Die Dimensionen des Prozesses in Lamenzia Terme sind enorm: Mehr als 350 mutmaßliche Mitglieder der kalabrischen Mafia-Organisation `Ndrangheta sind angeklagt, rund 400 Anwälte sind beteiligt, mehr als 900 Zeugen sollen gehört werden. Den Beschuldigten wird unter anderem Mord, versuchter Mord, Drogenhandel, illegaler Waffenbesitz, Geldwäsche und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Es wird damit gerechnet, dass der Prozess mindestens ein Jahr dauert.
Deutschland ist für `Ndrangheta ein wichtiger "Markt"
Man könnte jetzt denken: Italien ist weit weg. Aber die `Ndrangheta, die als mächtigste Mafia-Organisation Italiens gilt, ist weltweit aktiv – auch in Deutschland. Aus Sicht der Journalistin und Mafia-Expertin Margherita Bettoni gehört Deutschland in Europa zu den wichtigsten Ländern für die `Ndrangheta. Vielleicht ist es sogar das wichtigste.
"Deutschland ist tatsächlich eines der Länder in Europa, wo die Ndrangheta am meisten aktiv und vertreten ist", sagte Bettoni im SWR. Man gehe davon aus, dass bei uns etwa 1000 Mitglieder dieser Mafia-Organisation ihre illegalen Geschäfte betreiben. Es gebe allerdings eine hohe Dunkelziffer.
Kaum Kronzeugen - Alles bleibt in der Familie
`Ndragheta-Mitglieder vor Gericht zu stellen sei vor allem deshalb besonders schwierig, weil das Gebot des Schweigens eines der wichtigsten sei, erklärte Bettoni. Im Vergleich zu anderen Mafia-Organisationen gebe es auch weniger Kronzeugen, "vor allem weil die Ndrangheta auch auf Familienverhältnissen basiert. Das heißt, wenn ich Kronzeuge werde, sage ich womöglich gegen meine eigene Familie aus", so Bettoni. Das sei eine noch größere Hürde für eine Kooperation mit den Ermittlungsbehörden.
Tut Deutschland genug gegen `Ndrangheta?
Aus Sicht der Mafia-Expertin ist Deutschland relativ gut aufgestellt. "Die `Ndrangheta ist in Deutschland stark im Fokus der Ermittler sowohl des Bundeskriminalamts und auch einzelner Landeskriminalämter", so Bettoni. Aber auch hier sei es schwierig, mutmaßliche Mitglieder tatsächlich vor Gericht zu stellen und zu verurteilen. Dennoch gebe es aktuell in Düsseldorf einen großen Prozess gegen mutmaßliche `Ndrangheta-Angehörige und ihre Komplizen. Man könne deshalb nicht sagen, Deutschland tue zu wenig.