Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD, M) kommt gemeinsam mit der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD, r), zu einer Pressekonferenz, bei der er seinen Rücktritt bekanntgab. (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst)

Eine Einschätzung zur Aufarbeitung

Flutvideos und Lewentz-Rücktritt: Die Wirkung des U-Ausschusses

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Dirk Rodenkirch
Dirk Rodenkirch  (Foto: ARD-Hauptstadtstudio/Jens Müller )

Nach einem Jahr Aufklärungsarbeit im Untersuchungsausschuss des Landtags zur Flutkatastrophe steht fest: da ist durchaus Sprengkraft drin. Eine persönliche Einschätzung von unserem landespolitischen Korrespondenten Dirk Rodenkirch.

Der Untersuchungsauftrag

Der Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags soll klären, welche Versäumnisse es bei der Flutkatastrophe im vergangenen Jahr gab und wer dafür verantwortlich ist. Die Flut in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 führte zu verheerenden Zerstörungen im Ahrtal, 135 Menschen kamen in Rheinland-Pfalz ums Leben. Das Land hat die Zahl im Juni 2022 auf 136 korrigiert.

Im Oktober 2021 nahm der U-Ausschuss seine Arbeit auf, seitdem gab es 30 Sitzungen mit 185 Zeugen und 18 Sachverständigen, die befragt wurden. Die prominentesten Zeugen: Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Landesinnenminister Roger Lewentz (beide SPD) sowie die frühere Landesumweltministerin Anne Spiegel (Grüne). Lewentz und Spiegel kostete der Umgang mit der Katastrophe inzwischen ihre Ämter.

Wollte die Landesregierung die Katastrophe nicht sehen?

Die Strategie der rheinland-pfälzischen Landesregierung nach der Ahr-Flut war schnell erkennbar. Sie sprach von einer Naturkatastrophe, die für niemanden absehbar und nicht zu verhindern gewesen sei. Öffentlich gewordene Chat-Protokolle, aber auch die Aussagen von Ministerpräsidentin Dreyer und Innenminister Lewentz im April dieses Jahres im Untersuchungsausschuss vermittelten lange Zeit den Eindruck, dass die Landesregierung keine Ahnung hatte, was am Tag der Flut in den betroffenen Gebieten entlang der Ahr geschah - eine Regierung quasi im Blindflug.

Zeugenbefragung im Flut-Untersuchungsausschuss Dreyer vertraute in Flutnacht auf Katastrophenschutz in RLP

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat in der Flutnacht darauf vertraut, dass der Katastrophenschutz vor Ort funktioniert. Das machte sie im Untersuchungsausschuss des Landtags deutlich.

Am Abend des 14. Juli 2021 schrieb Ministerpräsidentin Dreyer noch um 21:42 Uhr per SMS an Lewentz: "Ich höre, dass der Höchststand Hochwasser erst Morgen Mittag erreicht ist." Die Ministerpräsidentin vertraute nach eigenen Angaben in der Flutnacht darauf, dass der Katastrophenschutz vor Ort funktioniert. Ähnlich die Verteidigungsstrategie des Innenministers. Lewentz behauptete lange Zeit, ihm habe am Flutabend kein belastbares Lagebild vorgelegen, sondern nur Berichte über bedauerliche Einzelereignisse.

Deshalb hat das Land laut Lewentz auch nie erwogen, am Flutabend oder in der Nacht die Einsatzleitung zu übernehmen. Erst am Folgetag sei das Ausmaß der Katastrophe im Ahrtal für ihn sichtbar geworden, behauptete Lewentz noch Ende September 2022 bei seiner zweiten Befragung im U-Ausschuss. Dort wurde der Minister jedoch erstmals mit plötzlich aufgetauchten Videos eines Polizeihubschraubers vom Flutabend im Ahrtal konfrontiert.

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Der oberste Katastrophenschützer musste gehen

Mit den wenig später veröffentlichten Videos des Polizeihubschraubers fiel die Strategie des "Nichts-gewusst-haben-wollens" des Innenministers in sich zusammen. Die Videos sind ein beklemmendes Dokument der Katastrophe im Ahrtal, das nun für alle sichtbar wurde. Sie hätten dem Untersuchungsausschuss des Landtags schon viel früher als Beweismaterial zur Verfügung gestellt werden müssen. Erklärungsversuche von Lewentz und der Polizei, warum die Videos über ein Jahr verschollen waren, klangen wenig glaubwürdig.

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Flutkatastrophe im Ahrtal RLP-Innenminister Roger Lewentz erklärt Rücktritt

Der Druck nach dem Auftauchen der Flutvideos war offenbar zu groß: Innenminister Lewentz ist von seinem Amt zurückgetreten.

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Lewentz' Versuch, die dramatischen Aufnahmen zu verharmlosen, geriet zum Fiasko: Für ihn sei darauf keine Katastrophe erkennbar, weil keine Toten und keine eingestürzten Häuser und Brücken zu sehen seien. Als dann noch bekannt wurde, dass dem Innenministerium seit der Flutnacht auch ein schriftlicher Einsatzbericht der Hubschrauberbesatzung vorliegt, der aber offenbar zurückgehalten wurde, war Lewentz als Minister nicht mehr zu halten. Am 12. Oktober 2022 trat Roger Lewentz als Innenminister von Rheinland-Pfalz zurück.

