Inmitten aller Debatten ums Impfen wird es wohl an keiner Stelle so hitzig und emotional wie beim Thema Kinderimpfungen. "Hände weg von unseren Kindern" heißt es auf der einen Seite - "Wann werden unsere Kinder endlich geschützt?" auf der anderen.
Fest steht: Die Covid-Impfung der Fünf- bis Elfjährigen rückt näher, auch in Rheinland-Pfalz. Seit dem 1. Dezember können Eltern ihre Kinder auf dem zentralen Impfportal des Landes registrieren lassen. Der Kinderimpfstoff von BioNTech steht zwar noch nicht bereit, soll aber nach Auskunft des geschäftsführenden Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) nun bereits ab dem 13. Dezember verteilt werden.
Dilemma: Registrierungsmöglichkeit vorhanden, STIKO-Empfehlung nicht
Was allerdings noch fehlt, ist die offizielle Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO), an die sich die meisten Ärzte in Deutschland halten, obwohl sie nicht müssten. Das bringe sie momentan in eine schwierige Lage, sagt Kinderarzt Christian Neumann aus Zweibrücken. "Es ist für uns Kinder- und Jugendärzte ein Dilemma, wenn die Politik jetzt schon anfängt, Impfzentren und Listen zu öffnen, bevor eine Empfehlung der STIKO da ist."
Auch in Neumanns Praxis füllen sich die Wartelisten, die Nachfrage besorgter Eltern sei groß, vor allem von denen mit Kindern, die unter chronischen Erkrankungen wie Asthma leiden. "Denen würden wir natürlich gerne so schnell wie möglich einen Impftermin anbieten."
Kritik übt der Kinderarzt an der fehlenden Kommunikation seitens der Politik. Vom Beginn der Impfregistrierung bei Kindern und der früheren Auslieferung des Impfstoffs habe er aus der Zeitung erfahren. "Ich habe keine Ahnung, wie das laufen soll", sagt er mit Hinblick auf die Organisation der Kinderimpfungen im Land. So seien die Ärzte beispielsweise auch noch nicht darauf angesprochen worden, ob sie in den Impfzentren mithelfen könnten, um die Kinder entsprechend zu versorgen.
In Impfzentren sind spezielle Familienimpftage geplant
In den Impfzentren soll es nach Auskunft des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums mit Beginn der Impfung der Kinder ab fünf spezielle Familien- und Gruppenimpftage geben. Erste Anlaufstellen für die Impfungen sollen nach Vorstellung der Regierung allerdings die Kinderärzte sein. Mobile Impfteams, die an die Schulen kommen, seien momentan nicht geplant. Insgesamt bekomme Rheinland-Pfalz zunächst 25.000 Impfstoffdosen vom Bund zugeteilt.
Beginn der Impfung sei voraussichtlich Ende des Jahres - noch vor Weihnachten. "Sollten die Rahmenbedingungen stimmen, kann die Impfung von Kindern ab 5 Jahren starten", schreibt das Gesundheitsministerium auf SWR-Anfrage. Mit den Rahmenbedingungen, die stimmen müssten, meint das Ministerium die Zustimmung der EU-Kommission zum Kinderimpfstoff, die aktuell noch aussteht. Sie gilt aber als Formsache, nachdem die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA dem Impfstoff Ende November bereits grünes Licht gegeben hatte. Das Land hatte im Sommer in Impfzentren schon für gesunde 12- bis 17-Jährige aufgrund der EU-Zulassung Impfungen angeboten, bevor die offizielle STIKO-Empfehlung kam.
STIKO will sich mit der Empfehlung für Kinderimpfung beeilen
Die STIKO selbst hat indes angekündigt, bei der Bewertung des Impfstoffs Dampf zu machen: "Wenn irgend möglich" solle bis zum 13. Dezember eine Empfehlung vorliegen, teilte der Vorsitzende Thomas Mertens mit. Wahrscheinlich ist, dass die STIKO die Impfung zunächst nur für Kinder mit bestimmten Vorerkrankungen und erkrankten Angehörigen empfehlen wird, wie schon zuvor bei den 12- bis 17-Jährigen.
