Ein Jahr Krieg: Wie läuft die Caritas-Hilfe in der Ukraine?

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AUTOR/IN
Andreas Böhnisch

Seit einem Jahr ist Krieg in der Ukraine. Am 24. Februar 2022 begann die russische Invasion. Tausende Menschen starben - Millionen Menschen wurden zu Flüchtlingen. Städte und Dörfer sind zerstört, Infrastruktur in Schutt und Asche gelegt. Über die Lage in der Ukraine hat SWR-Aktuell Moderator Andreas Böhnisch mit Henrike Bittermann von Caritas International gesprochen. Die Fachkraft für humanitäre Hilfe ist gerade in Lwiw in der West-Ukraine.

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SWR Aktuell: Mehr als 5 Millionen Menschen mussten wegen des Krieges innerhalb der Ukraine ihr Zuhause verlassen. Wie geht es diesen Binnenflüchtlingen ein Jahr nach Kriegsbeginn?

Henrike Bittermann: Es ist natürlich weiterhin auch für die intern Vertriebenen und geflohenen Menschen eine sehr schwierige Lage. Viele kommen von östlichen Regionen, sind auch im Osten geblieben, haben dort weiterhin täglich Luftalarm und Angriffe, mit denen sie umgehen müssen. Viele haben alles verloren, haben keine Wohnung mehr. Ihre Häuser sind nicht mehr dort, sie haben Menschen verloren. Was natürlich versucht wird im Land, ist, diese Menschen aufzunehmen und ihnen einen bestmöglichen Start in anderen Regionen zu bieten, hier in der Westukraine und auch in der Zentralukraine. Aber sie brauchen natürlich viel Unterstützung, Lebensmittel, Hygieneartikel und natürlich auch psychologische Unterstützung.

SWR Aktuell: Caritas International hat 198 Notunterkünfte für diese Binnenflüchtlinge bereitgestellt. Welche Hilfe bekommen die Menschen dort?

Bittermann: Der wichtigste Punkt ist einfach ein Dach über dem Kopf, einen Ort, an dem die Menschen zur Ruhe kommen können, sich neu orientieren können, was die nächsten Schritte für sie sind. Nötig ist natürlich auch alles andere, was als Basis gebraucht wird, wie Lebensmittel, Hygieneartikel, aber auch Kleidung und so weiter: Alles, was die Menschen brauchen, was sie nicht gleich mitnehmen konnten - um ihnen zu ermöglichen, die nächsten Schritte zu gehen.

SWR Aktuell: Erleben diese Menschen denn so ein bisschen eine Art von Alltag, oder befinden die sich tatsächlich in einem permanenten Ausnahmezustand?

Bittermann: Es kommt sehr darauf an. Viele mussten mehrfach den Ort wechseln, wenn man vom Osten der Ukraine nach Kiew gegangen ist und von dort vielleicht noch weiter. Wenn die einen Ort gefunden haben, an dem es tatsächlich möglich ist, eine Weile zu bleiben, dann kehrt natürlich auch der Alltag ein. Man versucht irgendwie, wenn man mit Kindern unterwegs ist, den Kindern ein stabiles Umfeld zu bieten. Man versucht schon, einen Alltag einkehren zu lassen. Aber die Situation im Land ist so schwierig und so volatil, dass es manchmal schwer vorauszusagen ist, wie der nächste Tag aussieht.

SWR Aktuell: Die Kinder haben Sie gerade angesprochen. Etwa 4 Millionen Kinder sind in der Ukraine auf humanitäre Hilfe angewiesen. Was macht das mit den Kindern?

Bittermann: Das ist eine sehr schwierige Frage. Wir versuchen natürlich, die Kinder auch in unseren Projekten zu unterstützen, zu stabilisieren, ihnen einen Umkreis zu geben, in dem sie auch einfach Kind sein können - zum Beispiel auch durch Freizeiten, auch in anderen Ländern. Oder wir bieten ihnen die Möglichkeit, den Schulunterricht weiter zu verfolgen. Aber natürlich wird es große Auswirkungen haben, auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, die diese Generation heranwächst. Und wir versuchen, ihnen so gut wie möglich ein Umfeld zu bieten, indem sie sich sicher fühlen können.

SWR Aktuell: Ein Ende des Krieges in der Ukraine, also Frieden, das ist in weiter Ferne. Auch ein Waffenstillstand ist nicht absehbar. Worauf stellen Sie sich von Caritas International in den kommenden Monaten noch ein?

Bittermann: Wie Sie schon gesagt haben: Es ist wirklich sehr schwer, den weiteren Verlauf des Krieges einzuschätzen. Wir planen und arbeiten mit verschiedenen Szenarien und versuchen, mit unserem Partner Caritas Ukraine wirklich weiterhin die bestmögliche Unterstützung für die Bevölkerung zu leisten. Das ist jetzt kein Sprint, den wir hier vor uns haben, sondern eine Art Dauerlauf. Und wir müssen versuchen, die Menschen weiterhin zu unterstützen, solidarisch an ihrer Seite zu stehen und die Menschen nicht zu vergessen.

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