Die gestürzte Ministerin

Als Anne Spiegel im März dieses Jahres als Zeugin vom Untersuchungsausschuss befragt wurde, war der Druck auf die damalige Bundesfamilienministerin bereits gewaltig. Am Ende war es einer ihrer letzten öffentlichen Auftritte. Die Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Flut führte zum Rücktritt der ehemaligen rheinland-pfälzischen Umweltministerin. Veröffentlichte Chatprotokolle, ein wenig glaubwürdiger Auftritt als Zeugin im U-Ausschuss und lückenhafte Erklärungen dazu, wie Spiegel rund um die Flut agiert hat, hinterließen insgesamt den Eindruck eklatanter Führungsschwäche.

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Dort wo Entscheidungen und Führung nötig waren, verwies die Grünen-Politikerin wiederholt auf Einschätzungen ihres Staatssekretärs Erwin Manz, an denen sie sich orientierte. Eigenständiges Handeln war kaum erkennbar. So sah die damalige Umweltministerin am 14. Juli 2021 davon ab, selbst ins Flutgebiet zu fahren, um sich ein Bild von der Lage zu machen, weil Manz davon abriet. Das berichtete sie selbst im U-Ausschuss. Als dann noch bekannt wurde, dass Spiegel zehn Tage nach der Flut einen vierwöchigen Familienurlaub gemacht hatte, war ihr Ende als Ministerin besiegelt.

Die Frage der Einsatzleitung

Hätte die Landesregierung die Einsatzleitung in der Flutnacht zum 15. Juli 2021 übernehmen müssen? Das ist eine der zentralen Fragen, die der Untersuchungsausschuss versucht hat, zu klären. Dies ist aber nur bedingt gelungen. Innenminister Lewentz hatte sich lange Zeit darauf berufen, dass die Einsatzleitung in Katastrophenfällen bei den Landkreisen liege. Das Brand- und Katastrophenschutzgesetz in Rheinland-Pfalz lässt hier aber Interpretationsspielräume.

Auch verschiedene Gutachter vertraten im Untersuchungsausschuss unterschiedliche Haltungen dazu, ob die Einsatzleitung ab einem bestimmten Punkt sogar automatisch auf das Land übergeht. Nicht lange vor seinem Rücktritt kündigte Lewentz an, dass das Gesetz überarbeitet werden solle, um hier Klarheit zu schaffen. Zudem präsentierte er Pläne für eine neue Landesbehörde, die künftig für den Katastrophenschutz in Rheinland-Pfalz zuständig sein soll. Sie soll bei Bedarf auch die Einsatzleitung bei Katastrophenlagen wie der Ahr-Flut übernehmen.

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Als Konsequenz aus der Ahr-Flut und den Folgen des Klimawandels will Rheinland-Pfalz den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz neu ausrichten. Innenminister Roger Lewentz (SPD) hat die Pläne vorgestellt.

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Die Lücken beim Hochwasserschutz

Eine wesentliche und zugleich erschreckende Erkenntnis aus Zeugenbefragungen im U-Ausschuss: In mehreren betroffenen Landkreisen entlang der Ahr gibt es keinen Alarm- und Einsatzplan (AEP) für Hochwasser, obwohl die Landkreise und Gemeinden dazu verpflichtet sind, solche Pläne zu erstellen. Auch im von der Flut am meisten geschädigten Kreis Ahrweiler gibt es keinen AEP.

Darin soll unter anderem festgeschrieben sein, was die Einsatzkräfte bei Hochwasserlagen wann zu tun haben. Im Kreis Ahrweiler gibt es auch keine sogenannte Warnkette. Viele Feuerwehrleute aus dem Kreis, die in der Flutnacht im Einsatz waren, erklärten im U-Ausschuss somit auch, dass sie keine Nachbargemeinde gewarnt hätten oder selbst gewarnt worden seien.  

Die geplante Neuausrichtung des Katastrophenschutzes sieht vor, dass alle Landkreise und kreisfreien Städte in Rheinland-Pfalz künftig Alarm- und Einsatzpläne vorweisen müssen, die sich an Landesvorgaben orientieren. Zudem soll das Land dann beaufsichtigen dürfen, ob diese Vorgaben auch eingehalten werden. Das ist bisher nicht möglich.

Der abgetauchte Landrat

Von Jürgen Pföhler war auch im Untersuchungsausschuss am 8. Juli 2022 nicht zu erfahren, was er in der Flutnacht getan oder auch nicht getan hat. Weil die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler ermittelt - wegen womöglich zu später Warnungen und Evakuierungen - verweigerte der CDU-Politiker die Aussage im U-Ausschuss und machte von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.

RLP

Zeugenaussagen in Flut-Untersuchungsausschuss Mitarbeiter: "Pföhler war in Flutnacht nicht wieder zu erkennen"

Im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe hat ein enger Mitarbeiter des damaligen Landrates des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), ausgesagt. In der Flutnacht habe er Pföhler ganz anders erlebt als sonst, sagte Erich Seul.

