Was hat Neustadt an der Weinstraße mit der deutschen Kolonialherrschaft zu tun? Die Antwort findet sich im sogenannten Afrikaviertel der Stadt: Dort gibt es Straßen, die nach Akteuren aus der Kolonialzeit benannt sind. So mündet hier die Lüderitzstraße in die Von-Wissmann-Straße. Adolf Lüderitz, der erste deutsche Landbesitzer im heutigen Namibia, hatte die Einheimischen mit Betrug dazu gebracht, ihm Land abzutreten. Der Kolonialeroberer Hermann von Wissman war für sein äußerst brutales Vorgehen in Afrika bekannt.
Bezug zu Nazizeit oder Kolonialismus? Straßennamen in Neustadt auf dem Prüfstand
Die Stadt Neustadt an der Weinstraße lässt bei 150 Straßennamen prüfen, ob sie einen Bezug zum Nationalsozialismus oder zum Kolonialismus haben. Ein Institut der Uni Mainz forscht nach.
Straßennamen, die Bezüge zur deutschen Kolonialgeschichte haben, sind in Rheinland-Pfalz kein Einzelfall. Auch Verbindungen zum Nationalsozialismus finden sich noch immer. Die Kommunen gehen unterschiedlich damit um.
- Wie ermitteln die Kommunen problematische Straßennamen?
- Warum ist die historische Einordnung manchmal schwierig?
- Welcher Aufwand muss für eine Umbenennung betrieben werden?
- Gibt es Alternativen zur Umbenennung?
Wie ermitteln die Kommunen problematische Straßennamen?
In Neustadt befasst sich derzeit eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit der Frage, welche Straßennamen noch tragbar sind und in welchen Fällen eine Umbenennung empfehlenswert ist. Sie hat dazu 150 Straßennamen analysiert. Ebenso wie Neustadt haben sich viele Kommunen Experten zur Hilfe geholt, um ihre Straßennamen durchleuchten zu lassen. Denn wer kennt schon alle Namensgeber seiner Straßen und kann beurteilen, welche Rolle sie in der Geschichte gespielt haben? Die Stadt Trier lässt derzeit von einer Fachkommission 1.000 Straßennamen untersuchen. In Landau hat das Stadtarchiv alle nach Personen benannten Straßen, Wege und Plätze untersucht und seine Ergebnisse Anfang März vorgelegt.
Andere Städte haben diesen Prozess schon etwas früher hinter sich gebracht: In Mainz beispielsweise hat die Arbeitsgruppe "Historische Straßennamen" im Februar 2020 ihren Abschlussbericht vorgelegt.
Warum ist die historische Einordnung manchmal schwierig?
Straßennamen dienen nicht nur der Orientierung – sie sind auch Teil der Erinnerungskultur. Das schreibt der Deutsche Städtetag in einer Handreichung und benennt auch gleich das Problem: Historische Personen, Orte und Ereignisse, nach denen Straßen benannt werden, werden zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich bewertet. Aktuell lässt sich das an den Diskussionen um den Bischof-Stein-Platz in Trier beobachten.
Vertuschungsvorwürfe gegen ehemaligen Bischof Warum der Bischof-Stein-Platz in Trier so umstritten ist
Der Stadtrat beschäftigte sich erneut mit Vertuschungsvorwürfen gegen den früheren Bischof Bernhard Stein. Ein Platz ist nach ihm benannt. Wie lange noch?
Hindenburgstraßen - Namen beibehalten oder nicht?
Ein besonders kontroverses Beispiel ist darüber hinaus der Fall Hindenburg. Deutschlandweit wurden hunderte Straßen nach dem ehemaligen Weltkriegsgeneral und Reichspräsidenten benannt, viele davon zu Anfang der Nazizeit. Paul von Hindenburg hatte 1933 durch sein politisches Handeln Adolf Hitler zur Macht verholfen. Inwieweit der "Steigbügelhalter Hitlers" die Folgen seines Tuns tatsächlich absehen konnte, darüber ist in Nachkriegsdeutschland viel spekuliert worden. Möglicherweise ist diese historische Uneindeutigkeit ein Grund dafür, dass es im Umgang mit den zahllosen Hindenburgplätzen, - straßen und -alleen in Deutschland bis heute keine einheitliche Linie gibt. So sind zwar viele von ihnen umbenannt worden - viele existieren aber bis heute. In Mainz gibt es zum Beispiel einen Hindenburgplatz und eine Hindenburgstraße - die zuständige Arbeitsgruppe kam mehrheitlich zu dem Schluss, dass keine hinreichenden Gründe für eine Umbenennung vorliegen.
