Schon lange vor Beginn der Klimakrise haben Menschen damit begonnen, die sie umgebende Natur dauerhaft zu verändern. Am Malawi-See in Ostafrika konnten Forscher belegen, dass es bereits vor 85.000 Jahren bewusste Eingriffe zur Landschaftsgestaltung gab. Jetzt hat eine Forschergruppe um die Mainzer Archäologin Sabine Gaudzinski-Windheuser nachgewiesen, dass Menschen vor 125.000 Jahren damit begonnen haben, ihre natürliche Umwelt zu verändern.
"Die Neandertaler im heutigen Sachsen-Anhalt nutzten Feuer, um Waldgebiete offen zu halten - und hatten damit einen weit größeren Einfluss auf ihre lokale Umgebung als bislang angenommen", erklärt die Wissenschaftlerin über ihre Forschung in Neumark-Nord, einem ehemaligen Braunkohle-Abbaugebiet in der Nähe von Halle.
"Die Neandertaler sind für uns schwer zu lesen."
Spuren der Neandertaler in früherem Braunkohlegebiet
"Neumark-Nord ist ein absolut einzigartiges Archiv", sagt Gaudzinski-Windheuser. Weltweit gebe es keine andere Region, in der Zeugnisse aus dem Pleistozän so gut erhalten seien - dieser Zeitabschnitt der Erdgeschichte endete vor etwa 11.700 Jahren. Die bisherigen Forschungsergebnisse hat sie zusammen mit internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in einem Beitrag für die Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlicht.
In dem Grabungsgebiet wurde früher Braunkohle gefördert. Ab 1987 forschte der Archäologe Dietrich Mania in dem Gebiet - teilweise habe er in den letzten Jahren der DDR vor dem Bagger paläontologische Funde gerettet, heißt es im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Wo einst die Neandertaler waren, entsteht heute mit der Flutung von Gräben ein Seen- und Erholungsgebiet.
Die Leiterin des Archäologischen Forschungszentrums und Museums für menschliche Verhaltensevolution auf Schloss Monrepos bei Neuwied, einer Einrichtung des Mainzer Leibniz-Forschungsmuseums RGZM, stieg 2005 in die Erforschung von Neumark-Nord ein. Sie wertete Befunde zur Vegetation und Fauna des Gebiets aus und ging Hinweisen auf die Nutzung von Feuer durch die einst dort lebenden Neandertaler nach.

Viele Funde deuten aufs Feuermachen hin
"Man kann genau sehen, wie die Flora vor Ort zusammengesetzt, wie die Vegetationsentwicklung war", so die Wissenschaftlerin über den Nachweis von 160 Pflanzenarten. Auf kleiner Fläche wurden 160 bis 170 Tierkarkassen gefunden - Knochengerüste, "die von Menschen auseinandergenommen wurden und bei denen wir davon ausgehen, dass Feuer im Sinne des Räucherns eine große Rolle gespielt hat".
In diesem Siedlungsgebiet wurden auch Feuersteine gefunden, die als Werkzeuge genutzt wurden, sowie viele Reste von Holzkohle. "Dort wo der Mensch ansässig ist, nimmt die Holzkohle massiv zu", hat Gaudzinski-Windheuser festgestellt.
Haben die Neandertaler auch gekocht und gebraten?
Zu den Funden zählen mehrere, teilweise nahezu vollständige Skelette von großen Säugetieren wie Europäische Waldelefanten, Nashörner, Hirsche, Auerochsen, Bären und Rentiere. Die Forscher untersuchten die Tierknochen und Proteinreste. "Neben dem Räuchern könnte auch Kochen und Braten eine Rolle gespielt haben", sagt die Archäologin - exakte Nachweise dafür gebe es bislang aber nicht.
Die Forscherinnen und Forscher bargen kleine Feuerstein-Geräte, mit denen die gejagten Tiere zerlegt wurden. Dabei handelt es sich um Abschläge von natürlichen Steinen mit der Absicht, eine möglichst scharfe Kante zu erhalten. Die Holzkohlestücke lagen zum Teil zwischen Ablagerungen von Muscheln und Schnecken. Die Forschergruppe versucht, den "ökologischen Fußabdruck" dieser Jäger und Sammler zu ermitteln, deren Anwesenheit in der Region Neumark-Nord sich über eine Zeitdauer von etwa 2.000 Jahren nachweisen lässt.
Waren die Neandertaler Baumfäller?
Ob die dort lebenden Neandertaler bewusst Bäume gefällt haben, ist in letzter Konsequenz bislang nicht nachweisbar. "Schon vor 200.000 Jahren hatte der Mensch eine ganze Werkstatt von Gerätschaften für die Holznutzung", sagt die Professorin. "Wir sehen die Geräte, wir sehen das Ergebnis in der Vegetation, können aber nicht sagen, wie dieses zustande gekommen ist." Das Verständnis des Neandertalers sollte sich jedenfalls lösen von der Vorstellung des physisch und geistig sehr beschränkten frühen Menschen, sagt Gaudzinski-Windheuser.
Aufgrund der Forschungen in Neumark-Nord müsse wohl auch die bisherige Auffassung revidiert werden, dass die Neandertaler in kleinen Gruppen von 10 bis 20 Menschen lebten. "Es mehren sich die Hinweise, dass sie zumindest zeitweise in größeren Gruppen zusammen waren, mit drei Generationen, und sich Jagdbeute geteilt haben." Diese Gruppen von Männern, Frauen und Kindern seien das ganze Jahr über vor Ort gewesen und hätten dann auch Einfluss genommen auf ihre natürliche Umgebung.
"Weil er es kann" - Neandertaler jagten nicht nur für Nahrung
Mit der Jagd auf große Tiere wirkten die Neandertaler vermutlich auch auf die Bestandsentwicklung dieser Arten ein - hierin sieht Gaudzinski-Windheuser einen Ansatz für weitere Forschungsarbeiten zu Neumark-Nord. "Der Neandertaler jagt die größten und gefährlichsten Tiere seiner Zeit", so die Forscherin. Es gebe Hinweise, dass er auch dem Europäischen Waldelefanten nachgestellt habe, auch ohne unmittelbares Verwertungsinteresse. "Er tut das, weil er es kann."
Für diese Zeit könne auch beobachtet werden, dass Stellung und Prestige bedeutsam geworden seien. Es werde Schmuck hergestellt - und damit etwas, mit dem das Individuum aus der Gruppe heraustrete.
"Die Neandertaler sind für uns schwer zu lesen", sagt die Wissenschaftlerin. "Wir haben mitunter noch nicht mal die Wörter für das, was wir im archäologischen Nachweis beobachten, weil uns die Referenz dafür fehlt." So könne auch nur vermutet werden, dass diese frühen Menschen ein anderes Verhältnis zur Natur gehabt hätten. Sicher ist den Angaben nach nun aber, dass die Eingriffe in Natur und Klima schon vor mehr als 100.000 Jahren begannen - allerdings in sehr viel kleinerem Umfang als heute.