Osteuropaexpertin zu Ukraine: Putin will weiter Großreich, China will mit „Friedensplan“ Weltmachtstellung ausbauen

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Andreas Böhnisch

Die UN-Vollversammlung hat in einer -allerdings nicht bindenden- Resolution den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verurteilt. 141 Staaten stimmten dafür, Russland und sechs weitere dagegen. 32 Länder haben sich der Stimme enthalten, darunter auch China. Wie dessen Friedensvorschläge zu bewerten sind und warum Putin immer noch ein Großreich aufbauen will, erklärt die Osteuropaexpertin Prof. Susanne Schattenberg im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch.

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SWR Aktuell: Sehen Sie in absehbarer Zeit eine Chance für Friedensverhandlungen, die diesen Namen auch verdienen?

Susanne Schattenberg: Nein, das sehe ich leider nicht, solange Putin nicht davon abrückt, die Vorbedingung zu stellen, dass die vier annektierten Gebiete zu Russland gehören müssen. Zudem hat er leider selbst sein Schicksal eigentlich an diesen Krieg gebunden. Das heißt, er setzt ganz auf dieses Großreich, dass er ja einrichten möchte. Und damit würde er seine eigene Macht in Gefahr bringen, wenn er davon abrückt. Und schließlich wäre es ein gefährlicher Präzedenzfall, wenn sich die Weltgemeinschaft darauf einlässt, dass eben diese Gebiete endgültig an Russland fallen. Nicht nur, weil Russland, sobald es wieder die Möglichkeit hätte, dann weitermarschieren würde durch die ganze Ukraine bis nach Moldawien, sondern eben auch für andere Staaten, dass Aggressionskriege sich wieder lohnen. Nicht zuletzt muss man sehen, dass die ukrainische Bevölkerung unter russischer Herrschaft eben nicht in Frieden leben würde, sondern terrorisiert und russifiziert würde.

SWR Aktuell: Putin will also seine Kriegsziele auf jeden Fall durchsetzen. Deutlicher als erwartet hat die UN-Vollversammlung für ein Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gestimmt. Was kann diese nicht bindende Resolution über reine Symbolpolitik hinaus noch bewirken?

Schattenberg: Ich denke, das Wichtigste ist tatsächlich dieses Signal an alle unentschlossenen oder neutralen Länder, dass sie in der Minderheit sind. Das kann wichtig sein beim Abwägen, ob man Sanktionen unterläuft, also an Russland doch kriegswichtiges Material liefert, Russland mit Hightech ausstattet, mit wem man politische Allianzen bildet. Und es ist eben grundsätzlich ein sehr wichtiges Signal, dass sozusagen der Wertekompass der Weltgemeinschaft noch funktioniert.

SWR Aktuell: Mit Spannung wurde ja der von China angekündigte Friedensplan erwartet. Das chinesische Außenministerium hat ihn nach der Abstimmung in der UN-Vollversammlung vorgelegt. Gefordert wird, kurz zusammengefasst, ein Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine sowie die Aufnahme direkter Gespräche. Welche Bedeutung hat dieser Plan für die Ukraine für den Westen?

Schattenberg: Erstens ist es gut, wenn neben der Türkei ein zweiter neutraler Unterhändler auftritt, der von beiden Seiten akzeptiert wird. Denn der Westen, die Nato, die USA, werden Putin niemals zum Einlenken bewegen können. Das könnte theoretisch Xi Jinping sein. Aber die große Herausforderung besteht eben darin, dass er Putin überzeugen müsste, von seinen imperialen Fantasien abzurücken und damit letztlich seine Legitimität seiner Macht neu zu definieren. Und das kann man sich eigentlich kaum vorstellen.

SWR Aktuell: Sie haben gerade gesagt, dass es gut sei, wenn neben der Türkei ein zweiter, neutraler Unterhändler in diesem Krieg auftreten würde. Wie neutral bewerten Sie die chinesische Haltung im Ukraine-Krieg?

Schattenberg: China hat ja eigene Interessen. Zum einen möchte es den Westen nicht zu mächtig werden lassen, also dass es nachher nur noch eine einzige Großmacht in der Welt gibt. Das würde den eigenen Interessen widersprechen. Zum anderen hat China großes Interesse daran, eben mit dem Westen im Handel zu bleiben. Und vermutlich hofft es auch jetzt, die Rolle einzunehmen, die Russland früher hatte, also sich selbst als Großmacht zu profilieren. Von daher sind da große politische, wirtschaftliche, strategische Interessen dahinter - hier tatsächlich als der große Vermittler dazustehen, wenn eben auch durchaus nicht uneigennützig.

SWR Aktuell: Kommen wir noch mal zurück zur Rolle Deutschlands bei der UN-Resolution, die Russland ja auffordert, seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hatte gestern in den Tagesthemen auch noch eine Botschaft für Wladimir Putin

O-Ton Baerbock: Wir sind nicht im Krieg mit Russland, sondern wir verteidigen den Frieden und die Freiheit der Ukraine.

SWR Aktuell: Bietet diese Aussage dann doch eine Hintertür, die man vielleicht bald öffnen kann, um dann doch Gespräche mit Russland über ein Ende des Ukraine-Krieges zu führen?

Schattenberg: Das ist leider kaum vorstellbar. Sie hat ja auch noch etwas anderes gesagt, was es sehr gut auf den Punkt bringt. „Ganz einfach: Wenn Russland aufhört zu kämpfen, dann ist der Krieg vorbei. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, dann existiert die Ukraine nicht mehr.“ Das heißt, es liegt einfach in der Hand Russlands, für Frieden zu sorgen. Das heißt, eigentlich ist Russland am Zug und der Akteur, während der Westen und die Nato nur reagieren können und dafür sorgen, dass die Ukraine nicht untergeht.

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Andreas Böhnisch