Fußverkehrskongress in Mainz

Zukunftsforscher: So werden Städte für Fußgänger attraktiver und sicherer

Stand

Von Autor/in Stefanie Hoppe

Wie sieht die Stadt der Zukunft aus und welche Rolle spielen darin Fußgängerinnen und Fußgänger? Trägt autonomes Fahren irgendwann zu mehr Sicherheit bei? Darüber hat SWR Aktuell mit dem Berliner Zukunftsforscher Stefan Carsten gesprochen.

Stefan Carsten arbeitet seit 25 Jahren als freiberuflicher Stadtgeograph und Zukunftsforscher. Aktuell ist er unter anderem Beirat des Bundesverkehrsministeriums für "Strategische Leitlinien des ÖPNVs in Deutschland". Auf dem Fußverkehrskongress, der am 11. und 12. März in Mainz stattfindet, tritt er als Speaker auf.

SWR Aktuell: Herr Carsten, wie wird sich der städtische Verkehrsmix in den nächsten 20 Jahren verändern?

Stefan Carsten: Wir werden weniger Autos haben, wir werden mehr Fußgänger, mehr Fahrradfahrer, mehr ÖPNV und mehr Sharing-Teilnehmer (Anm. d. Red.: Carsharing, Bikesharing) haben. Die Veränderung ist heute schon absehbar in den großen Städten. Die Städte haben verstanden, dass Lebensqualität und Aufenthaltsqualität die wirtschaftlichen Standortfaktoren der Zukunft sind und bauen so um, dass das Auto zurückgedrängt wird.

Ist das Ihre Vision oder gab es dafür schon die notwendigen politischen Entscheidungen?

Die politische Richtungsentscheidung steht noch aus. Die Entscheidung auf kommunaler Ebene hingegen ist eigentlich gefallen. Mir fällt jetzt ad hoc keine Stadt ein – außer Berlin (lacht) -, die sagt, wir brauchen mehr Autoverkehr in der Stadt. Dafür ist die Belastung durch den Autoverkehr zu groß. Wir haben zu viele Unfallzahlen, der Einzelhandel leidet darunter, auch die wirtschaftlichen Prozesse leiden.

Welche Stadt geht aktuell mit gutem Beispiel voran?

Zum Beispiel München. München hat vor zwei Wochen die neuesten Zahlen veröffentlicht, die sind extremst beeindruckend. So ist der Anteil der Wege, die mit dem Auto zurückgelegt wurden, von 33 Prozent auf 24 Prozent gesunken – eine wirklich drastische Veränderung.

Zukunftsforscher Stefan Carsten (rechts) auf dem Fachkongress Bus2Bus.
Zukunftsforscher Stefan Carsten (rechts) auf dem Fachkongress Bus2Bus.

Schauen wir mal auf eine Stadt in Rheinland-Pfalz: Koblenz. Die ist nach einem Ranking des Ferienhaus-Vermittlers Holidu die fußgängerfreundlichste Stadt Deutschlands. In der Begründung heißt es, mit insgesamt 13 Kilometern erreicht die Rhein-Mosel-Stadt einen Anteil von 5,52 Prozent autofreier Straßen. Weiter werden viele "verkehrsberuhigte Bereiche" und "autofreie Zonen" als Gründe genannt, ebenso "spezielle Zonen für den Fußverkehr". Sind das auch in Ihren Augen die entscheidenden Kriterien für eine fußgängerfreundliche Stadt?

Beim Thema Sicherheit auf jeden Fall, das ist überhaupt gar keine Frage. Ich würde aber schon bezweifeln, dass Fußgängerzonen der Inbegriff von Aufenthaltsqualität in Deutschland sind oder sein können. Also, ich glaube nicht, dass sich das in der Masse so durchsetzen wird, dass wir nur Fußgängerzonen oder fußgängerfreundliche Areale haben werden. Ich glaube, wir brauchen wieder ein neues Miteinander.

Wie meinen Sie das genau?

Ich glaube, dass wir die Fußgängerzonen öffnen müssen. Viele Fußgängerzonen sind verödet, sie sind langweilig. Der Einzelhandel hat dort keine erfolgreichen Umsätze. Das heißt, wir brauchen Räume, wo Fahrradfahrer gemeinsam mit Fußgängern und Scooterfahrern unterwegs sind.

Es ist allerdings nicht einfach, diese öffentlichen Räume mal eben zu verändern. Baulich stößt man vielfach an Grenzen, auch finanziell. Was können Städte denn unkompliziert und schnell umsetzen?

Die Straßenverkehrsordnung wurde Ende des Jahres novelliert. Das heißt, Städte haben jetzt ganz andere Möglichkeiten, den öffentlichen Straßenraum zu gestalten. Früher ging es nur um Sicherheit und flüssigen Autoverkehr, jetzt geht es um Nachhaltigkeit und Lebensqualität. Städte können sofort Parkplätze im öffentlichen Raum zurückbauen, sie können Sitzmöbel, Aufenthaltsqualitäten, Bäume, neue Fahrradspuren, neue Busspuren dort installieren, die auch immer den Fußgängern zugute kommen. Es braucht jetzt einfach den Mut, dass die Akteure das vor Ort machen, um so diesen gesellschaftlichen Trend weiter zu unterstützen.

