Aus Sicht von Klaus-Peter Hammer, Vorsitzendem der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Rheinland-Pfalz, war die Entscheidung des Bildungsministeriums, die Prüfungen regulär im Januar zu schreiben, die richtige. Die rheinland-pfälzischen Schüler, die an G9-Gymnasien oder an integrierten Gesamtschulen ihr Abitur ablegen, hätten jetzt einen Vorteil gegenüber den Mitschülern, die erst im Juni die schriftliche Prüfung durchführen: Sie könnten sich nach bestandener Prüfung in jedem Fall zum Sommersemester an in- und ausländischen Universitäten einschreiben.
Cornelia Schwartz, Vorsitzende des Philologenverbands Rheinland-Pfalz, teilt diese Sichtweise: "In Rheinland-Pfalz wäre es nicht sinnvoll gewesen, die Abiturprüfungen zu verschieben, denn unsere Prüflinge waren darauf vorbereitet, hatten seit Sommer regulären Unterricht, sofern die entsprechenden Jahrgänge oder einzelne Schülerinnen und Schüler nicht in Quarantäne waren."
Ideale Bedingungen, um Gesundheitsschutz sicherzustellen
Die Lehrerin hält den für die Prüfungen gewählten Zeitpunkt auch deshalb für günstig, weil streng auf die Einhaltung der Maßnahmen zum Gesundheitsschutz geachtet werden konnte: "Jetzt können die räumlichen Abstände bei den schriftlichen Prüfungen gut eingehalten werden, da die Schulen wegen des Lockdowns nun etwas mehr Platz haben, selbst wenn natürlich gleichzeitig die Notbetreuung läuft." Zu Beginn hätte es Befürchtungen gegeben, dass das Aufkommen von vermehrten Nachschriften durch erkrankte oder sich in Quarantäne befindende Prüflinge eine enorme Zusatzbelastung für die Prüfenden entstehen könnte, so Schwartz. "Bisher haben uns hierzu aber noch keine Schreckensmeldungen erreicht."
Schwartz merkt außerdem an: "Hätte man die Abiturprüfungen verschoben, hätten wir nicht mehr garantieren können, dass im März alle ihr Abiturzeugnis in der Hand halten, denn die Klausuren müssen ja irgendwann auch korrigiert werden." Bis zur Ausgabe des Abiturzeugnisses sei ohnehin "alles sehr eng getaktet". Ein Verschieben sei wegen der extremen zeitlichen Enge kaum denkbar. "Soweit ich mitbekommen habe, sind auch die Prüflinge froh, dass sie die Klausuren hinter sich bringen können - wer schiebt schon gerne eine Prüfung vor sich her?"
Schüler zweifelt Chancengleichheit an
Etwas anders sehen das möglicherweise betroffene Schüler. Robin Baron, Abiturient aus Kaiserslautern, schreibt dem SWR: "Alles in allem fühle ich mich als Abiturient dieses Jahres absolut benachteiligt." So sei die Vorbereitungszeit in den vergangenen Jahren "viel intensiver" gewesen. "Die Schüler hatten normalen, regelmäßigen Unterricht, selbstverständlich in Präsenzform. Sie konnten sich in Kleingruppen treffen, lernen, Dinge besprechen. Außerdem waren die Lehrer vor Ort, um Dinge zu klären." Für den aktuellen Jahrgang hingegen sei die Vorbereitung auf das Abitur bereits vom ersten Lockdown im Frühjahr und dem damit einhergehenden Unterrichtsausfall geprägt gewesen.
Obwohl auch der Abiturient nach seiner ersten schriftlichen Prüfung feststellt, dass die Organisation der Prüfung selbst "sehr gut" gewesen sei, plädiert er dafür, die erschwerten Bedingungen bei der Notenfindung zu berücksichtigen. Er selbst habe zwar "großes Glück" gehabt, an technischer Ausstattung und einer guten Internetverbindung habe es ihm nicht gemangelt. Nur: Das gelte nicht für alle Schüler. "Sich den Unterrichtsstoff selbst aneignen zu müssen, war für viele problematisch, da nicht jeder technisch, organisatorisch, sowie sozial gleichermaßen gut ausgestattet ist", so der Schüler.
Landeselternsprecher: Bisher keine Beschwerden
Seitens der Eltern berichtet Landeselternsprecher Reiner Schladweiler dem SWR, bis jetzt seien keine Beschwerden beim Beirat eingegangen: "Viele Eltern sind froh, wenn die schriftlichen Prüfungen hinter Ihren Kindern liegen." Notfalls könnten und sollten allerdings Nachteile in der mündlichen Prüfung "kaschiert" werden.
Sabine Schmidt, Sprecherin des rheinland-pfälzischen Bildungsministeriums, erklärt, dass den rheinland-pfälzischen Schülern durch die aktuelle Situation keine Nachteile entstehen sollen. Das habe die Kultusministerkonferenz bereits 2020 beschlossen - und werde sich um entsprechende Regelungen bemühen.