Weitgehend zerstört präsentiert sich der Ortskern von Rech im Ahrtal drei Monate nach der Flutkatastrophe vom Juli. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Boris Roessler)

Ahrtal, Eifel und Trier-Ehrang

Drei Monate nach der Flutkatastrophe - Wiederaufbau und Wegzug

Stand

Vor drei Monaten hat die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz 134 Menschen das Leben gekostet, Häuser und Existenzen zerstört. Der Wiederaufbau im Ahrtal, in der Eifel und in Trier-Ehrang dauert noch immer an.

134 Tote, hunderte zerstörte Häuser und tausende ohne Obdach: Drei Monate ist es her, dass die Flutkatastrophe das Ahrtal, Täler in der Eifel und Trier-Ehrang heimgesucht hat. Drei Menschen gelten noch immer als vermisst.

Nun, nach einem Vierteljahr, zehntausenden Helferinnen und Helfern sowie vielen Tonnen weggeräumten Schutts, sind viele grobe Spuren des Hochwassers entfernt. Von Normalität oder Alltag kann für die Menschen in den betroffenen Tälern aber noch keine Rede sein, weder im Ahrtal noch in den Dutzenden Orten in der Eifel, die an sonst idyllischen kleinen Flüssen wie der Prüm, Kyll, Sauer oder Enz liegen.

Steinmeier: "Werden euch nicht vergessen"

Noch immer ist viel Hilfe nötig. Bei seinem Besuch im Ahrtal erneuerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ein Versprechen an die betroffenen Menschen: "Wir werden euch nicht vergessen."

Schuttberge im Ahrtal weitgehend verschwunden

"Wir sind an einem Wendepunkt", sagt der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Adenau, Guido Nisius (CDU). "Es ist sehr viel aufgeräumt worden. Die Schuttberge sind praktisch verschwunden. Jetzt geht es an den Wiederaufbau. "Das Land Rheinland-Pfalz habe kürzlich den Katastrophenfall aufgehoben". Damit übernimmt im Ahrtal wieder die Kreisverwaltung Ahrweiler die sogenannte Gefahrenabwehr.

Nach dem Abriss vieler Häuser im größten zusammenhängenden Rotweingebiet Deutschlands klaffen in seinen Dörfern zahlreiche Baulücken. Mehr als 70.000 freiwillige Helfer sind nach Angaben eines für sie eingerichteten Shuttledienstes im Ahrtal schon aus dem In- und Ausland angereist, um den Flutopfern beim Entkernen ihrer durchnässten vier Wände zu helfen: Schlamm raus, Putz von den Wänden ab, Bodenbeläge raus - und dann wochenlanges Laufen der Bautrockner.

Erste Hilfsgelder fließen

Längst gleichen viele Häuser Rohbauten. Ihre Bewohner sind zu Verwandten und Freunden, in andere Wohnungen, Notunterkünfte und Wohnwagen ausgewichen. Tagsüber kommen viele zurück.

"Im Moment wohnen hier nur wenige. Nachts ist das fast ein Geisterdorf."

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Inzwischen sollen laut dem rheinland-pfälzischen Finanzministerium die ersten Zahlungen aus dem Wiederaufbaufonds von Bund und Ländern auf private Konten fließen. Die Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde (VG) Altenahr, Cornelia Weigand (parteilos) hofft, in ein, zwei Jahren könnten viele zerstörten Häuser wieder errichtet sein. Der Handwerker- und Baumaterialmangel macht dies indessen nicht leichter. Und wer ein mulmiges Gefühl hat, wieder recht nahe am Fluss zu bauen, findet in dem engen Tal meist nicht viele freie höher gelegene Grundstücke.

Vielen steht wohl ein kalter Winter bevor

Doch auch den Menschen, die geblieben sind und teils in ihren Häusern leben können, stehen weiterhin harte Monate bevor, etwa im Ort Kordel im Kreis Trier-Saarburg. Es sei noch immer schlimm, sagt Medard Roth (Freie Wähler), Ortsbürgermeister von Kordel. Familien mit Kindern lebten teils noch immer übergangsweise in Wohnwagen und Zelten, sagt er.

Selbst wenn die eigenen vier Wände noch bewohnbar sind, wird es für viele hart: Nicht jeder Haushalt wird bis zum Winter eine funktionierende Heizung haben. Ähnlich sieht es in Trier-Ehrang aus, wo die Kyll mit zerstörerischer Wucht über die Ufer getreten war. Vom Hochwasser waren dort 690 Häuser betroffen, viele Öltanks sind in den Kellern kaputt gegangen. Nach Angaben der Stadtwerke Trier waren 335 Erdgasanschlüsse betroffen.

