Boris Palmer (Grüner mit ruhender Parteimitgliedschaft) bleibt nach dem ersten Wahlgang Oberbürgermeister von Tübingen. Das betrachte ich als Schlappe für alle Gutmenschen im Land. Seit Jahren prüfen Politik und Medien jede seiner Äußerungen darauf, ihn politisch zur Strecke zu bringen. Sie malen ein Bild von ihm, das eine viel wichtigere Gruppe, die Tübinger selbst, offenkundig nicht teilt. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger zeigt sich mit der Art und Weise, wie Boris Palmer seinen Job macht, zufrieden. Sie nimmt ihm nicht krumm, dass er bisweilen Mist raushaut.
Unter Dauerbeobachtung von Parteien und Medien
Das Wahlergebnis von Tübingen wirft für mich ein Licht darauf, dass die Parteien (am meisten Palmers eigene) eine Moralkeule schwingen ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit. Sprich darauf, was Bürgerinnen und Bürger tatsächlich über einen Trotzkopf, der an Tabus rührt, denken. Zu diesen selbsternannten Volksaufklärern zähle ich auch Journalistinnen und Journalisten, die einen Boris Palmer gern verbal verkloppen im Licht ihrer vermeintlich besseren Moral.
Ich glaube auch, dass Boris Palmer einen populistischen Zug hat. Er mag sich darin gefallen, als Enfant terrible durch deutsche Talk-Shows zu ziehen, wohin er als "normaler" Oberbürgermeister aus der schwäbischen Provinz vielleicht nicht käme. Dass er gleichwohl ein reflektierter Typ ist, zeigen seine Bücher. Die Doppelbegabung stellt ihn für mich in eine Reihe mit den legendären Südwest-Oberbürgermeistern Manfred Rommel (Stuttgart) und Rolf Böhme (Freiburg).