Berichte anderer Zeugen belasten den ehemaligen Landrat: Demnach war Pföhler am Flutabend mehr oder weniger abgetaucht. In der Einsatzzentrale des Kreises wurde er nur kurz gesehen, etwa für einen kurzen Fototermin mit Innenminister Lewentz. Beobachtet wurde Zeugen zufolge auch, wie Pföhler seinen Sportwagen in Sicherheit brachte.

Auch telefonisch war er offenbar nur schlecht zu erreichen, wie Mitglieder der Einsatzleitung oder auch Cornelia Weigand (parteilos), die frühere Bürgermeisterin von Altenahr und heutige Landrätin des Kreises Ahrweiler, berichteten. Die Einsatzleitung hatte er an den Katastrophenschutzinspekteur des Kreises abgetreten, gegen den ebenfalls ermittelt wird.

Die bisherige Bilanz

Die Aufklärung der Abläufe und Verantwortlichkeiten in der Flutkatastrophe durch den Untersuchungsausschusses des Landtags hat bereits jetzt eine ungewöhnlich starke Wirkung entfacht. In Folge der parlamentarischen Aufarbeitung mussten nicht nur zwei Minister ihre Ämter aufgeben. Darüber hinaus wurden erhebliche Mängel und Sicherheitslücken beim Katastrophen- sowie Hochwasserschutz in Rheinland-Pfalz zutage gefördert.

Deutlich wurde auch, dass es beim Katastrophenschutz keine einheitlichen Standards in den verschiedenen Kommunen des Landes gibt und jede Menge Verantwortung auf den Schultern von Ehrenamtlichen lastet. Als Konsequenz hat die Landesregierung unter anderem einen verbesserten Hochwasserschutz in Aussicht gestellt. Auch das Katastrophenschutzgesetz soll demnach - wie zuvor bereits beschrieben - demnächst auf den Prüfstand kommen und überarbeitet werden.

Ob der Rücktritt einer Ministerin und eines Ministers ein Erfolg ist, darüber lässt sich streiten. Er macht aber deutlich, dass sich auch Regierungsmitglieder für ihr Verhalten am Ende verantworten müssen. Die Arbeit des U-Ausschusses hat mit dafür gesorgt, dass deutlich wurde, dass Anne Spiegel und Roger Lewentz ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung als Umweltministerin und Innenminister rund um die Flut nicht gerecht wurden. Dies aufzuarbeiten und mit Beweismitteln zu belegen, gehört zu den Aufgaben eines Untersuchungsausschusses.

Diesen Fragen wird sich die Ministerpräsidentin noch stellen müssen

Mit dem Rücktritt von Innenminister Lewentz sind längst nicht alle Fragen beantwortet. Der Rücktritt ist auch kein Befreiungsschlag für die Landesregierung und ihre Ministerpräsidentin. Der noch amtierende SPD-Landesvorsitzende hat weder Fehler eingeräumt, noch hat er beantwortet, warum wichtige Beweismittel nicht rechtzeitig zur Verfügung gestellt wurden. Ebenso wenig ist klar, warum die Landesregierung damals so seltsam passiv war.

Malu Dreyer wird nun erneut Stellung dazu nehmen müssen, etwa warum sie keinen Krisenstab einberufen hat am Flutabend, obwohl es so viele Hinweise auf eine katastrophale Lage gab. Und warum sie als Ministerpräsidentin selbst für den Innenminister, ihren Vertrauten, wie sie Lewentz selbst bezeichnet hat, schon gegen Mitternacht in einer Krisenlage nicht mehr telefonisch erreichbar war. Auch die Kurznachricht, in der Lewentz gegen ein Uhr nachts erstmals eine Flutkatastrophe andeutete, hat Dreyer nach eigenen Angaben erst am kommenden Morgen wahrgenommen.

Die Oppositionsfraktionen von CDU und AfD im Landtag haben bereits angekündigt, dass sie den Blick nun auf Dreyer richten und die Frage nach ihrer Verantwortung aufarbeiten wollen. Die CDU wirft Dreyer vor, sie hätte sich selbst in der Katastrophennacht mehr einbringen müssen. Der Vorwurf der AfD: Die Ministerpräsidentin habe Lewentz noch das Vertrauen ausgesprochen, "als sein Versagen nicht mehr zu leugnen war". Die CDU-Fraktion will Dreyer erneut als Zeugin in den Untersuchungsausschuss laden. Das kündigte Fraktionschef Christian Baldauf im SWR an.

Das offene Ende

Auch nach einem Jahr Aktenauswertung und Beweisaufnahme sehen die Ausschussmitglieder also weiterhin Aufklärungsbedarf. Wann der "Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe" seine Arbeit beenden und einen Abschlussbericht vorlegen wird, ist aktuell nicht absehbar. Der Ausschuss-Vorsitzende Martin Haller (SPD) erklärte: "Der Ausschuss dauert so lange, wie wir noch Fragen haben."

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