am Dienstag sollen die Plädoyers gehalten werden - in der Woche darauf soll das Urteil fallen.

Die SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller beantwortet die derzeit noch offenen Fragen rund um den Polizistenmord-Prozess.

In welchem Rahmen bewegt sich die Strafe, die den Hauptangeklagten erwartet?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Dem Hauptangeklagten Andreas S. werden eine ganze Reihe von Straftaten vorgeworfen, darunter auch zweifacher Mord. Wird er wegen Mordes schuldig gesprochen, erhält er die lebenslange Freiheitsstrafe. Mehr geht nicht, selbst wenn er daneben auch noch wegen Jagdwildererei, gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt wird. Lebenslang bedeutet in Deutschland mindestens 15 Jahre. Stellt das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest, ist eine solche vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen.

Etwas komplizierter wird es, wenn das Gericht den Mord nicht als erwiesen ansieht: Dann werden zunächst Strafen für die einzelnen Taten gebildet. Bei der Strafhöhe orientiert sich das Gericht an dem jeweiligen gesetzlichen Rahmen. Dabei wird es auch die strafschärfenden und strafmildernden Umstände berücksichtigen, etwa ob der Täter vorbestraft ist oder Reue gezeigt hat. Anschließend wird eine Gesamtstrafe gebildet, indem die höchste Einzelstrafe erhöht wird. Insgesamt handelt es sich dabei um ein recht kompliziertes Verfahren, sodass im Voraus kaum absehbar ist, wie hoch so eine Gesamtstrafe ausfallen könnte.

Was erwartet den Mitangeklagten Florian V.?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Gegen den Mitangeklagten Florian V. wurde anfangs auch wegen Mordes ermittelt. Dieser Verdacht hat sich nicht erhärtet, sodass Florian V. noch vor Prozessbeginn aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Angeklagt wurde er dann wegen versuchter Strafvereitelung und gemeinschaftlicher gewerbsmäßiger Jagdwilderei. Den Vorwurf, mit dem Hauptangeklagten gemeinsam illegal Wild geschossen zu haben und dieses weiterverkauft zu haben, hat Florian V. eingeräumt - dabei will er nach eigenen Angaben aber nicht selbst geschossen haben. Dass er freigesprochen wird, ist also unwahrscheinlich.

Ob das Gericht seine Behauptung, er habe lediglich aus Todesangst bei der Spurenbeseitigung geholfen, glaubt, bleibt abzuwarten. Für Jagdwilderei sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren vor. Die konkrete Strafe ist dann wiederum anhand strafmildernder und strafschärfender Merkmale zu bestimmen und könnte erhöht werden, sollte das Gericht Florian V. auch wegen versuchter Strafvereitelung schuldig sprechen.

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Ist es möglich, dass Andreas S. in Sicherungsverwahrung kommt?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Die Sicherungsverwahrung ist keine Strafe im engeren Sinne. Sie knüpft nicht an die Schuld des Täters an, wie es bei Geld- oder Freiheitsstrafen der Fall ist, sondern an seine Gefährlichkeit. Die Gerichte sprechen eine Sicherungsverwahrung aus, wenn der Täter infolge eines Hanges zu Gewalttaten für die Gesellschaft gefährlich ist. Bei der Feststellung dieser Gefährlichkeit ziehen die Gerichte einen Sachverständigen zu Rate.

Im Fall von Andreas S. hat der Gutachter ihm zwar eine "gewisse Gemütskälte" und "Eigenschaften, die man bei Psychopathen findet", attestiert. Eine besondere Gefährlichkeit, welche eine Sicherungsverwahrung nach Ende der Strafhaft rechtfertigen würde, konnte er aber nicht erkennen. Vielmehr bezeichnete der Gutachter die Tötung der Polizisten als "Einzelgeschehen". Vor diesem Hintergrund erscheint eine Sicherungsverwahrung für Andreas S. eher unwahrscheinlich.

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Was passiert, wenn einer der Angeklagten in Revision geht?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Revision bedeutet, dass das Urteil dem Bundesgerichtshof (BGH) zur Überprüfung vorgelegt wird, weil der Angeklagte oder die Staatsanwaltschaft der Auffassung sind, dass das Urteil fehlerhaft ist. Der BGH erhebt selbst keine Beweise, sondern liest das Urteil und kontrolliert, ob das Landgericht Kaiserslautern das Recht richtig angewandt hat. Der Angeklagte kann binnen einer Woche nach der Verkündung des Urteils Revision einlegen. Danach haben er und seine Anwälte vier Wochen Zeit, seine Revision zu begründen und darzulegen, warum das Landgericht Fehler gemacht hat. Das Urteil wird dann nicht rechtskräftig.

