SWR Aktuell: Wie kann man falsche Informationen erkennen?
Frederik von Castell: Grundsätzlich muss ich mich immer erstmal fragen: Kann ich der Quelle, von der ich das Material oder die Information bekomme, vertrauen. Traue ich der Quelle auch zu, solche Informationen einzuordnen. Und dann erst richte ich den Blick auf das Material - schaue, ob das Material authentisch ist oder ob es vielleicht aus dem Kontext gerissen ist. Ob mir Dinge spanisch vorkommen im Sinne von: Dort werden etwa Materialien gezeigt - Videos, Fotos -, die gar nicht in die Jahreszeit passen, von der behauptet wird, dass das ganze aufgenommen wurde. Ich schaue, ob zum Beispiel Schriften, Kennzeichen, Verkehrsschilder Aufschluss darüber geben, wo das ganze entstanden ist. Also, es sind wirklich Dinge, die ich mit klarem Hingucken und Menschenverstand lösen kann, noch weit, bevor ich überhaupt in technische Mittel einsteige.
SWR Aktuell: Also auch als Nutzerin, als Nutzer kann man das erkennen, wenn man hinguckt. Jetzt sind diese gezielten Falschinformationen, Fake News, ja nicht nur in Kriegszeiten unterwegs. Wenn wir mal an die Tage der Flutkatastrophe an der Ahr im vergangenen Jahr denken, da wurde ohne Anlass vor neuen Flutwellen gewarnt. Warum setzen Menschen Fake News in die Welt, welche Gründe gibt es dafür?
von Castell: Ein Stück weit muss man da mutmaßen. Es gibt auch immer zwei verschiedene Arten von Falschinformationen. Das eine ist Missinformation, also versehentlich verbreitete Falschinformation. Das kann uns allen und das kann auch Journalisten passieren - wenn wir glauben, unsere Arbeit gut gemacht zu haben, aber es vielleicht nicht getan haben. Das andere ist Desinformation, und die ist eben der Versuch, Falschinformationen so zu platzieren, dass die öffentliche Wahrnehmung verändert wird. Im schlimmsten Fall ist das bei Kriegspropaganda der Fall, das kann aber auch schon bei einfacher PR der Fall sein.
SWR Aktuell: Jetzt versuchen die Journalistinnen und Journalisten natürlich, das herauszufiltern, bevor sie berichten. Als Konsument, als Nutzerin, als Nutzer: Was kann man tun, damit Fake News weniger Chancen haben?
von Castell: Langsamer sein. Auch mal in aktuellen Lagen wie jetzt in der Ukraine aushalten, dass es etwas länger dauert, bis wir etwas wissen. Nicht sofort alles verbreiten, bei dem ich vielleicht die Quelle nicht richtig einordnen kann, bei dem ich mir einfach nicht sicher bin, ob es der Wahrheit entspricht. Das heißt: Den Daumen da wirklich mal vom Handy nehmen.
SWR Aktuell: Wie bewerten sie die gesamte Informationslage in diesem Krieg?
von Castell: Man merkt, dass es sich hierbei nicht nur um einen militärischen Konflikt, um einen Krieg handelt, sondern auch um einen Informationskrieg. Und der hat wahrscheinlich schon weit vor den militärischen Auseinandersetzungen begonnen. Wir sehen massive Desinformationsversuche, die ehrlich gesagt auch nicht nur einem Lager zuzuordnen sind. Aber klar ist, dass Russland auch mit staatlicher Propaganda, mit dem Staatsfernsehen von Russia Today, aber auch mit anderen Mitteln versucht, Informationen zu verbreiten. Und im Moment ist es so, dass wir sehr, sehr viele Kriegsmythen auf der einen wie auf der anderen Seite sehen. Also wir sehen zum Beispiel auch, dass das Narrativ, Russland könne keinen Krieg, sehr stark bedient wird mit Material. das ungeprüft ist. Zum Beispiel von liegengebliebenen Panzern, die kein Benzin mehr haben, von ukrainischen Bauern, denen es mit einem Traktor gelingen soll, Panzer zu entführen. Solche Dinge sehen wir sehr häufig, bevor sie eingeordnet sind. Das heißt nicht, das sie nicht wahr sind, aber häufig sind sie nicht verifiziert.
SWR Aktuell: Ist das, was Sie da beobachten, wie in anderen Kriegen auch? Oder ist das eine neue Dimension, was da passiert?
von Castell: Ich glaube tatsächlich, dass wir das erste Mal so nah dran sind - und das meine ich nicht geografisch, sondern dass sich die Informationen in dieser Geschwindigkeit verbreiten - seien sie nun wahrhaftig oder seien sie aus dem Zusammenhang gerissen oder manipuliert. Das ist ein Krieg, der sehr stark auch in den sozialen Netzwerken beobachtet wird und bei dem sich sehr stark diese Inhalte verbreiten. Ich glaube aber, dass das keine westliche Wahrnehmung ist, ich glaube, dass das den Menschen in Syrien ganz stark auch so ging und geht.
SWR Aktuell: Stichwort Deepfake, also Dateien, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellt wurden. Welche Rolle spielen die inzwischen?
von Castell: Also, ich klopfe auf Holz und würde sagen: Im Moment beobachten wir das nicht, dass Deepfakes im Ukraine-Konflikt bis jetzt eine Rolle spielen. Es ist so, dass Deepfakes wahnsinnig aufwendig zu produzieren sind - nach wie vor. Und in der Regel auch relativ einfach zu entlarven sind. Da gibt es technische Details dafür, zum Beispiel wenn Mimik, Gestik und Sprache nicht ganz zusammenpassen. Da gibt es aber tatsächlich oft auch inhaltliche Gründe, warum man da schnell Bedenken anmeldet. Also wenn zum Beispiel eine Aussage absolut nicht zu dem passt, was man von einer agierenden Figur erwarten würde.
SWR Aktuell: Müssen wir alle kritischer sein, als wir das bisher waren?
von Castell: Absolut! Das bringt diese Zeit mit sich. Es wäre auch vorher natürlich schon ratsam gewesen. Für uns Journalisten und Journalistinnen ist es sowieso so, dass wir maximal kritisch mit Material umgehen sollten, jede Quelle prüfen sollten. Und ich glaube, die Geschehnisse derzeit und die verschiedenen Informationskampagnen, die wir beobachten, zeigen, wie notwendig das ist.
Das Interview führte Sascha Becker