„Mensa"-Jahrestreffen in Stuttgart: Wie schwierig ist es, hochbegabt zu sein?

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AUTOR/IN
Andreas Böhnisch

Wenn heute in Stuttgart das Jahrestreffen von „Mensa in Deutschland“ beginnt, dann kommt die geballte Intelligenz zusammen - denn „Mensa“ ist der Verein für Hochbegabte, und Mitglied kann nur werden, wer einen IQ von mindestens 130 hat. Das klingt für manche Menschen elitär und abgehoben, aber tatsächlich ergeben sich daraus auch Probleme. Die kennt Sybille Beyer aus Bad Mergentheim gut. Die Pressekoordinatorin von „Mensa in Deutschland“ ist selbst hochbegabt und erklärt im Gespräch mit SWR-Aktuell-Moderator Andreas Böhnisch, wie es ihr bei der Arbeit mit den vielen „normal begabten“ Kolleginnen und Kollegen ergeht.

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SWR: Erzählen Sie doch bitte mal aus ihrem Arbeitsalltag. Wo haben Sie Probleme mit Kolleginnen und Kollegen, weil Sie hochbegabt sind?

Sybille Berger: Ich selbst habe von meiner Hochbegabung erst sehr spät erfahren, als ich Anfang 50 war. Für mich war es bis dahin immer so, dass ich das Gefühl hatte, nicht reinzupassen. Ich habe mich immer gewundert, wieso ich Schwierigkeiten hatte, wenn ich zum Beispiel neue Vorschläge gemacht habe. Die wurden nicht angenommen, oder es wurde mir zum Nachteil ausgelegt. Und als ich dann ein Buch darüber gelesen habe, was es bedeuten kann, hochbegabt zu sein, habe ich gedacht: Gut, mach mal den Test bei Mensa. Das war dann für mich eine sehr große Erleichterung. Denn als Hochbegabter ist man etwas anders. Die Autorin Anne Heintze vergleicht das mit „bunten Zebras in einer Herde von Haflingern“ - man ist schon ein bisschen das Gleiche, aber doch nicht so ganz. Ich finde, das trifft es ganz gut, denn Hochbegabte sind ungeheuer vielseitig. Wir haben die vielseitigsten Interessen. Allen gemeinsam ist: Wir denken schneller, wir denken komplexer, wir können Fragestellungen schneller durchschauen und haben oft schon die Lösung, werden andere noch am Problem knabbern. Und wenn man von seinem Status in Betrieb auf Sachbearbeiterebene ist, aber Lösungen bietet, die eigentlich in eine Entscheidungsträgerebene gehören, dann eckt man oft an. Man merkt es vielleicht gar nicht, wenn man von seiner Hochbegabung nichts weiß und fragt sich dann, wieso werde ich gemobbt, wieso werden meine Vorschläge so schief angeschaut? Oder man sitzt in einem Meeting und langweilt sich und denkt: Warum kommt ihr jetzt nicht zum Punkt? Es ist doch völlig klar, wo das Problem liegt.

SWR: Lassen Sie uns noch mal auf dieses Nichtreinpassen zurückkommen. Sie haben gesagt, dass Sie das Gefühl hatten, dass Vorschläge, die sie im Job gemacht haben, häufig nicht angenommen wurden. Wenn man hochbegabt ist, wird man da im Arbeitsumfeld auch schnell als Besserwisser abgestempelt?

Berger: Das ist eigentlich das ganze Leben schon so. Als Kind wurde man früher altklug genannt. Sie ist altklug, sie gibt Antworten, die ihrem Alter nicht angemessen sind. Die will immer alles besser wissen.

SWR: Heißt das dann: Hochbegabte wechseln häufiger den Job, weil sie es einfach nicht mehr aushalten?

Berger: Pauschal kann man das auf gar keinen Fall sagen. Ich habe leider häufiger den Job gewechselt. Aber es hängt einfach davon ab, wie mein Lebensumfeld ist.  Werde ich von klein auf im familiären Umfeld, im sozialen Umfeld auch so genommen, wie ich bin - oder kann es mir passieren, dass ich in einem Umfeld aufwachse, das zum Beispiel bildungsfern ist? Denn Hochbegabung ist angeboren, das hat nichts mit Bildung zu tun. Und wenn ich in einem bildungsfernen Umfeld aufwachsen bin, dann habe ich als unerkannte Hochbegabte ein echtes Problem. Es gibt auf den Hauptschulen und sogar auf den Sonderschulen Hochbegabte, die als Kind nicht erkannt werden. Wenn es denen in der Schule langweilig wird, steigen sie aus dem Unterricht aus und werden dann als „lernschwach“ abgestempelt. Das passiert heutzutage Gottseidank nicht mehr so häufig wie noch vor 40 Jahren. Wenn ich aber das passende Umfeld finde, dann kann ich wunderbar mein ganzes Arbeitsleben in einer Firma verbringen. Das ist kein Problem.

SWR: Das passende Umfeld haben Sie sicherlich heute, wenn Sie sich in Stuttgart zum Jahrestreffen mit den anderen Vereinsmitgliedern von Mensa in Deutschland zusammentun. Worum geht es da- um Netzwerken, um Kontakteknüpfen?

Berger: Ums Spaßhaben!

SWR: Das ist eine gute Ansage.

Berger: Die Jahrestreffen sind das absolute Highlight. Wir haben jetzt leider drei Jahre darauf verzichten müssen. Man trifft neue Leute und alte Bekannte. Wir sind um die 1.200 Leute dort. Da wird man natürlich nicht jeden treffen können. Es gibt um die 200 Veranstaltungen, zu denen man sich anmelden kann: Betriebsführungen, Besichtigungen, Vorträge, Spiele, Escape-Rooms und dergleichen. Und es ist einfach eine bunte Mischung. Man trifft Gleichgesinnte, man fühlt sich sozusagen als eine Herde bunter Zebras, die durch Stuttgart rennen. Äußerlich sind wir natürlich nicht unterscheidbar von anderen. Wir haben nur unsere roten Schlüsselbändchen, an denen man sich auf der Straße untereinander gleich erkennen kann.

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Andreas Böhnisch