Das heißt aber nicht, dass der Angeklagte auf freiem Fuß ist. Er bleibt, bis der BGH entschieden hat, in Untersuchungshaft. Eine Aufhebung des Untersuchungshaftbefehls – so wie kürzlich in Frankenthal – wegen überlanger Verfahrensdauer ist eine absolute Ausnahme und ist hier nicht zu erwarten. Der Bundesgerichtshof kann das Urteil des Landgerichts aufheben oder aufrechterhalten. Hebt er das Urteil auf, wird das Verfahren in der Regel zur erneuten Entscheidung und Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Kaiserslautern zurückverwiesen. Diese Kammer muss dann die "Fehler" im Urteil korrigieren, etwa indem ergänzende Beweise erhoben werden.

Andreas S. soll Zeugen gedroht haben - könnte er durch eine Verzögerungstaktik zeitweise auf freien Fuß kommen?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Das ist sehr unwahrscheinlich. Das Gericht wird mit dem Urteil auch über die Fortdauer der Untersuchungshaft entscheiden. Da die Untersuchungshaft nicht der Bestrafung des Beschuldigten, sondern dem reibungslosen Ablauf des Verfahrens dient, muss sie verhältnismäßig sein. Das heißt, dass die Untersuchungshaft nicht außerhalb des mit ihr verfolgten Zweckes stehen darf. Außerdem kommt eine vorzeitige Entlassung aus der Untersuchungshaft in Betracht, wenn das Verfahren sehr lange dauert, weil die Kapazitäten der Gerichte überlastet sind. Beides erscheint hier abwegig.

Ein Angeklagter kann sich deshalb auch nicht mit einer Verzögerungstaktik aus der Untersuchungshaft "raustricksen". Denn erstmal steht es dem Beschuldigten in einem rechtsstaatlichen Verfahren frei, so viele Mittel zu seiner Verteidigung zu ergreifen, wie es ihm sinnvoll scheint. Der Staat muss dafür sorgen, dass genug Ressourcen zur Bewältigung von Rechtsmitteln, Beweisanträgen und Beschwerden zur Verfügung stehen. Anhaltspunkte dafür, dass es im Verfahren gegen Andreas S. entsprechende Defizite gibt, bestehen derzeit nicht.

Wer trägt die Prozesskosten?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Bei einer Verurteilung müssen die Angeklagten die Kosten des Verfahrens tragen. Bei einem Freispruch trägt der Staat die Kosten. So etwas wie eine Prozesskostenhilfe gibt es im Strafprozess nicht. Die Angeklagten sind bei Bewältigung der Kosten auf sich gestellt. Allerdings kann bei der Staatsanwaltschaft Antrag auf Kostenerleichterung gestellt werden. Dann können die Kosten ratenweise oder zu einem späteren Zeitpunkt gezahlt werden.

Wie könnte der Streit um ein Schmerzensgeld für die Opferfamilien weitergehen?

SWR-Rechtsexpertin Alena Lagmöller: Die Familie der getöteten Polizistin Yasmin B. leidet in Folge der Tat unter Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Deshalb können ihnen auch Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld, Hinterbliebenengeld und Ersatz ihrer Erwerbsschäden gegen Andreas S. zustehen. Normalerweise muss über die Ansprüche in einem neuen Prozess vor einem Zivilgericht entschieden werden. Werden solche Ansprüche aber im Rahmen des Strafprozesses erhoben, dann spricht man von einem Adhäsionsverfahren. Die Familie von Yasmin B. hat im September einen solchen Adhäsionsantrag gestellt. (Anmerkung der Redaktion: Dieser Antrag wurde bereits kurz darauf auf Anraten des Gerichts zurückgezogen)

Ein solcher Antrag bringt einen erheblichen Aufwand mit sich: Das Gericht muss dann auch entscheiden, ob Ansprüche bestehen und wie hoch diese sind. Das richtet sich danach, wie sehr die Familienmitglieder in ihrer Gesundheit beeinträchtigt sind, welche finanzielle Lücke der Tod von Yasmin B. bei ihnen verursacht hat und wie hoch ihre Erwerbsausfälle sind. Diese Fragen werden durch die Vernehmung von Familienmitgliedern und Sachverständigen zu klären sein, wodurch sich das Verfahren in die Länge ziehen kann.

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