Sarah Wagner ist Politikwissenschaftlerin an der Atlantischen Akademie in Kaiserslautern. Sie wird gemeinsam mit BR-Journalistin Vanessa Schneider im Union Kino in Kaiserslautern über Monster und Metaphern in und aus Horrorfilmen sprechen. Außerdem werden Filmausschnitte gezeigt und besprochen. Und dazu sollte das Publikum nach Möglichkeit dem Anlass entsprechend gekleidet sein - also möglichst gruselig. Wir haben mit Sarah Wagner schon vorab über Horrorfilme und Halloween gesprochen.
SWR Aktuell: Halloween steht vor der Tür. Kinder verkleiden sich, es gibt sogenannte Haunted Houses, die Gäste empfangen. Und es gibt auch viele Filme rund um Halloween – so zum Beispiel die gleichnamige Filmreihe aus den 70er Jahren. Warum übt Halloween offenbar auf viele Menschen eine so große Faszination aus?
Sarah Wagner: Halloween verbindet als Fest viele Elemente, die unterschiedliche Altersgruppen ansprechen. Es geht um Verkleidungen, das Sammeln von Süßigkeiten, das kreative Dekorieren von Häusern und Gärten in den USA. Es geht aber eben auch um Grusel, um Partys, und sich absichtlich gruseligen Situationen aussetzen und diese dann zu durchleben, z.B. durch Horrorfilme, ein Labyrinth im Maisfeld oder die Haunted Houses. Egal ob man Grusel mag oder nicht, Halloween hat eigentlich für jeden etwas zu bieten und es ist ein Fest, das sich von den eher traditionell-konservativen Festen wie Weihnachten oder Ostern abhebt. Auch der kommerzielle Aspekt spielt natürlich eine Rolle, der Tag und die damit verbundenen Elemente wie Kostüme, Süßigkeiten, Filme oder Partys werden auch entsprechend vermarktet.
SWR Aktuell: Warum steht denn das Gruselige so im Vordergrund?
Sarah Wagner: Das Gruselige passt perfekt zur herbstlichen Jahreszeit – es ist wieder dunkel und unheimlich, die kalte Jahreszeit beginnt. Halloween ist auch im Kontext von Allerheiligen und Allerseelen zu verstehen, die Tage, die direkt auf Halloween folgen und an denen man den Heiligen und Verstorbenen gedenkt. Oft wird auch auf vorchristliche Bräuche verwiesen und auf das Brauchtum, das irische Einwanderer mit in die USA gebracht haben. Ein Beispiel ist hier der Jack O'Lantern, der ausgehöhlte Kürbis mit Fratze. Wie so oft spielt im Laufe der Zeit natürlich auch die immer stärker werdende Vermarktung des Fests eine Rolle, und hier hat Halloween mit dem Gruselelement nahezu ein Alleinstellungsmerkmal.
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SWR Aktuell: Wie ist denn jetzt die Idee zum Movie Talk im Union Kino in Kaiserslautern entstanden?
Sarah Wagner: Meine Kollegin Janna Uhry-Ganz wollte zu Halloween gerne eine Veranstaltung durchführen, die dieses beliebte amerikanische Fest aufgreift, gleichzeitig aber auch dem Publikum etwas Neues über Halloween und amerikanische Horrorfilme vermitteln kann. Wir hätten ja auch einfach nur einen Film zeigen können, aber wir wollten auch einen Blick hinter die Kamera werfen und diskutieren, was uns diese Filme über die USA erzählen können. Produkte einer Kultur entstehen nicht in einem luftleeren Raum, sie erzählen uns etwas über die Ängste und Traumata eines Landes. Und da ich selbst sehr gerne Horrorfilme schaue, hat sie mich gleich für die Veranstaltung verpflichtet.
SWR Aktuell: Was möchten sie mit dem Movie Talk erreichen?