Dies würde aber nicht bedeuten, dass die Impfung nach ärztlicher Aufklärung und bei individuellem Wunsch und Risikoakzeptanz der Betroffenen bei gesunden Kindern nicht möglich ist, heißt es von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.
In Österreich wird bereits off label geimpft
Was in Deutschland aktuell noch diskutiert und geplant wird, ist in anderen Ländern bereits Realität: In den USA, Kanada und Israel werden Kinder dieser Altersgruppe bereits großflächig geimpft. Und mit Österreich ist auch ein EU-Land eingestiegen, obwohl der offizielle Kinderimpfstoff in der EU noch gar nicht verteilt wurde. Wie geht das?
Die Antwort ist: off label impfen. Ein Arzt kann den bereits zugelassenen Impfstoff für Erwachsene der Zulassungsstudie gemäß portionieren und an Kinder verimpfen. Das ist legal und wird nicht erst seit Corona gemacht. In einem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz heißt es dazu, eine Impfung von Kindern zwischen fünf und elf Jahren erfolge bis zur Auslieferung der Kinderimpfstoffe "in eigener Verantwortung und Entscheidung sowie nach individueller Beratung durch den niedergelassenen Arzt oder die Ärztin". Und weiter: Das Infektionsschutzgesetz erlaube "in diesem Fall keine Haftungsübernahme durch den Bund".
Für Impfung 400 Kilometer durch Deutschland gefahren
Auch in Deutschland wollten viele Familien nicht warten und haben ihre unter-12-Jährigen off label impfen lassen. "Am Ende konzentrieren sich alle Überlegungen in einem Satz: Was möchten wir eher für unser Kind? Die Infektion oder die Impfung? Denn in einer Pandemie gibt es keine dritte Möglichkeit." Das schreibt ein Elternpaar aus Rheinland-Pfalz in einer E-Mail an SWR Aktuell zu den Beweggründen, die 10-jährige Tochter schon vor der offiziellen Zulassung des Kinderimpfstoffs off label impfen zu lassen. Weil die Debatte so hitzig geführt wird, bleibt die Familie anonym.
Einen impfwilligen Arzt hat die Familie über die sozialen Medien gefunden, 400 Kilometer fuhren sie dafür im Frühsommer durchs Land. Die Tochter habe sich von Anfang an über das Thema informiert. "Über die konkrete Möglichkeit der Impfung für sie haben wir erst gesprochen, als der Termin feststand. Wir wollten nicht umsonst Hoffnung wecken. Aber als es dann klar war, war die Freude riesig! Bei allen in der Familie."
Erst nach der Impfung hätten die Eltern gemerkt, wie belastend die Situation zuvor für ihre Tochter gewesen war: "Sie war so erleichtert und freute sich vor allem auf ein unbeschwerteres Zusammensein mit den Großeltern. Vorher hatte sie immer Sorge, als einzige Ungeimpfte in der Familie die Infektion aus der Schule mit nach Hause zu bringen."
Elterninitiative vermittelt impfwillige Ärzte
Eltern, die ihre jüngeren Kinder impfen lassen wollen, verspricht seit kurzem auch die Elterninitiative u12schutz Unterstützung. Sie vermittelt im Netz impfwillige Ärzte. Bereits in der ersten Woche ihres Bestehens hätten sich 30.000 Familien gemeldet, teilte die Initiative mit.
Das Thema U12-Impfung sei besonders für Risikofamilien wichtig aber nicht nur. "Kinder unter 12 Jahren sind aktuell am stärksten von der Pandemie betroffen", so ein Sprecher der Elterninitiative. Auch für sie bestünden schwerwiegende Gesundheitsrisiken wie Long Covid und PIMS.
EMA erteilt Zulassung Schulen in der Westpfalz befürworten Impfung von Kindern
Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat den Biontech-Impfstoff für Kinder ab fünf Jahren freigegeben. Eine Nachricht, die bei den Schulen in der Westpfalz positiv aufgenommen wurde.
