Wie Deutschland fahrradfreundlicher werden kann, darüber diskutieren Politiker und Radexperten beim Nationalen Radverkehrskongress. Er findet im Rahmen der Messe Eurobike statt. Mit dabei ist auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC, der die Interessen von über 200.000 Radfahrerinnen und Radfahrern in Deutschland vertritt. Warum aus ihrer Sicht die Flächen in den Städten gerechter zwischen Fußgängern, Rad und Auto verteilt werden sollten, erklärt die ADFC-Bundesvorsitzende Rebecca Peters im Interview mit SWR-Aktuell-Moderator Arne Wiechern.
"Keine zusammenhängenden Radwegnetze, oft endet der Radweg im Nichts"
SWR Aktuell: Wir fahren gerne Fahrrad, vor allem in der Freizeit. Das zeigen die Verkaufszahlen bei Rädern. Aber was den Radverkehr in Städten angeht, da gelten wir im Vergleich zu anderen Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden nicht als große Fahrradnation. Woran liegt das denn ihrer Einschätzung nach?
Rebecca Peters: Das liegt vor allem daran, dass wir keine zusammenhängenden Netze haben. Ich denke, jede Person, die öfter oder auch teilweise Fahrrad fährt, wird schon festgestellt haben, dass es mit den Radwegen eher mau aussieht. Und wenn dann einer da ist, ist der Zustand vielleicht eher nicht so gut. Oder der Radweg endet im Nichts. Das ist eines der großen Probleme, weswegen Radfahren einfach nicht komfortabel ist. Und wenn ich an meinem Ziel ankomme, und das Ziel ist vielleicht nicht unbedingt mein Zuhause, dann habe ich ganz häufig auch Fragezeichen im Gesicht, wo ich mein Fahrrad denn nun wettergeschützt und sicher abstellen kann, sodass ich es hinterher dann auch wiederbekomme.
ADFC erfreut über neuen Plan der Bundesregierung
SWR Aktuell: Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag den Ausbau von Radwegen erleichtern. Der ADFC hat Verkehrsminister Wissing immer wieder kritisiert, dass er dafür zu wenig unternehme. Seit vergangener Woche gibt es nun einen Referentenentwurf aus dem Bundesverkehrsministerium. Demnach sollen Kommunen mehr Spielraum bekommen, um Radwege zu bauen. Also eigentlich doch ein gutes Zeichen – oder?
Peters: Den Entwurf haben wir auch schon sehr begrüßt. Es war dann doch relativ überraschend, dass die Reform endlich angestoßen wird. Wir haben sehr lange darauf gewartet, aber das, was jetzt vorgelegt wird, geht definitiv in die richtige Richtung. Es ist noch nicht perfekt, aber es ist auf jeden Fall ein sehr guter Anfang. Denn es sollen jetzt ganz wichtige Ziele gesetzlich verankert werden, wie die städtebauliche Entwicklung, Gesundheitsförderung, Klima- und Umweltschutz. Und wenn das jetzt gleichrangige Ziele im Straßenverkehrsgesetz werden zur Leichtigkeit des Verkehrs, womit ja der Pkw-Verkehr gemeint ist, dann haben Städte und Kommunen eben auch die Möglichkeit, aus anderen Gründen Radverkehr oder umweltfreundliche Verkehrsmittel ganz aktiv zu fördern und müssen sich eben nicht mehr nur am Pkw orientieren.
SWR Aktuell: Das Thema „Leichtigkeit des Verkehrs“ steht im Straßenverkehrsgesetz, sei es, dass der Autoverkehr auf jeden Fall irgendwie fließen soll. Jetzt soll auch der Klimaschutz bei der Verkehrsplanung eine größere Rolle spielen. Wie kann man denn trotzdem beide Interessen zusammenbringen?
Peters: Es geht ja gar nicht darum, Pkw-Verkehr zu verbieten und aus den Städten zu verbannen. Ich glaube, dass es immer so dieser ganz, ganz große Gegenpol, der aufgemacht wird. Aber das ist überhaupt nicht das Thema, sondern es geht darum, die Flächen, die wir haben, ganz gerecht zu verteilen. Denn das sind sie aktuell nicht, muss man fairerweise sagen. Es geht darum, mehr Platz für den Fußverkehr zu schaffen. Es geht darum, mehr Platz für den ÖPNV und für den Radverkehr zur Verfügung zu stellen - und dann eben die restlichen Flächen für den Autoverkehr zur Verfügung zu stellen. Aber nicht mehr darum, vier- bis sechsspurige Stadtautobahnen durch Städte zu bauen. Das ist aus Lärmschutz-, Gesundheitsschutz- und Klimaschutzperspektive absolut nicht sinnvoll. Und es ist auch nicht lebenswert. Da liefert der Gesetzesentwurf jetzt eben ganz neue Möglichkeiten, auch städtebauliche Entwicklung zu berücksichtigen, andere Verkehrsarten zu fördern und ein gesundes Miteinander auf der Straße herzustellen. Das war vorher überhaupt gar nicht möglich. Und dieser Gesetzesentwurf geht da auf jeden Fall in die richtige Richtung.
SWR Aktuell: Ich erlebe immer in Großstädten diese neuen, umgewandelten Straßen, wo man Fahrrädern viel, viel mehr Platz einräumt als es früher mal der Fall war. Oft wird aus zwei Autospuren nur noch eine - und davor staut sich es dann, weil die Autos trotzdem irgendwie durchwollen. Am Ende hat man Staus, die natürlich Abgase erzeugen. Ist das dann der große Nachteil dieser Umwandlung?
"Wenn das Angebot für Alternativen gut ist, dann steigen Menschen gerne um"
Peters: Den Stau gibt es mit oder ohne Radspuren. Wenn es sich auf zwei Spuren staut, dann gibt es am Ende trotzdem wieder ein Nadelöhr, zum Beispiel an einer Brücke, an Auffahrten, wo dann diese zwei oder drei Spuren in eine überführt werden - was den Stau eigentlich nur schlimmer macht. Wenn es aber attraktive Radwege gibt, dann ist das ein Anreiz umzusteigen. Wenn es einen gut funktionierenden ÖPNV gibt, ist das ein Anreiz, umzusteigen. Und genau das ist eben der Effekt, den wir in vielen großen Städten auch beobachten: Wenn das Angebot für Alternativen erstmal da ist und gut ist, und wenn es wirklich intuitiv nutzbar ist, dann steigen Menschen gerne um und entlasten damit eben auch den Autoverkehr. Das sind die Synergieeffekte, auf die wir setzen: Alternativen ausbauen, zum Umstieg anregen und im Endeffekt dann tatsächlich auch den Autoverkehr attraktiver machen - beziehungsweise angenehmer für diejenigen, die nicht umsteigen möchten oder können.