Anders fiel das Ergebnis in Landau aus, wo nach Bedenken der dortigen Arbeitsgruppe jetzt über den Fortbestand des Namens "Hindenburgstraße" diskutiert wird. In Trier beschloss der Stadtrat, dass Hindenburg kein ehrendes Gedenken mehr zuteil werden soll. Die Trierer Hindenburgstraße wurde im Februar in Gerty-Spies-Straße umbenannt.
Welcher Aufwand muss für eine Umbenennung betrieben werden?
Ein Grund dafür, dass an problematischen Straßennamen festgehalten wird, ist der enorme Aufwand, der mit einer Umbenennung verbunden ist. Anwohner müssen ihre Adressangaben ändern lassen - nicht nur in ihren Pässen, sondern auch bei Versicherungen, Banken und sonstigen Kontakten. Unternehmen brauchen neues Briefpapier und neue Visitenkarten.
Schwierigkeiten gibt es auch mit den Navigationssystemen. Der Deutsche Städtetag weist darauf hin, dass geänderte Straßennamen nur zeitverzögert in Navigationssysteme aufgenommen werden. Damit bestehe die Gefahr, dass Anwohner unter der neuen Adresse vorübergehend nicht gefunden würden.
Gibt es Alternativen zur Umbenennung?
Um dieses Problem zu umgehen, setzen manche Kommunen darauf, Straßen mit problematischem Namen mit zusätzlichen Hinweisen zu versehen. So werden an Straßenschildern etwa Zusatzschilder oder QR-Codes mit Informationen über den Namensgeber angebracht.
Der Stadtrat von Koblenz hat sich dafür ausgesprochen, mit solchen Hinweisen zu arbeiten. Er hat sich bewusst dazu entschieden, auch Straßen mit problematischen Namen nicht umzubenennen.
"Durch die Beibehaltung aller Straßenbenennungen wird den nachfolgenden Generationen die Möglichkeit gegeben, sich der Zeitbedingtheit von Straßennamen bewusst zu werden."
Den Bürgerinnen und Bürgern werden nun im Internet kritische Informationen über die Namensgeber zur Verfügung gestellt. So lässt sich online beispielsweise erfahren, dass der Namensgeber der Friedrich-Syrup-Straße 1932/33 kurz als Reichsarbeitsminister amtierte und fest in das Unrechtsregime der Nazis eingebunden war.

Die Grünen in Koblenz, die schon 2017 einen Antrag auf Umbenennung der Friedrich-Syrup-Straße gestellt hatten, würden sich eine andere Haltung im Umgang mit belasteten Namen wünschen. Für sie wäre die Umbenennung solcher Straßen ein deutliches Signal gegen Rechts und ein Zeichen gegen Hass und Diskriminierung.
Umwidmung von Carl-Peters-Straßen
Einen besonders kreativen Kniff haben sich viele Städte im Land mit ihren ursprünglich nach dem Kolonialisten Carl Peters benannten Straßen einfallen lassen. Dieser gilt als Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Sein brutales Vorgehen gegen die einheimische Bevölkerung brachte ihm den Spitznamen "Hänge-Peter" ein.
Viele Kommunen verfielen auf die Idee, dass sich der Allerweltsname hervorragend für eine Umwidmung eignet. In Kaiserslautern etwa behielt die "Karl-Peters-Straße" ihren Namen, seit dem Jahr 2015 weist sie nun aber offiziell auf den wenig bekannten Astronomen Karl Peters (1844 - 1894) hin. Ähnlich verfuhr man in Neustadt an der Weinstraße: Die dortige Carl-Peters-Straße wurde in "Karl-Peters-Straße" umbenannt und ist nun einem gleichnamigen deutschen Rechtswissenschaftler (1904 - 1998) gewidmet.