Aktivistin sitzen auf einer Straße und blockieren sie für Autofahrer. Die Autofahrer diskutieren mit den Aktivisten der "letzten Generation".  (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance / PIC ONE | Stefan Müller)

Demokratie-Forum Hambacher Schloss

Verfassungsschutz: "Klimaaktivisten sind keine Extremisten"

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AUTOR/IN
Jeanette Schindler

Gegenwärtig gibt es viele Gründe, die Menschen verunsichern, ängstigen und sie zum Protest auf die Straße treiben. Wann ist eine Grenze überschritten und die Demokratie gefährdet?

Rechte Gruppen machen sich die Corona-Pandemie oder aktuell die Energiekrise zu Nutze und schüren Hass auf die Regierung, auf Andersdenkende oder Minderheiten. Gleichzeitig gehen immer mehr junge Menschen auf die Straße, die sich wegen des Klimawandels sorgen und für eine andere Klimapolitik protestieren.

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Die Klimaaktivisten "Letzte Generation“ haben in den vergangenen Wochen mit Straßenblockaden und Angriffen auf Kunstwerke Unmut und auch Unverständnis auf sich gezogen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte kürzlich vor der "Entstehung einer Klima-RAF". In der öffentlichen Debatte werden die Klimaaktivisten, die sich an Straßen kleben, als "Terroristen" bezeichnet. Wo endet eigentlich ziviler Widerstand und wo beginnt Extremismus?

Darum sind Klimaaktivisten "Letzte Generation" keine Extremisten

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte beim Demokratie-Forum im Hambacher Schloss, er sei froh, dass junge Menschen sich wieder für Politik einsetzten:

"Die Letzte Generation ist jetzt tatsächlich so eine spezielle Gruppierung, die sagen, wir müssen durch spezielle Aktionen auf uns aufmerksam machen. Und das, was sie betreiben, das sind tatsächlich auch Straftaten. Das kann man nicht wegdiskutieren. Aber das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung jetzt nicht extremistisch."

Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm)
Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), sieht im Rechtsextremismus die größte Gefahr für die Demokratie. Bild in Detailansicht öffnen
Matthias Quent, Extremismusforscher und Hochschullehrer (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Wolfgang Kumm)
Matthias Quent, Extremismusforscher und Soziologie-Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal, hält es für einen Trugschluss, Nachrichtendienste allein könnten Radikalisierung verhindern. Bild in Detailansicht öffnen
Enissa Amani, Künstlerin und Aktivistin (Foto: IMAGO, MAGO / Stephan Wallocha)
Enissa Amani, Künstlerin und Aktivistin, kämpft gegen Rassismus und für Frauenrechte. Sie sorgt sich, dass Demokratie leichtfertig für selbstverständlich gehalten wird. Bild in Detailansicht öffnen

Extremismus definiert Haldenwang als eine Haltung, die den Staat, die Gesellschaft, die freiheitlich demokratische Grundordnung infrage stellt. Aber genau das täten die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" ja nicht. Im Gegenteil. Sie würden die Regierenden sogar zum Handeln auffordern. "Ich erkenne jedenfalls gegenwärtig nicht, dass sich diese Gruppierung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet und insofern ist das kein Beobachtungsobjekt für den Verfassungsschutz."

"Klimawandel größere Bedrohung als Extremismus"

Rechtsextreme Gruppierungen wie die Reichsbürger und Querdenker tun das. Sie rufen ihre Anhänger ganz offen auf, die demokratischen Institutionen nicht anzuerkennen. Vor diesen Gruppen habe er jedoch weniger Angst als vor denen, die ihnen zur Macht verhelfen würden, sagte Matthias Quent, Extremismusforscher und Soziologie-Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendhal. Und noch mehr Angst habe er vor dem Klimawandel, eine reale Gefahr, die niemand mehr bestreiten könne. Auch er stellt sich hinter die Klimaproteste der "Letzten Generation".

"Man kann von den Aktionen ja halten, was man will, aber man muss sich fragen, warum greifen die Menschen zu solchen Mitteln, die das öffentliche Leben gering stören, aber ihre persönliche Biografie zerstören können. Sie kriegen Vorstrafen, sie werden verurteilt. Und die Öffentlichkeit reagiert, in dem sie versucht, sich moralisch selbst zu erhöhen und zu sagen: Ja, ihr habt ja inhaltlich recht, aber ihr dürft doch jetzt nicht die Handwerker, die auf die Arbeit fahren, aufhalten. Das gehört sich nicht."

Rechtsextremismus wahre Gefahr für die Demokratie

Solche Aktionen sind keine Gefahr für die Demokratie, rechte Propaganda und Gewalt dagegen schon. Darüber waren sich die Aktivistin Enissa Amani, Extremismusforscher Quent und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang einig. Tatsächliche Gefahr gehe vom Rechtsextremismus aus. Seit den 90er Jahren sind nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung mehr als 200 Menschen durch rechte Gewalt gestorben. Haldenwang betont, solche "fürchterlichen Fallzahlen" habe es auch nicht beim islamistischen Terrorismus in Deutschland gegeben.

Zum Thema "Frust, Wut, Radikalisierung - Wie bedroht ist die Demokratie?" diskutierte Moderator Michel Friedman beim Demokratie-Forum im Hambacher Schloss mit dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang, dem Soziologen und Extremismusforscher Matthias Quent und der Künstlerin und Aktivistin für Menschenrechte Enissa Amani.

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