Stuttgart ist viel schöööner als Berlin!
Zackbumm, sind 18 Jahre lang verbuddelte Erinnerungen wieder da. Und die dazugehörigen Gefühle gleich mit.
Ja, ich bin eine von denen, die bis vor einer Woche gesagt haben, ach, diese EM, was interessiert die mich. Noch am Auftaktabend: Gegen wen spielen wir heute? Und wo? Die Eröffnungsfeier rauscht noch unbeachtet durch. Hopsende Cheerleader und ein Pokal aus bunten Tüchern. Jo, ich muss dann auch los. Aber dann passiert was. Noch auf dem Heimweg muss ich es doch wissen. “Wie steht’s?” rufe ich vom Fahrrad einem Trikot-Träger zu, der beim Gehen konzentriert ins Handy guckt. “2:0!” die beglückende Antwort, die erste zarte Sommermärchen-Erinnerungen weckt.
Die Kolumne von Laura Koppenhöfer können Sie hier auch als Audio hören:
Nach der zweiten Halbzeit, die anders als geplant gebannt vorm heimischen Bildschirm verbracht wird, ist aus Erinnerung schon fast Erwartung geworden. Natürlich durch das Knaller-Ergebnis und die Topform des Teams. Aber nicht nur. Ich hatte vergessen, wie gut das tut. Dieses gemeinsame Freuen und Fiebern und Feiern einer Party, zu der alle eingeladen sind. Egal, wie doof man sich sonst findet. Die fast therapeutische Wirkung eines gemeinsamen, positiv besetzten Themas, das eine Weile alle Krisen und Katastrophen verblassen lässt - und den Streit darüber, wer schuld ist, wer’s falsch macht und wer richtig. Eine Pause DAVON scheint gemeinschaftstherapeutisch besonders wertvoll.

Andere berichten Ähnliches. Dass sie der Anblick Hymnen-singender Fußballer (“unsere Jungs!”) dann doch sehr berührt hat. So sehr, dass man trotz besseren Wissens Teil der blank geputzten Fassade wird. Obwohl man weiß, dass die EM hunderte Millionen Steuergeld kostet und viel mehr als zum Bewerbungszeitpunkt vorausgesagt. Auch davon, dass die UEFA den ausrichtenden Städten aufwändige Fan-Feste vorschreibt, sich aus den Kosten aber komplett raushält, hat man gehört. Der Fußball-Verband kassiert, wir zahlen. Wie immer halt. Und trotzdem spielen wir mit. Wie immer halt.
Aber vielleicht lohnt sich diese EM am Ende nicht nur für die UEFA: Wenn mehr rauskommt als eine gute Platzierung. Dafür müsste der gerade so oft zitierte “Geist Europas” auch nach dem Finale präsent bleiben. Die “Zusammengehörigkeit über Grenzen hinweg”, die gerade so viel beschworen und von indischen Taxifahrern in Hamburg besungen wird. Bei so vielen Lobgesängen frage ich mich mittlerweile, ob die EM eine Woche zu spät angefangen hat. Vielleicht wäre das andere europäische Turnier, das am 9. Juni, weniger niederschmetternd ausgegangen, wären wir da schon vom “Geist Europas” erfüllt gewesen. Wer Europa so feiert, kann eigentlich niemanden wählen, der die politische Gemeinschaft Europas, die EU, hasst. Und Grenzen dicht machen will, was ziemlich exakt das Gegenteil von Zusammengehörigkeit ist.
Das Argument, man könne eine EM nicht einfach vorverlegen, zählt nicht. Nach einer Winter-WM in der Wüste kann man gegen eine Frühlings-EM im Wahlkampf auch nichts mehr einwenden.