Ein Herz nach einer OP - kein Hirntoter sollte zu einer Organspende verpflichtet sein (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Gegen Widerspruchslösung

Koblenzer Arzt: Kein Hirntoter sollte zu Organspende verpflichtet sein

Stand

Jeden Tag sterben drei Menschen in Deutschland, die vergeblich auf ein Organ gewartet haben. Dennoch warnt der Koblenzer Mediziner Andreas Molitor vor einer emotionalen Erpressung.

SWR Aktuell: Können Sie sich noch an Ihre erste Organ-Entnahme für eine Transplantation erinnern?

Andreas Molitor (Leitender Oberarzt am Evangelischen Stift St. Martin in Koblenz und Transplantationbeauftrager der Klinik): Daran kann ich mich tatsächlich noch erinnern. Das war ein Patient mit Hirnblutung und da wurden die Leber und die Nieren entnommen. Das war ziemlich aufregend und eine sehr merkwürdige Erfahrung. Wir verstehen, wenn jemand einen Herztod oder einen Unfalltod stirbt, aber der Hirntod hat ja was Abstraktes. Der hirntote Mensch scheint dem Angehörigen durchaus ja noch lebend, weil das Herz noch schlägt und sich der Brustkorb hebt und senkt, weil der Patient beatmet wird.

Der Transplantationsbeauftragte Andreas Molitor spricht sich gegen eine Widerspruchslösung bei der Organspende aus (Foto: gk.de)
Der Transplantationsbeauftragte Andreas Molitor

SWR Aktuell: Worin besteht der Unterschied zwischen Wachkoma und Hirntod?

Molitor: Der hirntote Patient hat einen Durchblutungsstillstand des gesamten Gehirns. Dieser Durchblutungsstillstand ist unumkehrbar, das muss man nachweisen. Und wenn kein Blut mehr ins Gehirn kommt, kommt kein Sauerstoff mehr an, keine Glucose, kein Zucker mehr, keine Nährstoffe und das Gehirn stirbt ab. Der Patient im Wachkoma hat noch Reflexe, der atmet noch selbstständig oder unterstützt. Der hirntote Patient atmet definitiv nicht. Der Durchblutungsstillstand des gesamten Gehirns ist unumkehrbar und das ist der entscheidende Unterschied zu Patienten im Wachkoma oder zu sonstigen schweren Hirnschädigungen.

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Transplantationen in Mainz und in Kaiserslautern

SWR Aktuell: Sie sind Transplantationsbeauftragter in Koblenz, aber sie transplantieren selbst nicht. Warum ist das in Rheinland-Pfalz nur in Mainz möglich und nicht bei Ihnen in Koblenz?

Molitor: Das ist in Rheinland-Pfalz nicht nur in Mainz möglich, sondern auch in Kaiserslautern werden bestimmte Organe transplantiert. Es hat sich im Laufe der Jahre gezeigt, dass es Sinn macht, die Transplantationen an großen Zentren zu machen. Die Organentnahme, die sogenannte Explantation kann im Prinzip an jedem Krankenhaus gemacht werden, das einen Operationssaal hat.

"Wir überzeugen niemals einen Angehörigen oder eine Angehörige, dass Organe gespendet werden sollen."

Ursachensuche für Rückgang bei Organspenden

SWR Aktuell: Die aktuellen Transplantationszahlen sind sehr schlecht. Corona sei daran schuld, heißt es, aber anderswo in Europa war ja auch Corona. Woran liegt es, dass Deutschland im europäischen Vergleich am Ende der Tabelle liegt?

Molitor: Das war schon immer so, dass die Organspenden-Zahlen in Deutschland bezogen auf eine Million Einwohner deutlich schlechter waren als in anderen europäischen Ländern. Aber in diesem Jahr sind die Zahlen noch einmal deutlich eingebrochen. Wir haben, wenn wir uns den Vergleich von Januar bis April ansehen, mehr als ein Viertel weniger Organentnahmen und die Organentnahme ist ja die Voraussetzung für die Transplantation. Aber die Ursache lässt sich letztendlich nicht sauber benennen. Wir haben den Trend auch bei uns in der Klinik. Voraussetzung für eine Organentnahme ist ja der Hirntod und wir hatten dieses Jahr bisher keinen Patienten, den wir als hirntot melden konnten, das ist schon ein eklatanter Einbruch. Woran es liegt, bleibt unklar.

SWR Aktuell: Wenn jetzt aber doch eine Familie mit einem hirntoten Angehörigen da ist, wie überzeugen Sie die, die Organe zu spenden?

Molitor: Also erstmal überzeugen wir niemals einen Angehörigen oder eine Angehörige, dass Organe gespendet werden sollen. Das muss immer eine freie Entscheidung sein. Was wir als Transplantationsbeauftragte tun können, wir geben erst mal sachliche Informationen.

