Am Donnerstagvormittag, bei der Vorstellung eines Gutachtens über Missbrauchsfälle im Erzbistum München und Freising, habe ich dazugelernt. Wenn ein katholischer Geistlicher sein Geschlechtsteil vor einem Mädchen oder Jungen entblößt, hat er laut Kirchenstrafrecht nichts angestellt. Voraussetzung für einen sexuellen Missbrauch ist, dass er das Mädchen oder den Jungen auf welche Weise auch immer berührt.

Selbsterhaltung wichtiger als christliche Kernbotschaft
Ich erwähne diese sonderbare, mich entsetzende Unterscheidung, weil der emeritierte Papst Benedikt XVI. erst kürzlich, im Dezember 2021, an sie erinnert hat. Nachzulesen in einer 82-seitigen, jetzt im Netz publizierten Stellungnahme des früheren Erzbischofs von München und Freising, Joseph Kardinal Ratzinger, an die Gutachter. Damit reiht sich das ehemalige Oberhaupt der Katholischen Kirche ein zwischen die Verharmloser und Vertuscher von sexuellem Missbrauch durch pädophile Geistliche. Dass Kirchenobere Pädophile schützen, um einen Aderlass an Priestern zu verhindern, war schon bekannt. Neu ist, dass "unser" Benedikt dazugehört.
Wieviel solcher Gutachten, fragten die Autorin und die Autoren am Donnerstag rhetorisch, braucht es eigentlich noch, bis sich die Deutsche Bischofskonferenz schuldig spricht für die seelische Zerstörung unzähliger Opfer? Ich füge eine zweite Frage hinzu: Wann endlich reagieren Bundesregierung und Bundestag darauf, dass die Katholische Kirche ihre politische Sonderrolle moralisch verwirkt hat? Keine Politikerin und kein Politiker, die bzw. der sich verhält wie die Bischöfe, bliebe eine weitere Woche im Amt. Ich halte das Gutachten für einen passenden Anlass, um die vielen Privilegien der Katholischen Kirche zu hinterfragen.