Eisperiode im Februar 1956 in Mainz: Spaziergänger laufen über den zugefrorenen Rhein an der Theodor-Heuss-Brücke - auf dem Bild ein Badge zu 75 Jahre RLP (Foto: SWR Montage/Bundesanstalt für Wasserbau)

Von Packeis, Unverpackt-Läden und unerfüllten Träumen

75 Jahre Rheinland-Pfalz - Zeitzeuginnen spazieren durch den Alltag von früher

Stand
AUTOR/IN
Andrea Lohmann

Kronjuwelenhochzeit an Rhein und Mosel: Vor 75 Jahren wurde Rheinland-Pfalz gegründet. Zum Landesjubiläum machen wir mit zwei Zeitzeuginnen eine Zeitreise in den Alltag von damals.

Verliebt, verlobt, verheiratet - so war es ganz und gar nicht, als 1946/1947 hessische, nassauische, preußische und bayerische Landesteile miteinander verheiratet wurden. Ergebnis der Liaison war ein neues Bundesland mit dem Familiennamen Rheinland-Pfalz.

Es war eine arrangierte Hochzeit - eingefädelt von der französischen Besatzungsmacht und von den Menschen mit großer Skepsis beäugt. "Da war auf einmal alles ganz anders, da musste man sich wirklich dran gewöhnen", erinnert sich Maria Johannides aus Mainz noch heute gut an das befremdliche Gefühl von damals. Die damals 23-Jährige fühlte sich zur hessisch-nassauischen Provinz Rheinhessen zugehörig, die Region reichte bis nach Darmstadt und Offenbach. "Da hat man gewusst, dass man dazugehört und dann war das plötzlich weg, auch die ganzen Vororte von Mainz auf der anderen Rheinseite." Mittlerweile fühlen sich die Menschen ihrem Bundesland eng verbunden.

Maria Johannides aus Mainz erinnert sich noch gut an die Landesgründung - das neu zugeschnittene Land fühlte sich fremd an. (Foto: SWR, Andrea Lohmann)
Maria Johannides wurde am 10. Mai 1924 geboren und lebt auch heute noch in Mainz.

Das Leben in den Anfangsjahren scheint heute Lichtjahre entfernt zu sein von unserem Alltag. "Es war einfach alles ganz anders", das sagen die 98-jährige Maria Johannides und die 93-jährige Anna-Maria Gehindy unisono.

Eine Ausbildung machen, einen Beruf nach den eigenen Interessen lernen, das stand für beide Frauen nicht zur Diskussion. "Ich durfte keine Lehre machen, wir hatten ja Landwirtschaft", erinnert sich Maria Johannides, deren Eltern einen Milchbauernhof hatten. Sie war noch keine 14 Jahre alt, als sie mit der Schule fertig war und fortan zuhause mit anpacken musste. Ähnlich erging es auch der heute 93-jährigen Anna-Maria Gehindy aus Ingelheim. Auch ihre Eltern hatten Landwirtschaft und bauten unter anderem Spargel, Kirschen und Pfirsiche an. "Du musst im Feld helfen, Du kannst nichts lernen", hörte Anna-Maria Gehindy von ihrer Mutter.

Der Alltag mit Kohleofen, Zinkwanne und fleißigen Briefträgern

Der Alltag, so erinnern sich die Zeitzeuginnen, war in vielen Dingen beschwerlicher - in mancherlei Hinsicht aber auch überraschend praktisch. Geheizt wurde früher mit Kohle - aber mit großem Bedacht: "Wir hatten schon mehrere Öfen zum Heizen, aber es wurde eigentlich nur in der Küche geheizt, weil man sich da aufgehalten hat", erinnert sich Maria Johannides. Als später eine Gasheizung kam, "da konnte ich nicht einschlafen, das war eine große Umstellung, weil es insgesamt wärmer war".



