Wie kommt Deutschland wieder auf Wachstumskurs? Die bisherigen Pläne der Bundesregierung reichen jedenfalls nicht – findet die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Ihre Hoffnung setzt sie auf die Neue an der Spitze des Wirtschaftsministeriums – und deren Erfahrung aus der Praxis. Der Staat müsse weniger regulieren – in einem Bereich aber dringend mehr Geld investieren.
Reformbedarf sieht die Wirtschaftsweise Veronika Grimm an vielen Stellen: Rente. Steuern. Bürokratie. Die Ökonomin plädiert für weniger Staat, weniger Eingriff, mehr Eigenverantwortung für Unternehmen und Bürger. Nur in einem Bereich fordert sie mehr Investitionen: bei der Bildung. "Unser Bildungssystem ist extrem ungerecht", sagt Grimm im ARD Interview der Woche. "Wenn Kinder in die Schule kommen, schaffen wir es nicht, sie auf ein halbwegs gleiches Niveau zu bringen." Grundschüler hätten sehr unterschiedlichen Voraussetzungen. Das sei eine große Herausforderung für Lehrkräfte.
Schaden für die Kinder und die Gesellschaft
"Wir haben in der Grundschule auch keine einheitliche Betreuung bei den Hausaufgaben, da sind oft die Eltern zuständig. Und je nachdem, wie stark die Eltern sich kümmern, hat das Kind eben mehr oder weniger Erfolg. Und das führt natürlich dazu, dass wir viele benachteiligte Kinder von vornherein zurücklassen", beklagt Grimm. "Das ist ein großer Schaden für die betroffenen Kinder, für deren Berufsweg und für deren Chancen, aber eben auch für die Gesellschaft, weil wir die ganzen Potenziale der Kinder, die zu uns kommen, vielleicht auch Migrationshintergrund haben, überhaupt nicht heben." Grimms Forderung: "Wir müssen viel mehr investieren, damit alle die gleichen Chancen haben."

Politisch unklug, aber wenig überraschend
Von der neuen Regierung fordert sie, sich jetzt auf Inhalte zu konzentrieren. Der missglückte Start von Kanzler Merz, das Abstimmungsdrama im Bundestag? Politisch unklug, aber wenig überraschend, findet Grimm. Sie vermutet auch strategische Motive von Menschen, die Merz schwächen wollen. "Ich glaube, davon sollte man sich nicht beirren lassen. Er ist jetzt gewählt. Die Regierung ist im Amt und muss jetzt ihre Tätigkeiten aufnehmen."
"Reiche versteht das Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft"
Die neue Wirtschaftsministerin Katherina Reiche nennt sie einen "Glücksgriff", weil sie Erfahrung aus der Politik und der Wirtschaft mitbringt. Reiche saß mehrere Jahre für die CDU im Bundestag, war Parlamentarische Staatssekretärin im Umwelt- und Verkehrsministerium. Später arbeitete sie für den Verband kommunaler Unternehmen, zuletzt bei einem Energieunternehmen. "Das ist eine super Kombination, weil sie alle Bereiche kennt und auch abschätzen kann, was sie da politisch tut." Zum einen wisse Reiche, wie schwergängig die Politik im Vergleich zur Wirtschaft sei. Andererseits aber auch, was in der Wirtschaft möglich sein. "Dieses Zusammenspiel von Politik und Wirtschaft versteht sie wahrscheinlich ganz gut und sie versteht hoffentlich besser als viele andere in der Politik, was man an die Wirtschaft auslagern kann, was auf freien Märkten viel besser funktioniert, als wenn die Politik versucht, es dirigistisch zu lenken."
Skepsis bei Ministeriumszuschnitten
Etwas skeptischer blickt sie auf die Ressortzuschnitte: So seien künftig beispielsweise sehr viele Ministerien beteiligt, wenn es darum gehe, sich bei bestimmten Lieferketten unabhängiger von einzelnen Regionen zu machen: das Wirtschafts-, das Entwicklungs- und das Umweltministerium, aber auch das Kanzleramt durch den Nationalen Sicherheitsrat. "Ich glaube, man hat nicht alle Themen bedacht, als man sich diese neuen Ministeriumszuschnitte überlegt hat. Aber das ist nichts Neues. Das war in der Vergangenheit auch schon einmal so. Da spielen ja nicht nur inhaltliche Fragen eine Rolle, sondern auch Machtinteressen und auch die Frage der Ausstattung der verschiedenen Häuser", so Grimm. Sie rät: "Wir müssen sehr aufpassen, dass wir da international auch gut und resilient aufgestellt sind."
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