Vier Personen sitzen drinnen und sind in moderne Geräte vertieft.  (Foto: IMAGO, agefotostock)

"Zwei Minuten": Die Kolumne zum Wochenende

Meinung: Digitale Entgiftung

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Gerhard Leitner
Gerhard Leitner (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Mein Handy ist weg - verloren! Und das alte Ersatzhandy kann kein Internet und gar nix - außer Telefonieren. Na und? Nach ein paar Tagen setzt die digitale Entgiftung ein. Eine Kolumne von Gerhard Leitner.

Mein Handy ist weg. Ich hab's verloren. Beim Auto-Ausladen muss es aus der Jacke gerutscht und neben oder unters Auto gefallen sein. Warum ich das weiß: Weil ein unehrlicher ehrlicher Finder eine wichtige Karte aus der Handy-Hülle beim Café an der Ecke an die Tür gelegt hat.

Die Kolumne von Gerhard Leitner können Sie hier auch als Audio hören:

Halbehrlicher Mistkerl

Am nächsten Morgen kam mir eine Bedienung mit der Karte entgegen: Das bist doch du auf dem Foto! Insofern ehrlicher Finder, wegen der Karte, aber unehrlicher Finder, weil er das Handy mitgenommen hat - der Mistkerl oder die Mistkerlin. Zumindest ist im Fundbüro bis jetzt nichts angekommen.

Auf digitalem Entzug

Sie ahnen, was das bedeutet, wenn erstmal alles weg ist: Telefonnummern, die auf der SIM-Karte gespeichert waren. Mein uraltes Not-Telefon kann kein Internet und damit auch kein WhatsApp, Navi, Kalender oder all die anderen tollen Sachen. Ein Horror. Immerhin telefonieren geht. Aber wissen Sie was, nach einigen Tagen Smartphone-Entzug fühle ich mich eigenartig frei.

Gerhard Leitner (Foto: SWR, d:light | Christian Koch )
Die Meinung von Gerhard Leitner

Angenehme Offline-Arroganz

Das digitale Entgiften scheint bei mir zu funktionieren. Wer mich erreichen will, soll anrufen. Die E-Mails check ich, wenn ich am Computer sitze, genauso wie alles andere, was nur online geht - das reicht immer noch. Zugegeben: Ich suhle mich ohnehin gelegentlich in Offline-Arroganz. Ist egoistisch, fühlt sich aber gut an. Aber ganz so einfach ist es natürlich nicht: Die ersten Tage ohne Smartphone waren doch ungewohnt.

Phantomverhalten mit leerer Hand

Beispiel: besagtes Café an der Ecke. Sind wir mal ehrlich, ich saß dort schon oft in der Haltung des modernen Menschen: Den Kopf leicht nach unten geneigt, starrer Blick aufs Handy. So wie es alle machen, auch in der Straßenbahn, beim Laufen, selbst beim Überqueren von Straßen. Aber jetzt, ohne Handy? Sitz immer noch so da: Kopf leicht nach unten, Blick auf die ausgestreckte leere linke Hand. Faszinierend. Was diese Hand schon alles erlebt, ge- oder begriffen hat, in mehreren Jahrzehnten. Die kann was erzählen.

Ganz viel Wohlfühlzeit

Und um den Spaß weiter zu treiben, streich ich dann wie beim Smartphone mit dem rechten Zeigefinger mehrmals sanft über die Handfläche - super angenehmes Gefühl: Kitzelt leicht und fühlt sich sehr viel angenehmer an, als der ganze Mist, den man manchmal aus Langeweile so aus dem Handy saugt.

Mal sehen, wie lange ich die digitale Freiheit unterwegs aushalte - ich glaube, das geht noch eine Zeit lang. Und bis ich das richtige Modell gefunden habe, das kann dauern.

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