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Organspende: Aufklärung und Würdigung für Spender fehlen

SWR Aktuell: Es wurden ja schon einige Gesetze in den vergangenen Jahren geändert, um die Zahl der Transplantationen zu erhöhen, dazu haben Sie ja auch die Landesregierung beraten. Aber gibt es noch Gesetze, die Rheinland-Pfalz nachschärfen muss?

Molitor: Ich würde nach wie vor denken, dass man das "Problem", dass man relativ wenig Organspenden realisieren kann, an der Wurzel packen muss. Damit meine ich nicht, dass man eine Pflicht zur Organentnahme einführen sollte bei hirntoten Patienten! Ich finde es gut, dass wir in einem Land leben, wo diese Dinge freiwillig sind, es heißt ja auch Organspende.

Ich glaube schon, dass mehr Menschen im Falle des Hirntodes grundsätzlich bereit wären, Organe zu spenden. Aber dazu muss die Aufklärungsarbeit einfach deutlich verbessert werden. Da haben wir einen relevanten Bedarf.

Die andere Sache ist die Wertschätzung der Menschen, die bereit sind, Organe zu spenden. Die ist nach meiner Bewertung überhaupt nicht da. Wenn in Spanien jemand Organe spendet, dann steht das in den Wochenblättchen. Das wird als gesellschaftlich gute Sache angesehen. Ich glaube, das ist auch einer der Gründe, warum die Spendenbereitschaft dort so hoch ist.

Bei uns ist es so, wenn jemand Organe transplantiert bekommen hat, dann ist das toll. Der läuft einen Marathon mit transplantiertem Herzen und wird dann in der Zeitung abgebildet oder darf bei Günther Jauch reden. Aber dass dieses Organ, dieses Herz von einem Spender kommt, das findet eigentlich nie Beachtung.

Dann ist das immer so eine gewisse Schmuddelecke. Da weiß man nicht so richtig, machen die Krankenhäuser das nur, weil sie damit Geld verdienen? Oder was steckt da eigentlich dahinter? Da gibt es ein relativ großes Misstrauen.

"Jeden Tag sterben drei Menschen auf der Warteliste in Deutschland, weil zu wenig Organe da sind."

Die Organentnahme an sich macht ja nur Sinn, weil es auf der anderen Seite Menschen gibt, die auf die Organe warten. Jeden Tag sterben drei Menschen auf der Warteliste in Deutschland, weil zu wenig Organe da sind. Trotzdem, mir ist es wichtig, dass es freiwillig ist, eben eine Spende.

Gegen Widerspruchslösung bei Organspende

SWR Aktuell: Also eigentlich sollte die Entscheidung für oder auch bewusst gegen eine Organspende schon viel, viel eher und selbstbestimmt fallen als im Krankenhaus, ja?

Molitor: Genau, das ist der schlechteste Zeitpunkt und deswegen: Aufklärung. Aufklärung, die weder durch Gremien oder Medien beeinflusst wird, die pro Organspende sind, noch durch diejenigen, die contra sind. Das muss eine neutrale Information sein, damit der Mensch auf dem Boden einer neutralen Information entscheiden kann, ob er Organe spenden möchte im seltenen Fall des Hirntods - oder ob er es eben nicht möchte. Das ist genauso legitim. Es muss keiner spenden.

SWR Aktuell: Sie sind damit auch klar gegen eine Widerspruchslösung, wie sie zuletzt der rheinland-pfälzische Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) gefordert hat?

Molitor: Ich persönlich ja.

SWR Aktuell: Was ist das für ein Gefühl, wenn man ein gesundes Organ auf den Weg zu einer Transplantation bringen kann?

Molitor: Wir bekommen ja ungefähr sechs Wochen nach einer Organentnahme ein Feedback, da steht zum Beispiel drin: "Die rechte Niere wurde einem Menschen in XY transplantiert. Sie hat ihre Funktion gut aufgenommen." Dieses Feedback können übrigens auch Angehörige erhalten. Fast alle möchten wissen, was mit den Organen passiert.

Wenn die Organe um 23 Uhr oder wann auch immer auf den Weg gebracht werden, dann hoffen wir wirklich, dass dieses positive Feedback kommt, dass wir den Menschen damit geholfen haben.

Es ist kein Selbstzweck, Organe zu entnehmen, es gibt immer andere Menschen, die schwer krank sind, die ein Organversagen haben und möglicherweise sogar sterben.

Das sagen wir natürlich nicht den Angehörigen im Gespräch, weil das wäre emotionaler Druck und das wäre der völlig falsche Weg. Wenn die Organspende beendet ist und der Patient beerdigt werden kann, müssen die Angehörigen mit der Entscheidung, die sie getroffen haben, den Rest ihres Lebens weiterleben. Das darf niemals mit Druck oder emotionaler Erpressung passieren, wie "Denken Sie doch mal an die armen Menschen, die aufs Organ warten."

Das Interview führte Kristina Kiauka.

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