Da die meisten Ärzte es nicht öffentlich machen, dass sie off label impfen, ist es für Familien oft nicht leicht, einen Ansprechpartner zu finden. Einer der rheinland-pfälzischen Ärzte, die off laben impfen - auch er möchte anonym bleiben - schreibt uns, ihm wurde unter anderem damit gedroht, dass er bei einer Neuauflage der Nürnberger Prozesse bald vorgeführt und an die Wand gestellt werde.
Vor allem Risikofamilien wollen schnellere Impfung der Kinder
Die Nachfrage von Eltern sei dennoch von Anfang an überwältigend gewesen. "Die Patienten sind anfangs aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Das hat mich betroffen gemacht. Bis heute erbringen wir diese Leistung zumeist ehrenamtlich und zunehmend in der Freizeit."
Er impfe vor allem Kinder mit Vorerkrankungen, aus Risikofamilien oder wo psychosoziale Gründe im Vordergrund stünden. "Letztendlich ist die Abwägung aber immer ein sehr individuelles Prozedere. So kommt es auch vor, dass ich derartige Anfragen ablehne, wenn ausschließlich 'Lifestyle-Motive' vorgetragen werden."
Die Reaktion von Eltern und Kindern nach erfolgter Impfung schildert der Arzt als außergewöhnlich: "Ich habe in all meinen Berufsjahren noch nie so ehrlich geäußerte Dankbarkeit und Erleichterung bei Kindern und deren Eltern erlebt. Unzählige Male haben mich diese Tränen sehr berührt."
STIKO-Chef würde eigenes Kind nicht impfen lassen
Familien wie diese, die der Arzt schildert, nehmen die Impfung ihrer Kinder als Erlösung war. Unter Experten gehen die Meinungen über die Impfung der Fünf- bis Elfjährigen hingegen noch auseinander. So sagte STIKO-Chef Thomas Mertens gerade in einem Podcast der Frankfurter Zeitung, hätte er selbst ein sieben oder acht Jahre altes Kind, würde er es angesichts fehlender Daten derzeit nicht gegen das Coronavirus impfen lassen.
Für diese Aussage bekam er sogleich Kritik vom Kinder- und Jugendarzt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. Zwar warte man noch auf die Empfehlung der STIKO. "Aber schon jetzt ist absehbar, dass der Impfstoff relativ gut verträglich ist und in den USA sind schon über zwei Millionen Dosen an Kindern verimpft worden. Wir haben gute Hinweise, dass das Risiko absolut gering ist."
Können die Kinderimpfungen etwas gegen die Pandemie ausrichten?
Nach Ansicht des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums kann die Impfung der Kinder dazu beitragen, das Infektionsgeschehen besser in den Griff zu bekommen. "Impfen ist und bleibt der Schlüssel aus der Pandemie."
Allerdings: In Rheinland-Pfalz leben aktuell rund 250.000 Kinder im Alter von fünf bis elf Jahren. Dem gegenüber stehen mehr als 700.000 Erwachsene, die nicht oder noch nicht vollständig geimpft sind.
Fred Zepp, STIKO-Mitglied aus Mainz, glaubt nicht, dass Kinder-Impfungen den Durchbruch für die Pandemiebekämpfung bringen. Man dürfe nicht vergessen, dass ein großer Teil des Problems ungeimpfte Erwachsene seien. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht wieder eine Stellvertreter-Diskussion zum Nachteil von Kindern haben. Die wichtigste Maßnahme zur Überwindung der Pandemie bleibt unverändert, möglichst viele, am besten alle Erwachsenen durch Impfung zu schützen."
Aber auch wenn die Impfung der Kleineren die Pandemie nicht in großem Maße beeinflussen kann, zumindest werden Familien voraussichtlich ab Ende des Jahres umfassender die Möglichkeit haben, entscheiden zu können, ob sie ihr Kind impfen lassen wollen oder nicht.