Sind wir in der Krise genauso wild auf den „Black Friday“ wie in normalen Zeiten?

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Arne Wiechern

Überall gibt es echte oder angebliche Schnäppchen: "Black Friday", „Black Week“ – das ist auf Schildern in der Fußgängerzone ebenso zu sehen wie auf unzähligen Shoppingseiten im Internet. 30 Prozent Rabatt hier, 50 Prozent da - und immer mit dem Zusatz, dass dieses Angebot nur kurze Zeit gelte. Die „Black“-Marketingwelle ist eine Erfindung aus den USA zum Start des Weihnachtsgeschäfts. In diesem Jahr ist aber Krise: Die Inflation ist hoch, Energie teuer, die Zukunft unsicher. Eigentlich sollten wir vielleicht besser weniger Geld ausgeben. Ob in solchen Krisenzeiten der „Black Friday“ noch funktioniert, erklärt der Neuropsychologe und Neuromarketing-Experte Hans-Georg Häusel im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Arne Wiechern.

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SWR Aktuell: Was macht diese heutige Flut von vermeintlichen Schnäppchen denn mit uns, die wir am eigentlich ja im Dauerkrisenmodus sind?

Hans-Georg Häusel: Zunächst mal: Was machen Schnäppchen mit uns?  Schnäppchen sind für unser Gehirn und unser sogenanntes Belohnungszentrum im Gehirn eine unerwartete Belohnung. Man hat im Computertomographen nachgewiesen: Wenn man Leuten Schnäppchen zeigt, schaltet das das Belohnungszentrum unseres Großhirns, das für Reflexion zuständig ist („Brauche ich dieses ganze Zeug?“) ein Stück weit aus. Das heißt, wir kaufen oft Dinge, die so preiswert und günstig sind als Schnäppchen, die ich eigentlich gar nicht brauche. Um beim Black Friday ist es nun so: Es ist einfach jetzt so ein kollektives „Hochamt des Konsums“. Wir werden ja auf den Tag schon seit Wochen angefixt. Jetzt kommt er, und es wie im Fußballstadion: Wenn dann alle schreien „Hurra, jetzt sind wir gemeinsam!“, dann geht in unserem Gehirn quasi die Post so richtig ab.

SWR Aktuell: Nun sind wir ja gerade in der Dauerkrise. Kann man sagen, dass wir vielleicht sogar noch mehr Geld ausgeben, weil wir denken: In der Krise, da bin ich ja auf Angebote angewiesen?

Häusel: Also die Krise befeuert das Ganze sicher, denn die Wünsche werden ja trotz der Krise nicht weniger - nur ist man natürlich sparsamer. Der Mensch ist ängstlich, wenn er in der Krise ist. Ängstlichkeit ist immer die Mutter der Sparsamkeit. Und jetzt, am Black Friday, hätte ich ja die Möglichkeit, meine Wünsche zu befriedigen, denn ich habe ja ein gutes Gewissen: Ich habe gespart, und trotzdem habe ich möglicherweise noch einen Artikel gefunden, der mir großen Spaß macht!

SWR Aktuell: Ein weiteres Problem seit Monaten sind ja Lieferengpässe. Aber heute zum Black Friday hat man das Gefühl, es seien einfach alle Produkte wieder verfügbar. Sorgt das jetzt auch noch für zusätzliche Glücksgefühle und damit auch für mehr Umsatz?

Häusel: Ja natürlich. Die Händler schreiben die ganze Zeit, das ist vorrätig. Die haben sich natürlich auch extrem stark auf den Tag vorbereitet, das muss man einfach wissen. Die ganze Logistik, alles passt auf diesen Tag, weil man einfach weiß: Da explodieren die Umsätze. Und auf Seiten des Konsumenten zu sagen: Jetzt habe ich keine Probleme mehr, oder ich gehe ins stationäre Geschäft. Ein Zisch mit der Kreditkarte genügt, und die Freude ist dann groß, weil man alles sofort bekommt. Und das ist natürlich eine besondere Freude, denn der Konsument mag ja heute nicht mehr warten. Zu wissen, jetzt funktioniert alles, ich kriege alles billiger und kann vielleicht sogar der Krise noch ein Schnippchen schlagen - das befeuert natürlich die Konsumlust ungeheuer.

SWR Aktuell: Man muss natürlich auch mal auf die Zeit nach dem Black Friday schauen. Gibt es denn vielleicht danach bei Schnäppchenjägern auch so was wie eine Katerstimmung im Kopf?

Häusel: Ja, natürlich. Das werden Sie bei den eBay-Kleinanzeigen bald merken. Viele Dinge werden ja nicht geplant gekauft, sondern die Leute handeln wie früher. die Urzeitmenschen – die sind durch den Wald gegangen, „Husch! Da ist ein Reh, da schieße ich jetzt gleich.“ Und das ist das gleiche jetzt am Black Friday auch. Die Leute scrollen durch das Internet, da sehen sie was und die Lust ist groß. Man kauft es, und nachher stellt man fest: Eigentlich hätte ich es gar nicht gebraucht oder nicht in dieser Weise. Wenn man es nicht zurückgeben kann, dann verkauft man es halt wieder bei eBay-Kleinanzeigen.

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