Innenminster Roger Lewentz (SPD) nach seiner Aussage im Untersuchungsausschuss des Landtags von Rheinland-Pfalz zur Flutkatastrophe (Foto: dpa Bildfunk, Picture Alliance)

Aufarbeitung der Flutkatastrophe

Flutnacht-Videos: Warum sie Minister Lewentz extrem in Bedrängnis bringen

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Dirk Rodenkirch
Dirk Rodenkirch  (Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Jens Müller )

Polizeihubschrauber-Videos von der Flutnacht im Ahrtal bringen Innenminister Roger Lewentz (SPD) in große Bedrängnis. CDU und AfD fordern seinen Rücktritt. Warum es für den Innenminister nun wirklich eng werden könnte.

Die Verteidigungsstrategie von Innenminister Lewentz fällt gerade wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe, der unter anderem mögliche politische Versäumnisse aufklären soll, hatte Lewentz stets erklärt, es habe in der Flutnacht kein belastbares Lagebild gegeben. Wegen dieser unklaren Lage habe die rheinland-pfälzische Landesregierung auch keine Grundlage dafür gesehen, die Einsatzleitung zu übernehmen oder noch am Flutabend einen Krisenstab einzuberufen.

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Nach allem, was bisher bekannt ist, geben die nach 22 Uhr aus einem Polizeihubschrauber aufgenommenen Videos die dramatische Hochwasserlage am Abend des 14. Juli 2021 im Ahrtal erschütternd eindrücklich wieder. So eindrücklich, dass die Aufnahmen laut Landesregierung derzeit nicht öffentlich gezeigt werden dürfen, weil dort Menschen in großer Not zu sehen sind und damit Persönlichkeitsrechte verletzt werden könnten.

Innenministerium will die Videos erst kürzlich entdeckt haben

Roger Lewentz erklärte am vergangenen Freitag (23.09.2022) im Untersuchungsausschuss des Landtags, die Videos nicht gekannt zu haben, bevor sie ihm dort gezeigt wurden. Nach SWR-Informationen standen sie aber schon vor knapp einem Jahr auf einer Liste von möglichen Beweismitteln für den Untersuchungsausschuss. Das heißt, sie sollten dem Innenministerium schon länger bekannt gewesen sein.

Dem Ausschuss wurden die Videos damals - und auch bis Anfang vergangener Woche - nicht zur Verfügung gestellt, weil sie als "nicht wesentlich" für die Aufklärungsarbeit kategorisiert wurden. Ob das mit oder ohne das Wissen des Ministers erfolgte, ist unklar. Beides wirft jedoch ein schlechtes Licht auf den SPD-Politiker.

In einer neuen Mitteilung erklärte das Ministerium am Dienstag (27.09.2022): Dem Innenministerium sei das Vorhandensein der Videoaufzeichnungen erst seit dem 29. August 2022 bekannt. Damit bleibt weiterhin unbeantwortet, warum der Minister fast einen Monat später nicht über die Videos informiert war, als er im Ausschuss damit konfrontiert wurde.

Möglicherweise Absprache mit der Opposition gebrochen

Sollte sich bestätigen, dass das Innenministerium beziehungsweise das nachgeordnete Polizeipräsidium Koblenz die Videos bewusst als nicht so wichtig für den Ausschuss deklarierte, wäre das ein schwerer Vertrauensbruch. Denn die Oppositionsparteien CDU, AfD und Freie Wähler hatten zu Beginn der Ausschussarbeit eine Vereinbarung mit der Landesregierung getroffen. Um das Polizeipräsidium Koblenz bei der Bereitstellung von Akten und Daten - inklusive Audios und Videos - zur Flutnacht nicht zu überlasten, sollten zunächst die "wesentlichen" Inhalte herausgefiltert und bereitgestellt werden.

Vor einigen Wochen beantragte AfD-Obmann Michael Frisch dann zusätzliche Akten für den Ausschuss. Darunter entdeckten Ausschuss-Mitglieder vergangene Woche dann zufällig die Videos aus dem Polizeihubschrauber auf einem USB-Stick. Dass die Videos erst jetzt zur Verfügung gestellt wurden, wertete Frisch als Behinderung der Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Minister Lewentz gab selbst keine Aufklärung in Auftrag

Der einzig wirklich erkennbare Versuch des Innenministers, sich am Flutabend mit eigenen Augen ein Bild von der Lage zu verschaffen, war sein Besuch in der Technischen Einsatzleitung im Kreis Ahrweiler. Als er dort gegen 19:30 Uhr wieder wegfuhr, gab es nach seinen Angaben keine Hinweise auf eine Sturzflut oder eine sich anbahnende Katastrophe. Alles, was ihn später an Meldungen und Erkenntnissen erreichte, bezeichnete Lewentz als Einzelereignisse. Dazu gehörten unter anderem eingestürzte Häuser sowie Menschen, die von Dächern oder Campingplätzen gerettet werden mussten.

Die Initiative, einen Polizeihubschrauber in das Ahrtal zu schicken, um ein umfassendes Lagebild zu erhalten, ging jedoch von einem Mitarbeiter des Lagezentrums im Innenministerium aus, nicht vom Minister selbst. Lewentz saß am Flutabend im Büro seines Privathauses, wo er nach eigenen Angaben versuchte, sich auf dem Laufenden zu halten. Warum Lewentz nicht selbst frühzeitig "Aufklärung" durch Polizeihubschrauber beauftragte, ist nicht bekannt.

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Schwer zu erklären ist zudem, warum sich angeblich weder die Mitarbeiter im Lagezentrum noch der Minister erkundigt haben, was der Hubschrauber von seinem Erkundungsflug alles mitgebracht hat. Denn im Lagezentrum kamen den Aussagen von Mitarbeitern zufolge nur einzelne Fotos an, die Aufnahmen der überschwemmten Ortschaft Schuld zeigen. Diese wurden auch an Lewentz weitergeleitet. Von den Videos will niemand etwas gewusst haben, obwohl einer der Mitarbeiter im Lagezentrum nach eigener Aussage mit dem Piloten gesprochen hat, der dabei die dramatischen Eindrücke aus dem Ahrtal geschildert hat.

Staatsanwaltschaft Koblenz sieht dringenden Klärungsbedarf

Mit den Videos wird sich nun auch die ermittelnde Staatsanwaltschaft Koblenz befassen. Der Behörde liegen die Videos inzwischen vor, nachdem sie beim Untersuchungsausschuss angefordert wurden. Die Staatsanwaltschaft hatte nach eigenen Angaben bisher auch keine Kenntnis davon, dass ein Polizeihubschrauber die Aufnahmen von der Ahr-Flut gemacht hat. Warum die Aufnahmen erst jetzt vom Innenministerium zur Verfügung gestellt wurden, bedürfe dringender Klärung, so Oberstaatsanwalt Dietmar Moll.

Geprüft werde nun, ob die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft womöglich ausgeweitet werden müssten. Sie seien auf jeden Fall komplexer geworden. Moll schloss nicht aus, dass sich womöglich auch die Zahl der Beschuldigten erhöhen könnte. Bisher ermittelt die Behörde in Koblenz gegen den früheren Landrat von Ahrweiler, Jürgen Pföhler, (CDU) und einen weiteren Verdächtigen wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen.

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