Wem sagt der Name Wenzel Strapinski noch etwas? Nun, das ist eine fiktive Figur, der Held in einer Novelle des Schweizer Schriftstellers Gottfried Keller. Der Schneidergeselle Wenzel wird aufgrund seines feinen Anzugs für einen Grafen gehalten. "Kleider machen Leute", so lautet der Titel der Erzählung von 1874. Eine Redensart bis heute, und das baden-württembergische Kultusministerium führt die Novelle immer noch auf der Lektüreliste der achten und neunten Schulklassen. Ob Deutsch-Lehrerinnen und -Lehrer diese Empfehlung auch beherzigen, steht auf einem anderen Blatt.
Die Kolumne von Josef Karcher können Sie hier auch als Audio hören:
"Kleider machen Leute" – das ist jedoch brandaktuell und scheint nie aus der Mode zu kommen. Jedenfalls, wenn man an den "Tag der Jogginghose" in dieser Woche denkt. Die Schlabberhose aus den 1970ern ist voll im Trend. Ein Modesoziologe spricht sogar von einem Symbol für eine unverkrampfte Lebenseinstellung.
Jogginghose wird salonfähig
Wer also Nonkonformist ist und hauptsächlich im Homeoffice, der trägt dieses Kleidungstück, das inzwischen mehr ist als eine Ansammlung von Plastikteilchen, sondern aus hochwertigen natürlichen Stoffen besteht. Einem Modejournal war kürzlich zu entnehmen, dass die gebügelte Jogginghose, das perfekte Beinkleid sei, um im Kreise der Liebsten das zweite Pandemie-Weihnachten zu feiern.
Das wird Folgen haben. Die gestylte Freizeitkluft dürfte in absehbarer Zeit die Arbeitswelt erobern. Ähnlich wie die Jeans, die als ursprüngliche Arbeitshose längst salonfähig geworden ist.
Jogginghosen im Bundestag unvorstellbar?
Nur im Deutschen Bundestag wird sie es schwer haben, sich durchsetzen. Bekanntlich scheiterten mehrere mode-technische Reformvorhaben. Das reichte von den Abgeordneten der Bayernpartei, die in Lederhosen erschienen, bis zu den frühen Grünen, die Versuche in Latzhosen und Wollpullovern starteten. Ein Minister in Turnschuhen und eine Staatsministerin in einem Fußball-T-Shirt – das waren ebenfalls nur Episoden.
Wir sehen also, wer wirklich neue Maßstäbe setzen will, braucht neben Mut vor allem viel Durchhaltevermögen. Die Mode eignet dafür weniger; sie ist zu schnelllebig.