Wiederaufbau der Infrastruktur wird lange dauern

Die Bürgermeisterin der VG Altenahr Weigand sagt, noch länger könne sich der Wiederaufbau von Teilen der Infrastruktur hinziehen, beispielsweise der Ahrtalbahn. Zwar soll deren Teilstrecke zwischen Remagen und Walporzheim möglichst bis Jahresende wieder eingleisig in Betrieb genommen werden. Beim weitaus mehr zerstörten Rest der insgesamt rund 30 Kilometer langen Strecke flussaufwärts zwischen Walporzheim und Ahrbrück traut sich die Deutsche Bahn noch nicht, eine zeitliche Prognose zu geben.

Kordel erlangte im Juli ungewollte Berühmtheit. Ein Zug der Deutschen Bahn stand während der Flut im Bahnhof des Ortes und steht dort bis heute. Das Bild des gestrandeten Triebwagens schaffte es sogar auf die Titelseite der "New York Times".

Ein Zug steht im Hochwasser bei Kordel (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Sebastian Schmitt)
Seit der Flutkatastrophe Mitte Juli steht der Zug der Deutschen Bahn in Kordel. Der Ort wurde vom Hochwasser der Kyll überflutet.

Dreyer: Zusammenhalt ist beispiellos

Die materiellen Probleme sind das eine, die psychischen Folgen das andere. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagt: "Die Flutkatastrophe hat Rheinland-Pfalz ins Mark getroffen. Die Zerstörungen und das Leid der betroffenen Menschen vor allem im Ahrtal sind unvorstellbar groß und haben eine Dimension, die es in der Geschichte der Bundesrepublik so noch nie gab."

Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft seien beispiellos. Das Land setze auch bei der psychotherapeutischen Betreuung der Menschen einen Schwerpunkt: Noch in diesem Jahr soll zum Beispiel in Bad Neuenahr-Ahrweiler ein Traumatherapiezentrum seine Arbeit aufnehmen.

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Viele werden wohl nicht ins Ahrtal zurückkehren

Viele Menschen verlassen allerdings auch das Ahrtal. Der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen (CDU), hat vor Wochen geschätzt, dass bis Jahresende 10.000 seiner knapp 30.000 Einwohner wegziehen könnten. In der Kurstadt haben auch viele zugezogene Senioren zur Miete gewohnt. Weiter flussaufwärts sagt VG-Bürgermeisterin Weigand, in den Weindörfern an der Ahr dagegen lebten viele Familien tief verwurzelt schon seit Generationen in den eigenen Wänden. Das könnte auf weniger Wegzug hindeuten. "Viele haben sehr Traumatisches erlebt und gesagt, sie kommen nicht wieder zurück. Aber erstaunlich viele wollen doch zurückkehren", sagt die Kommunalpolitikerin.

Melanie Brücken, Gründerin eines Helfertreffs in Sinzig (Kreis Ahrweiler), sagt, das sei auch eine Generationenfrage: 80 Jahre alte Flutopfer wollten kaum wieder ein zerstörtes Haus aufbauen, jüngere Familien dagegen schon. "Ganz langsam fangen die ersten mit Wiederaufbau an. Sie zeigen stolz Fotos von neu eingebauten Fenstern oder neu angelegten Blumenbeeten. Langsam machen sie es sich wieder schöner", erzählt Brücken.

Klimafreundlicher und sicherer bei Katastrophen

"Viele sagen, sie wollen klimafreundlicher und hochwassersicherer wiederaufbauen", ergänzt sie. Auch Ministerpräsidentin Dreyer bemerkt zum Wiederaufbau: "Wir müssen aus dieser Katastrophe aber auch Lehren ziehen, um für künftige Naturereignisse besser gewappnet zu sein." Experten zufolge häuft sich Extremwetter im Zuge des Klimawandels.

Laut einer neuen Risiko-Karte des Landes dürfen nur 34 zerstörte Häuser im Ahrtal wegen Hochwassergefahr nicht mehr aufgebaut werden. Bei vielen anderen in Überschwemmungszonen sind Sondergenehmigungen nötig. Es geht um hochwasserangepasstes Bauen - etwa ohne Öltanks und Stromsicherungskästen im Keller oder Erdgeschoss.

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SWR