Sarah Wagner: Wir können hoffentlich mit ein paar alten Vorurteilen aufräumen und zeigen, dass Horrorfilme eben nicht nur einfach gestrickter Grusel sind, sondern uns beim näheren Hinsehen auch einiges über die amerikanische Gesellschaft und Politik erzählen können. Es gibt viele spannende, gruselige und kluge Filme, die beim Zweiten Hinsehen auch neue Perspektiven eröffnen. Und wir wollen vor allem einen unterhaltsamen und auch lustigen Abend miteinander verbringen und auch vom Publikum hören: Was sind hier die Lieblingsfilme der Rheinland-Pfälzer? Wo hat man sich das erste Mal richtig gegruselt? Der Abend richtet sich an alle Gruselfans und an die, die es vielleicht noch werden wollen!
SWR Aktuell: Der Titel lautet Monsters and Metaphors – worum wird sich denn das Gespräch mit BR-Journalistin Vanessa Schneider drehen?
Sarah Wagner: In dem Gespräch werden wir uns drei Phasen des Horrorgenres ansehen, beginnend in den 70er Jahren. Wir schauen uns die sogenannte goldene Ära der Horrorfilme in den 70er und 80er Jahren an, werfen dann einen Blick auf die 90er und 2000er und enden mit populären Horrorthemen zur Amtszeit von Barack Obama und Donald Trump. Wir sprechen ein wenig über die politischen Hintergründe der jeweiligen Epoche und suchen uns dann zwei bis drei Beispiele aus dem Horrorgenre raus, die beispielhaft für diese Zeiten stehen und über die wir sprechen.
SWR Aktuell: Was sind die gängigsten Metaphern in Horrorfilmen und warum?
Sarah Wagner: Die Bedrohungen und Monster in Horrorfilmen sind enorm vielfältig und es hängt davon ab, welches Subgenre man schaut. Geht es also beispielsweise um Geister, heimgesuchte Häuser, traditionelle Slasher-Filme, Vampire, Zombies, besessene Kinder, gefundenes Filmmaterial ("found footage") oder vielleicht sogar Aliens? Auch die Orte, an denen Handlungen spielen, erzählen uns oft eine Geschichte.
Horrorfilme lassen viele Interpretationen zu
Geht es zum Beispiel um den Gegensatz zwischen Stadt und Land, geht es um verdrängte Schuld die sich in Träumen oder Heimsuchungen zeigt, oder fungieren Zombies als gedankenlose Konsumenten in einer kapitalistischen Gesellschaft? Oder woher kommen die Bedrohungen in den verschiedenen Filmen: von außerhalb, aus der Familie selbst? Symbole und Metaphern gibt es also zuhauf! All dies erlaubt vielfältige Interpretationen der Filme und kann Aufschluss geben, für was diese Monster eigentlich stehen und was sie symbolisieren könnten. Daher kann man die Filmen natürlich auch unterschiedlich interpretieren, es bleibt also spannend.
SWR Aktuell: Warum sind Horrorfilme so beliebt bei den Menschen?
Sarah Wagner: Horrorfilme beschäftigen sich mit etwas menschlichem, das tief in uns verwurzelt ist: unsere Ängste, unsere Verletzlichkeit aber auch unsere Aggressionen. Im Alltag ignoriert man dies oft, wir denken, wir haben die Kontrolle über Situationen. Filme erlauben es uns, bestimmte Gefühle zu durchleben, die wir vielleicht sonst eher ausblenden - alles von der Sicherheit unserer Couch aus.
Zudem kommt es zu einer direkten und oft sehr intensiven körperlichen Reaktion: man gruselt sich, erschreckt sich, schreit auf, der Adrenalinspiegel steigt, man ekelt sich. Und nicht zu vergessen – Horror hat ja kulturell eine lange Tradition, egal ob schaurige Märchen oder Gothic Horror Literatur, gegruselt haben sich Menschen schon immer gerne und man ist fasziniert von den Schauplätzen fernab der sogenannten gesellschaftlichen Zivilisation.
SWR Aktuell: Warum kennt man nur US-Horrorfilme und keine deutschen – was macht die amerikanischen Filme aus?
