Ein Leben wie vor der Pandemie - wünschen wir uns das? Nicht ganz, sagt der Koblenzer Soziologe Oliver Dimbath. "Ich glaube, dass die Sehnsucht nach diesem ultimativen 'Vor Corona' gar nicht mehr existiert, weil die Leute vergessen haben, wie genau es vorher war." Neue Routinen im Zusammenhang mit der Pandemie - zum Beispiel bestimmte Hygienemaßnahmen - habe man sich zwar zunächst auferlegen müssen, aber sich mittlerweile angewöhnt.
"Es gibt aber sicherlich die Sehnsucht nach vielen Elementen von früher", erklärt Dimbath. Mal wieder Hände schütteln, jemanden umarmen, eine Party feiern oder einfach nur mit vielen Leuten zusammen sein - das seien solche Wünsche. Und dass man nicht mehr ganz so vorsichtig sein muss, was den alltäglichen Umgang miteinander angeht.
"Mit ein bisschen Glück haben wir so eine erste Ruhephase schon wieder im Sommer."
Diese Wünsche und Sehnsüchte könnten bald wieder Realität werden, meint Laboratoriumsmediziner Oliver Harzer. Er ist Geschäftsführer des Bioscientia-Labors in Ingelheim. "Mit ein bisschen Glück haben wir so eine erste Ruhephase schon wieder im Sommer." Der Grund: die sich rasant ausbreitende Omikron-Variante des Coronavirus. "Es wird mehr oder weniger jeder jetzt irgendwie erreicht." Damit schaffe man eine gewisse Grundimmunität, die Ausbrüche wie im vergangenen Herbst oder gerade mit Omikron und vor allem schwere Infektionsverläufe nicht mehr so wahrscheinlich machten. "Ausschließen können wir das natürlich nie."
Dem Mediziner zufolge steigen die Inzidenzen noch zwei bis drei Wochen an, erreichen dann ein Plateau und gehen zurück. Schon im Frühjahr könnte es nach Einschätzung von Harzer aufgrund der Durchseuchung durch Omikron dann soweit sein, dass man zu "einer gewissen Normalität bei verbleibender Wachsamkeit" übergehen könne. Mit weiteren wesentlichen Beschränkungen rechnet er nicht. "Ich glaube, dass wir einen sehr großen Freiheitsgrad wieder zurückgewinnen werden."
Mögliche Mutationen müssen im Auge behalten werden
Und ein Ende der Pandemie, ist das abzusehen? "Wenn Omikron durch ist, dann sind wir an so einem Punkt, dass das Virus endemisch wird", sagt Harzer. Voraussetzung: Dass das Coronavirus nicht mehr gefährlich mutiert. Deshalb müsse man - auch wenn sich die Lage bei uns im Sommer beruhigt - die Südhalbkugel beobachten und schauen, was sich dort in den Wintermonaten entwickelt, so Harzer. Um Varianten früher zu erkennen, werden bei einigen positiven Proben sogenannte Vollgenomsequenzierungen gemacht.
Aber endemische Lage hin oder her: Ganz verschwinden wird das Coronavirus nicht. "Es wird uns weiter begleiten, die Influenza begleitet uns auch", sagt Mediziner Harzer. Man werde es deswegen weiter beobachten und Impfstoffe anpassen. Außerdem rechnet er mit einer regelmäßigen Impfung gegen Corona - wie es bei der Grippe auch gemacht wird. "Aber da viele Menschen eine Infektion hatten und viele Menschen geimpft sind, sind die Verläufe in der Regel nicht mehr so schwierig und wir können es dann eher so sehen wie bei anderen Atemwegserregern."
"Eine 'Nach Corona-Gesellschaft' wird es nicht geben, es wird eine 'Mit Corona-Gesellschaft' geben."
Das Coronavirus könnte also bald zur Normalität werden, aber wie sieht 'normal' nach zwei Jahren Pandemie aus. "Ich mag mir nicht vorstellen, dass wir nicht wieder die Leichtigkeit von vor der Pandemie erreichen. Also dass Menschen sich treffen, dass man eine Party feiert und enger ist. Wir sind nun mal soziale Wesen", erklärt Harzer. Einige Hygienemaßnahmen beizubehalten und Vorsorge zu treffen, um sich und anderen zu schützen, sei jedoch sinnvoll. "Ich glaube, das wird uns als Lehre noch ein paar Jahre begleiten."
"Eine 'Nach Corona-Gesellschaft' wird es nicht geben, es wird eine 'Mit Corona-Gesellschaft' geben", sagt der Trierer Soziologe Martin Endreß. Seiner Einschätzung nach wird sich vor allem im Alltag einiges langfristig verändern. Beispielsweise das Masketragen werde "viel stärkere Normalität" - wie man das aus ostasiatischen Gesellschaften bereits kenne.
Auch positive Veränderungen während Pandemie
Einiges bleibe jedoch beim Alten, meint Endreß. "So etwas wie Grußpraktiken werden sich weitgehend wieder einschleifen." Das alltägliche Bedürfnis der Menschen nach körperlichem Kontakt sei weiterhin groß. "Umarmungen werden sicherlich wieder zur Alltagspraxis gehören."
'Nach Corona' ist aber nicht alles schlechter als 'vor Corona'. "Die Pandemiesituation hat uns in vielen Bereichen gesellschaftlich vorangebracht", sagt Soziologe Dimbath. Zum Beispiel in Sachen Pandemiebekämpfung: "Wir werden in die nächste Pandemie anders laufen." Auch die Arbeitswelt habe die Pandemie dauerhaft verändert - Stichwort Homeoffice. "Das war vorher ein Politikum, das haben Arbeitgeber sehr ungern gemacht." Und vor allem im medizinischen Bereich habe die Corona-Forschung und die mRNA-Technologie vieles vorangebracht.