Aktuell spielt in der öffentlichen Debatte noch etwas anderes eine große Rolle: Das Thema Sicherheit. Immer wieder in den letzten Monaten sind Fußgänger verletzt oder sogar getötet worden, weil Amokfahrer absichtlich in Innenstädte gerast sind – der letzte Vorfall in Mannheim ist erst eine Woche her. Was können Städte da tun?

Ich glaube, in den letzten Jahren haben wir sehr temporäre Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, gerade um die Weihnachtsmärkte zu schützen – in der Hoffnung, dass sich das Problem von selbst wieder lösen wird. Das ist leider mitnichten der Fall. Wir müssen neue Gestaltungsmöglichkeiten dauerhafter Art suchen und finden, wie wir den öffentlichen Raum wieder sicherer machen.

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Welche konkreten Ideen haben Sie da?

Ich bin kein Stadtplaner. Aber wenn die Barrieren, die es heute gibt, so verstetigt werden, dass Autos eben nicht mehr in diese Räume reinfahren können, sondern sie durch Engpässe, Blumenkübel, oder vielleicht Sitzmöbel anders gestaltet sind, könnte man das sicherlich klären. Auch mehr Bäume können hier eine Lösung sein. Wir brauchen sowieso dringend mehr Bäume in den Städten, um bei über 40 Grad Außentemperatur lebensfähig zu sein. Und Bäume und rasende Autos vertragen sich nicht besonders gut. 

Auch autonomes Fahren und rasende Autos vertragen sich nicht besonders gut - ein großes Thema unter Zukunftsforschern. Wird auch das autonome Fahren unsere Städte sicherer und fußgängerfreundlicher machen?

Autonomes Fahren ist einerseits eine Riesen-Chance für gesunde Mobilität. Wir haben heute rund 2.800 Verkehrstote. Diese Zahl wird drastisch zurückgehen. 93 Prozent aller Unfälle passieren durch menschliches Versagen, das heißt, die Technik wird hier sehr viel Gutes bewirken.

Aber?

Wir werden damit eine Technologie haben, die sehr komfortabel für den einzelnen sein kann und die dazu führt, dass auch Fußgänger sich für das Auto entscheiden, was natürlich für die Gesundheit und für die Lebensqualität alles andere als positiv ist. Wenn autonomes Fahren durch ÖPNV-Akteure betrieben wird, kann das wiederum sehr positiv sein. Also, es kommt auf die Akteure vor Ort an, was die für eine Mobilität wollen und zulassen.

Haben das diese Akteure ausreichend auf dem Schirm?

In Deutschland wurde, glaube ich, noch nicht verstanden, dass sich das Thema auf jeden Fall realisieren wird – in einer sehr dramatischen Art und Weise. Und da muss auch den kommunalen Entscheidern vor Ort klar sein, wie die damit umgehen. Da sehe ich im Moment eigentlich fast gar keine Aktivitäten.

Kommen wir zum Schluss zum Thema E-Scooter. Hier scheiden sich die Geister – die einen finden sie toll, die anderen nur noch nervig. Scooterfahrer werden oft als rücksichtslos empfunden, das ergab auch eine Umfrage des ADAC. In Mainz gab es zeitweise die Diskussion um herumstehende, störende Roller. Verstehen Sie die Ablehnung der E-Scooter?

Das ist eine typisch deutsche Ignoranz allem Neuen gegenüber. Ich sehe das überhaupt nicht so. Wir müssen hier lernen, dass wir auch für E-Scooter-Fahrer neue Wege oder Räume konzipieren, so dass auch die sicher fahren können, das ist halt in Deutschland auch nicht der Fall. Die Infrastruktur für Radfahrer, für Scooter und für Fußgänger ist viel zu klein anteilsmäßig zum Auto. Das heißt, auch hier müssen wir die Straßen so denken, dass wir weniger Autoräume zur Verfügung stellen, sondern mehr für Scooter, Fahrradfahrer und Fußgänger. Und das ist ein Umdenkprozess.  

Das heißt, E-Scooter sind aus der Stadt der Zukunft nicht mehr wegzudenken?

Sie sind heute ein wesentlicher Teil der nachhaltigen Verkehrswende. Viele Menschen nutzen Scooter, um die letzte Meile zu überbrücken, das sind häufig auch private Scooter und keine geteilten Scooter. Ich glaube, wir müssen verstehen, dass Städte sich über Nachbarschaften definieren, wo wir möglichst alles beieinander haben – arbeiten, einkaufen, erholen, wohnen. Und wenn wir das schaffen, diese Nachbarschaften zu optimieren, dann werden auch die Städte als Ganzes davon profitieren.

Vielen Dank!

Das Gespräch führte Stefanie Hoppe.

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