picture alliance  Daniel Kubirski | Daniel Kubirski (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Interview mit einer Sozialpsychologin

Maske tragen: Viele fühlen sich im Moment wenig gefährdet

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Warum tragen manche eine Maske beim Einkaufen und manche nicht? Und werden es immer mehr, die auf die Maske verzichten? Das haben wir eine Sozialpsychologin gefragt.

SWR Aktuell: Frau Steffens, seit fast zwei Monaten gilt in vielen Bereichen in Rheinland-Pfalz, zum Beispiel im Supermarkt, keine Maskenpflicht mehr. Anfangs haben noch viele eine Maske getragen, aber es scheinen weniger zu werden. Setzt da eine Art Herdentrieb ein?

Melanie Steffens: Mir scheint, dass sich die Leute im Moment weniger gefährdet fühlen. In der Corona-Pandemie ist es so, dass Personen sich unterschiedlich stark gesundheitlich gefährdet fühlen. Deshalb haben sie über die letzten Jahre auch unterschiedlich vorsichtige Verhaltensweisen etabliert, zum Beispiel Maske tragen oder eben keine Masken tragen, wenn es nicht Pflicht ist. Wenn viele beim Einkaufen keine Maske tragen, kann so etwas wie ein Herdentrieb einsetzen. Das sind soziale Normen, die in einer Situation entstehen. Wenn man abweicht von den anderen und sich als einzige Abweichlerin fühlt, dann hat man eine Tendenz, sich an das Verhalten der anderen anzupassen und fühlt sich komisch. Es ist einem unangenehm. Um dann eine Maske zu tragen, müsste man sich erstmal über die soziale Norm hinwegsetzen. Entweder weil man eine sehr starke innere Überzeugung hat - so etwas wie eine Vorerkrankung - oder Personen, die man schützen möchte. 

SWR Aktuell: Wie ist das, wenn es noch einzelne andere gibt, die auch Maske tragen?

Steffens: Wenn eine einzige andere Person auch abweicht von dem, was die anderen machen, dann ist es schon direkt besser. Das reicht schon, wenn Sie mit Maske in einen Drogeriemarkt gehen und keiner trägt eine Maske. Dann sehen Sie eine einzige Person mit Maske und schon fühlen Sie sich wohler.

Uni Koblenz-Landau  (Foto: 300)
Prof. Melanie Steffens Uni Koblenz-Landau, Leiterin des Bereiches Sozial- Umwelt- und Wirtschaftspsychologie.

SWR Aktuell: Wie lange dauert es denn, bis man so eine soziale Norm lernt? Die Maskenpflicht galt zwei Jahre.

Steffens: Da gibt es zwei widersprüchliche Effekte. Wenn ich jetzt mir vorstelle, Sie wären Querdenkerin und Sie haben zwei Jahre lang zähneknirschend beim Einkaufen die Maske getragen, dann sind Sie jetzt sehr froh, dass Sie sie wieder abnehmen können. Dann würden auch fünf Jahre nicht helfen, wenn Sie die ganze Zeit denken: Das ist eine unsinnige Maßnahme und dazu werde ich jetzt gezwungen. Dann wächst nur Ihr innerer Widerstand. Auf der anderen Seite kann sich aber, wenn Sie davon überzeugt sind, dass die Maske etwas Sinnvolles ist, eben auch was Allgemeineres und Längerfristiges in der Zeit ändern, eine Gewohnheit bilden. 

SWR Aktuell: Könnte es sein, dass wir auch einfach faul sind als Menschen? Dann lass ich das Maske tragen, obwohl ich weiß, dass es eigentlich besser wäre. 

Steffens: Natürlich ist es bequemer, keine Maske zu tragen und nicht dran denken zu müssen, dass man eine dabei hat. Diese Bequemlichkeit müsste dadurch aufgewogen werden, dass man genug Nutzen dabei sieht, dass man die Maske trägt.

"Ich habe mir oft mehr psychologische Kommunikation aus der Politik gewünscht."

SWR Aktuell: Mit einer Maske schützt man vor allem andere. Warum tragen viele keine Maske, obwohl es ein negatives Zeichen an die Mitmenschen senden könnte, dass man sie nicht schützen will?

Steffens: Ein sehr wichtiger Aspekt dabei ist, wie wichtig finde ich den Schutz der anderen. Wenn ich jetzt wieder die Querdenkerin nehme, die denkt, dass es sowieso alles völlig übertrieben ist. Dann ist ihr der Schutz der anderen nicht wichtig. Wenn ich ein anderes Extrem nehme, dass beispielsweise eine Schülerin eine alte, kranke Oma zu Hause hat. Dann wird die Schülerin in dem Fall ihre Oma für besonders schützenswert halten und ganz anders reagieren und die eigene Bequemlichkeit eher unwichtig finden. 

SWR Aktuell: Im asiatischen Raum ist es eine soziale Norm, dass Menschen eine Maske tragen, wenn Sie erkältet sind, um andere zu schützen. Können Sie sich das auch für Deutschland vorstellen?

Steffens: Ich würde mir wünschen, dass sich das bei uns auch durchsetzt. Aber ob es kommt, weiß ich nicht.

SWR Aktuell: Wieso verbinden viele mit dem Ende der Maskenpflicht in vielen Bereichen Freiheit?

Steffens: Wenn man Regelungen vorgibt und Gesetze einführt, die die Freiheit der Menschen einschränken, dann reagieren viele Menschen mit Reaktanz. Das ist so ein bisschen wie die Trotz-Phase bei Kindern im Alter von drei Jahren. Dann hat man sofort den Wunsch, seine Freiheit zurückzugewinnen. Als es beispielsweise um die Diskussionen um nächtliche Ausgangssperren ging, haben sich viele Menschen aufgelehnt, die sowieso nie abends nach 10 Uhr die Wohnung verlassen. Einfach weil sie nicht mehr gedurft hätten. Genauso ist es, wenn mir plötzlich jemand vorschreibt, ich muss jetzt eine Maske tragen. Wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass die Maßnahme gut ist, reagiere ich trotzig und möchte meine Freiheit zurück. Deshalb ist es halt so wichtig, dass man den Menschen erklärt, warum das wichtig ist. Und nicht einfach, sagt: Okay jetzt, das ist das Gesetz. Basta. Jetzt müsst Ihr euch dranhalten.

SWR Aktuell: Im öffentlichen Nahverkehr gilt weiter eine Maskenpflicht, woanders wie gesagt nicht. Kann da auch eine Trotz-Reaktion bei Menschen stattfinden?

Steffens: Ja, genau. An der Stelle, an der eine politische Entscheidung wie Willkür erscheint, kann das passieren. Das passierte an vielen Stellen bei der Corona-Politik. Zum Beispiel, wenn man mit dem Zug von Straßburg nach Karlsruhe fährt. An der Landesgrenze ändern sich die Regeln. In Frankreich muss ich keine Maske tragen, aber in Deutschland. Dann hält man die Regeln nicht mehr für sinnvoll, sondern für willkürlich. Daher hat man auch nicht den Impuls, sich daran zu halten. Deshalb habe ich mir oft mehr psychologische Kommunikation aus der Politik gewünscht.

Das Interview führte Carolin Wollschied.

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