"Ein weiterer Schritt Richtung Autokratie"? Proteste spalten Deutsch-Türken

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In der Türkei demonstrieren die Menschen seit über einer Woche in mehreren Städten. Der Grund: die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu. Er gilt als vielversprechendster Herausforderer von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Nach der Kundgebung der Oppositionspartei CHP vor dem Rathaus am Abend in Istanbul kam es wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Polizei nahm laut Nachrichtenagentur Anadolu mehr als 170 Menschen fest.

Was macht die Situation mit der deutsch-türkischen Community in Deutschland? Schließlich leben hier Millionen von Menschen, die türkische Wurzeln haben oder deren Angehörige in der Türkei leben. Ein Großteil der Community beobachte das Geschehen eng, sagt Caner Aver. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) an der Universität Duisburg-Essen.

Innerhalb der Opposition führt das natürlich zu besorgniserregenden Zuständen, weil damit ein weiterer Schritt in Richtung Autokratie getan wird, und das verfolgen die Menschen mit Sorge hier in Deutschland.

Politische Lage in der Türkei spaltet auch Menschen in Deutschland

Die Spaltung in der Türkei unter den Menschen übertrage sich in abgespeckter Form auch auf Deutsch-Türken, so Aver. Bei den Demonstrationen in Deutschland sehe man überwiegend oppositionelle Kräfte. Wie stark diese Kräfte sind und was es für das deutsch-türkische Verhältnis bedeuten würde, wenn die Türkei weiter in die Autokratie rutscht, darum geht es außerdem im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Andreas Fischer.

Türkei-Experte zu Protesten: Ein Großteil nicht mit Erdoğan einverstanden

In der Türkei gehen seit einer Woche Zehntausende Menschen auf die Straßen und protestieren – dagegen, dass der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu abgesetzt und inhaftiert wurde. Einer der offiziellen Gründe dafür: Korruption. İmamoğlu weist die Anschuldigungen zurück. Der Oppositionspolitiker der Partei CHP gilt als ein ernst zu nehmender Kontrahent von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
Im Gespräch mit SWR Aktuell-Moderator Florian Zelt ordnet Yaşar Aydın vom Centrum für angewandte Türkeistudien (CATS) die Situation vor Ort ein. Die Proteste zeigten, „dass ein Großteil der türkischen Bevölkerung mit dem autoritären Kurs von Erdoğan nicht einverstanden ist“. Viele befürchteten, dass so ein Vorgehen die Türkei in Richtung Autokratie abdriften lassen könnte, so der Experte. Außerdem seien viele frustriert, dass sich auch über Wahlergebnisse hinweggesetzt würde.
Wie Yaşar Aydın die Reaktionen auf die scharfe Kritik aus Deutschland und der EU einschätzt und welche konkreten Maßnahmen jetzt helfen würden, darüber hat er außerdem in SWR Aktuell gesprochen.