Auf dem Küchenfeuer wurde bei der Familie von Anna-Maria Gehindy auch das Wasser zum Baden warm gemacht. Immer am Samstag, dann war Badetag - und zwar für die ganze Familie. In der Küche wurde die Zinkwanne aufgestellt und dann wurde in genau festgelegter Reihenfolge gebadet: "Erst sind wir Kinder gebadet worden, dann kamen die Eltern an die Reihe und wenn das Wasser noch gut war, hat auch noch unsere Oma gebadet." Anna-Maria Gehindy erinnert sich, dass das so noch bis in die 1950er Jahre üblich war.

Anders als beim Baden gab es bei der Post eine viele höhere Schlagzahl als heute: "Der Briefträger kam zweimal am Tag. Morgens früh und dann nochmal am Nachmittag. Und an allen Wochentagen, bis auf den Sonntag", erzählt Maria Johannides.

Unverpackt-Läden waren normal

Rund um die Elternhäuser der beiden Seniorinnen gab es sämtliche Geschäfte des täglichen Lebens: Ob Bäcker, Metzger, den klassischen Tante-Emma-Laden oder das Milchgeschäft - "wir hatten alles in der Straße und konnten hinlaufen", erinnert sich Maria Johannides an den Alltag im Mainzer Stadtteil Bretzenheim. Die Milch ließ sich die Familie von Anna-Maria Gehindy in Kannen abfüllen und auch Zucker oder Mehl gab es nicht in fertigen Päckchen. "Da gab es Spitztüten und dann kaufte man eben ein Pfund oder ein Kilo Mehl lose", erinnert sie sich. Heute würde man von umweltfreundlichen Unverpackt-Läden sprechen.

Anna-Maria Gehindy war im Jahr der Landesgründung von Rheinland-Pfalz 18 Jahre alt.  (Foto: SWR, Andrea Lohmann)
Anna-Maria Gehindy ist am 21. Mai 1929 in Ingelheim zur Welt gekommen. Dort lebte sie viele Jahre, heute ist in Mainz ihr Zuhause.

In diesen Anfangsjahren von Rheinland-Pfalz war das Leben in vielen Bereichen auf Kante genäht, es wurde geflickt und repariert, wo es nur ging. Wegschmeißen - das war den Menschen ein Fremdwort. Nachhaltigkeit war damals Normalität. Maria Johannides holt eine fünf Zentimeter kleine Miniatur-Milchflasche hervor, in der ein Nähset verpackt ist - Nähgarn, Näh- und Sicherheitsnadel sowie Fingerhut, alles drin. Ein nachhaltiger, ökologischer Werbeartikel, den vor mehr als 70 Jahren die Kunden auf dem Milchhof der Eltern geschenkt bekamen.

In einer Miniatur-Milchkanne versteckt sich ein Nähset - diesen Werbeartikel hat der Mainzer Milchhof Schrohe vor 75 Jahren als Werbeartikel verteilt (Foto: SWR, Andrea Lohmann)
Milchbauer Schrohe aus Mainz verteilte diese Miniatur-Milchfläschchen als Werbegeschenk.

Der Rhein - Schwimmbad und Schlittschuhbahn

Freizeit - für die beiden über 90-jährigen Frauen ein Fremdwort, auch heute noch. Irgendwas ist immer zu tun, da sind sie sich einig. Mit leeren Händen gehen, das ist verschwendete Zeit. Aber der Spaß und die Freude blieben dennoch nicht ganz auf der Strecke, erzählt Anna-Maria Gehindy und strahlt bei der Erinnerung: "Wir waren immer eine ganze Gruppe als ich so 17 oder 18 war. Da sind wir mit den Rädern zum Rhein in Heidenfahrt zum Schwimmen." Gefährlich war das damals genauso wie heute. Sie erinnert sich an zwei ertrunkene Bekannte. Sie selbst hatte schon mit fünf Jahren schwimmen gelernt, genauso wie radfahren.

An den Rhein zog es die Jugendlichen auch im Winter. Früher war es immer wieder so kalt, dass die Menschen über den zugefrorenen Fluss laufen konnten. Heute undenkbar - präsent ist die Erinnerung aus dem Jahr 2018 als man bei Bingen nach einer langen Hitzeperiode durch den Fluss zum Binger Mäuseturm laufen konnte.