Sarah Wagner: In erster Linie ist es ein ganz pragmatischer Grund: Der amerikanische Filmmarkt ist einfach viel größer und dominanter, als die deutsche Filmindustrie. Es gibt auch sehr viele gute internationale Horrorproduktionen, insbesondere japanische Horrorfilme wurden in den USA gerne und erfolgreich neu verfilmt. Man sollte auch nicht vergessen, dass prägende Horrorfilme in den 1920ern deutsche Produktionen waren, z.B. Nosferatu oder Das Cabinet des Dr. Caligari. Viele Horrorfilme sind zudem auf Jugendliche und ihr Umfeld fokussiert; Themen, die in der US Filmlandschaft schon lange etabliert und beliebt sind.
SWR Aktuell: Was ist die größte Kritik an Horrorfilmen?
Sarah Wagner: Die gängigsten Kritiken, die sich auf Horrorfilme beziehen, sind, dass sie relativ einfach inhaltlich aufgebaut sind und dass sie gewaltverherrlichend sind sowie negative Auswirkungen auf die Jugend haben. Betrachtet man das gesamte Genre, greift diese Kritik meiner Ansicht nach aber zu kurz. Natürlich sollte man, wie bei allen Filmen, auf die Altersfreigabe achten und mit Kindern und Jugendlichen über die Inhalte sprechen. Gerade Horrorfilme greifen aber auch interessanterweise viele Ängste von Jugendlichen auf und sind in dieser Altersgruppe auch sehr beliebt, das lässt sich nicht ausblenden. Oft wird in Diskussionen aber ein ganzes Genre verteufelt, ohne dass man sich wirklich näher mit den Filmen oder den Zielgruppen beschäftigt hat.
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Halloween verspricht viel Spaß für Kinder. Doch von gruseligen Filmen sollten Eltern die Finger lassen, raten Fachleute. Ein FAQ mit Hintergründen und Empfehlungen.
SWR Aktuell: Inwieweit kann Horror auch intelligent sein?
Sarah Wagner: Es gibt viele kluge Horrorfilme, die zum Nachdenken anregen und die sich intensiv mit komplexen Themen beschäftigen. Der Film "Get Out" diskutiert Rassismus in den USA auf eine spannende Art und Weise, Filme wie "Hereditary" beschäftigen sich mit Themen wie Gender oder der Identität von Müttern und die gesamte "Scream" Franchise ist ein kluger und witziger Metakommentar über das Horrorgenre selbst.
"Haunted house"-Filme können für Ängste der Mittelschicht stehen
Viele Horrorfilme erzählen von besonderen gesellschaftspolitischen Entwicklungen, auch wenn das beim ersten Anschauen vielleicht nicht ganz offensichtlich ist. Im Zuge der Finanzkrise 2008/09 in den USA und deren Nachwirkungen erlebten "haunted house"-Filme eine Renaissance. Kulturwissenschaftler interpretieren dies als eine Spiegelung der ökonomischen Ängste der weißen Mittelklasse, deren Eigenheim eigentlich befreiend sein sollte, sie jetzt aber (durch Schulden oder Geister) in den Abgrund zieht.
SWR Aktuell: Was ist denn ihr liebster Horrorfilm?
Sarah Wagner: Es gibt so viele großartige Horrorfilme, da fällt die Wahl schwer. Meine liebste Horrorreihe ist die "Scream" Reihe. Mit dieser Franchise bin ich großgeworden und sie hat mich gleichsam richtig gut unterhalten und für Nervenkitzel gesorgt dank vieler guter Spannungsmomente und witzigen Dialogen. Scream 2 ist hier mein absoluter Favorit und ein Beweis, dass auch eine Fortsetzung eines Horrorfilms richtig gut sein kann!
Monsters and Metaphors - am 31. Oktober 2023 im Union Kino in Kaiserslautern. Los geht es um 20:30 Uhr, der Eintritt ist frei.