"Stern"-Reporter Gerd Heidemann präsentiert die vermeintlichen Hitler-Tagebücher (Foto: dpa Bildfunk, picture-alliance/ dpa | Chris Pohlert)

Vermeintliche Weltsensation endete als publizistische Katastrophe

Vor 40 Jahren: Bundesarchiv Koblenz entlarvt Hitler-Tagebücher als Fake

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Andreas Krisam

Heute vor 40 Jahren gab das Magazin "stern" bekannt, die Tagebücher Adolf Hitlers gefunden zu haben. Das Bundesarchiv in Koblenz half, die Dokumente als Fälschung zu enttarnen.

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Zwei Dutzend Fernsehteams und mehr als 200 Reporterinnen und Reporter sind am 25. April 1983 im Hamburger Verlagshaus der Zeitschrift stern versammelt. Sie hören Nachrichtenchef Gunther Schönfeld zu.

Er präsentiert die frisch entdeckten Tagebücher von Adolf Hitler. Eine vermeintliche Sensation, die es laut Schönfeld nötig mache, dass die Biografie Hitlers und mit ihr die Geschichte des NS-Staates in großen Teilen neu geschrieben werden müsse.

Die Bände seien aus einem Flugzeug Hitlers geborgen worden, das kurz vor Kriegsende in der Nähe von Danzig abgestürzt sei, heißt es. Unter welchen Umständen sie gefunden wurden, bleibt damals nebulös.

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Bundesarchiv Koblenz: Hitler-Tagebücher sind Fälschung

Bekannt wird, dass der Verlag um die zehn Millionen Mark dafür bezahlt hat. Schon beim Lesen kommen allerdings erste Zweifel auf. Am 6. Mai 1983 dann die Eilmeldung: Die angeblichen Hitler-Tagebücher sind gefälscht.

Eine chemisch-physikalische Echtheitsüberprüfung vom Bundesarchiv in Koblenz und dem Bundeskriminalamt kommt zu dem Ergebnis, das Papier, die Buchdeckel, der Klebstoff, alles stammte eindeutig aus neuerer Zeit. Weiterhin ergaben linguistische Analysen, dass die Sprachführung der Tagebücher nur bedingt der Hitlers entsprach.

"Es ist ein solcher inhaltlicher Schmarrn."

Der damalige Präsident des Bundesarchivs in Koblenz, Hans Bohms, sagt 1983 in einem Interview: "Es ist ein solcher inhaltlicher Schmarrn. Der geht ja über das, was im völkischen Beobachter stand oder in irgendwelchen Provinzzeitungen überhaupt nicht hinaus."

Fälscher Konrad Kujau musste ins Gefängnis

Der Fälscher heißt Konrad Kujau. Er gesteht nach anfänglichem Leugnen, in knochenharter Tag- und Nachtarbeit die Tagebücher gefälscht zu haben. Dafür habe er anderthalb Millionen Mark erhalten. Bereut habe er die Fälschungen nie. Der 2000 verstorbene Kujau und der Ankäufer der Tagebücher wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Tagebücher sollen an das Bundesarchiv in Koblenz übergeben werden

Die Tagebücher lagern im Hamburger Verlagshaus. Im Laufe des Jahres sollen sie an das Bundesarchiv übergeben und dort zugänglich gemacht werden, teilte der Bertelsmann-Konzern mit. Derzeit sind nur eine Handvoll Tagebuchseiten dort zu sehen, die für die damalige Echtheitsprüfung gebraucht wurden.

Folge 1: Jagdfieber (S01/E01)

Der „Stern“-Reporter Gerd Heidemann bekommt eine Telefonnummer und einen brandheißen Tipp: Ein gewisser Doktor Fischer in Stuttgart könne an Hitlers Tagebücher herankommen, heißt es. Das wäre eine Riesenstory! Die Jagd auf die Bücher beginnt - und führt unter anderem auf einen Friedhof in Ostdeutschland.

Folge 2: Neues vom „Führer“ (S01/E02)

In einem Stuttgarter Hinterhof ist Meisterfälscher Konrad Kujau unter Hochdruck an der Arbeit: 62 Tagebücher voller Notizen, Gedanken, Gefühle und Anordnungen Adolf Hitlers. Kein Wort ist wahr – aber die Bücher lassen sich trotzdem prächtig verkaufen. Sie zeigen einen ganz anderen als den historischen Hitler …

Folge 3: Triumph und Absturz (S01/E03)

Die Aufregung ist groß an jenem 25. April 1983: Vor Journalisten und Fernsehteams aus aller Welt präsentiert der „Stern“ die vermeintlichen Tagebücher: Wenige Tage später ist klar: alles Fälschungen! Doch woher stammen die Bücher? Nach nächtlichen Verhören und peinlichen Befragungen rückt in Stuttgart die Polizei an.

Dokumentation Der Hitler-Fake: Geschichte einer Jahrhundert-Fälschung

Vor 40 Jahren wurde der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher aufgedeckt - SWR, NDR und RBB haben die Hintergründe recherchiert.

Gespräch Dokument der Holocaustleugnung – Prof. Hajo Funke zur Erstveröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher

Die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher durch die Zeitschrift „Stern“ war ein Skandal. Autor der mehr als 60 Bände war der Kunstfälscher und Militaria-Händler Konrad Kujau. „Der Stern“ hält die Dokumente bis heute unter Verschluss. Jetzt sind die fiktiven Tagebücher aber erstmals öffentlich gemacht worden. Skandalöse Dokumente der Holocaustleugnung, sagt Prof. Hajo Funke, der die Ausgabe kommentiert hat.
Heute, fast 40 Jahre später nach dem Skandal um die gefälschten Hitlertagebücher hat der NDR erstmals die kompletten fiktiven Tagebücher der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Zusammengefügt aus digitalisierten Kopien der Originale-Bände, die in verschiedenen Nachlässen vorhanden waren. Der Text ist versehen mit einem wissenschaftlichen Kommentar der Historikerin Heike Görtemaker und des Politikwissenschaftlers Hajo Funke, der darin ein erschütterndes Dokument der Holocaustleugnung sieht.
Kujas Hitler ist besonnener Staatsmann
Konrad Kuja bewegte sich in rechtsextremen und neonazisitischen Kreisen, schrieb die Tagebücher, weil er wie Hitler schreiben konnte, dabei aber wenig historisches Material zu Rate, berichtet Hajo Funke. Neben den Banalitäten des Alltags erschüttert vor allem die Verharmlosung Hitlers und des Holocausts. Der fiktive Hitler sei, so Funke, in den Tagebüchern entschiedener Staatsmann, freundlich und besonnen, der Deutschland groß machen will. Zwar will er den Juden ein eigenes Territorium im Osten zuweisen, von Vernichtung ist aber explizit nicht die Rede.
Markanter Fall der Verharmlosung
Dass diese Verharmlosung von einer Zeitschrift wie dem „Stern“ und dem Verleger Henry Nannen gestützt wurde, ist der eigentliche Skandal, sagt Hajo Funke. Die Tagebücher seien Quellen für eine unglaubliche, irritierende und schamlose Leugnung der Geschichte des Nationalsozialismus. Und das in einer Zeit, in der die bundesdeutsche Gesellschaft gerade der erst der Konfrontation mit dieser Geschichte stellt. Die Vermutung von Hajo Funke: Ein Teil der Gesellschaft war für diese Erzählungen sehr empfänglich.

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