Packeis im Rhein bei Oberwesel im Jahr 1947. (Foto: Bundesanstalt für Wasserbau)
1947 - das Jahr der Landesgründung - war es die Wintermonate über eisig kalt in Rheinland-Pfalz. Packeis türmt sich hier bei Oberwesel an der "Tauberwerth" auf, einer Insel, die bei Niedrigwasser begehbar ist. Bild in Detailansicht öffnen
Eisperiode im Februar 1956 in Mainz: Spaziergänger laufen über den zugefrorenen Rhein an der Theodor-Heuss-Brücke. (Foto: Bundesanstalt für Wasserbau)
Klirrend kalt war es auch im Februar 1956. Die Eisperiode führte zum Teil zum Zufrieren des Flusses, so wie hier in Mainz an der Theodor-Heuss-Brücke. Bild in Detailansicht öffnen
2018 gibt es eine lang anhaltende Hitze- und Dürrephase in Rheinland-Pfalz. Der Rhein-Pegel sinkt immer weiter. Der Binger Mäuseturm ist schließlich zu Fuß erreichbar.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Thomas Frey)
Heute ist es so trocken, dass der Pegelstand des Rheins im Sommer sinkt und sinkt - so wie 2018. Damals war es so trocken, dass das Wahrzeichen von Bingen (Landkreis Mainz-Bingen), der Mäuseturm, zu Fuß erreichbar war. Das Gebäude steht eigentlich umgeben von Wasser mitten im Fluss. Bild in Detailansicht öffnen

1947 war einer der kältesten Winter überhaupt. Im Februar 1947 waren es durchschnittlich -5 Grad und bei Oberwesel türmte sich das Packeis. "Ich habe den Rhein mehrfach zugefroren erlebt und dann sind wir rauf zum Eislaufen." Schlittschuhe hatte Anna-Maria Gehindy schon früh, "dafür hat meine Mutter gesorgt". Wobei der Schlittschuh eigentlich nicht mehr war als die Kufe mit einer Vorrichtung zum Festschnallen am Straßenschuh.

Bratwurst im Brötchen für eine Mark

"Wir mussten viel arbeiten, aber wir hatten auch viel Spaß", sagt die Ingelheimerin rückblickend, die mehr Gelegenheiten zum Feiern hatte als das "Stadtkind" Maria Johannides. Weinfeste waren für die Mainzerin unerreichbar weit weg - im sieben Kilometer entfernten Klein-Winternheim oder eben in Ingelheim. "Ich konnte ab 18 zum Weinfest, vorher nicht. Das war schön und laut", sagt dagegen Anna-Maria Gehindy. Und vor allem war wichtig: "Eine Wurst, eine Bratwurst im Brötchen für eine Mark, die musste immer sein."

Auf eine andere Freizeitaktivität hätte Anna-Maria Gehindy gerne verzichtet: auf den obligatorischen Sonntagsspaziergang mit den Eltern, selbst als sie schon fast erwachsen war. Aber: "Früher war das so, da haben wir gemacht, was uns gesagt wurde." Freiheit, Selbständigkeit so wie heute - das hätten Anna-Maria Gehindy und Maria Johannides in ihrer Jugend beide gerne gehabt. Dann hätten sie wohl beide ihren Traumberuf lernen können: Anna-Maria wäre Erzieherin geworden, Maria Johannides Schneiderin.

Rheinland-Pfalz

Politrend zum 75-jährigen Landesjubiläum Mehrheit fühlt sich Bundesland Rheinland-Pfalz verbunden

75 Jahre nach Verabschiedung der Verfassung fühlen sich die meisten Rheinland-Pfälzer dem Land verbunden. Die Lebensbedingungen in Stadt und Land werden gleich gut bewertet.

Zur Sache Rheinland-Pfalz Extra zum Landesjubiläum SWR Fernsehen RP

Stand
AUTOR/IN
Andrea Lohmann