Der Krieg in der Ukraine sorgt bei vielen Menschen in Baden-Württemberg für neue Unsicherheiten. Laut der Landesapothekerkammer kaufen Menschen beispielsweise vermehrt Jodtabletten - mutmaßlich aus Angst vor einem Atomangriff. Die Apotheken würden aber von einem Kauf abraten. Laut Innenministerium lagert das Land 35 Millionen Jodtabletten, die man im Ernstfall verteilen würde.
Außerdem stellen sich viele die Frage, wie es im Land um Bunker und Sirenen bestellt ist. Der letzte noch funktionsfähige Zivilschutzbunker in Stuttgart liegt in Feuerbach, direkt unter dem Bahnhof, etwa fünf Meter unter der Erde. Er steht unter Denkmalschutz. Der Verein Schutzbauten Stuttgart betreibt den Bunker als Museum und wartet die Anlagen.
Rolf Zielfleisch ist Vorsitzender des Vereins und führt normalerweise Besucherinnen und Besucher durch die langen Gänge. Dorthin gelangt man nur über eine lange Treppe, vorbei an einer Stahltür. Im Bunker stehen Metallgestelle dicht an dicht. Auf ihnen sind Sitzflächen aus Holz montiert. Dort hätten im Ernstfall 1.200 Menschen Platz zum Sitzen gehabt. 14 Tage hätte man dort verbringen können. Einmal am Tag hätte es zu Essen gegeben. Alles wäre auf das Minimum herunter gefahren worden, erklärt Zielfleisch. So hätte man versucht, dort zu überleben.

Bundesregierung setzte auf privaten Bunker-Bau
Bunker wurden in Deutschland während des Zweiten Weltkriegs und bis in die 1980er Jahre errichtet, um die Bevölkerung vor Kriegen zu schützen. Insgesamt gab es in den alten Bundesländern rund 2.000 öffentliche sogenannte Schutzraumanlagen, so das Bundesamt für Kathastrophenhilfe. Die Regierung setzte aber vermehrt auf den "häuslichen Luftschutz", informiert der Verein für Schutzbauten in Stuttgart auf seiner Webseite.
Im Kalten Krieg wurden die noch vorhandenen Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg wieder instand gesetzt und stellenweise für einen Langzeitaufenthalt umgebaut. Die Zivilbevölkerung sollte sich eigene atomsichere Bunker bauen. Diese wurden auch vom Staat bezuschusst.
Innenministerkonferenz beschloss Aufgabe des Schutzraumkonzepts
In Stuttgart habe es 85 private Schutzräume gegeben, so der Verein. Mit dem Ende des Kalten Krieges änderte sich dann die Sicherheitslage. Gegen aktuelle Gefährdungen wie Klimawandel, Naturkatastrophen und Terrorismus bieten öffentliche Schutzräume keinen hinreichenden Schutz. Im Jahr 2007 beschloss daher der Bund im Einvernehmen mit den Ländern, das bisherige flächendeckende Schutzkonzept aufzugeben. Öffentliche Mittel für diesen Zweck wurden sofort eingestellt. Die bestehenden öffentlichen Schutzanlagen werden seitdem nach und nach abgewickelt, wie auf der Webseite der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu lesen ist.
Auch in Baden-Württemberg wurden Schutzräume mittlerweile aus der sogenannten Zivilschutzbindung rausgenommen. Sie dürfen umgebaut werden und es werden beispielsweise auch keine Betten mehr für den Ernstfall eingelagert. Viele Bauwerke sind noch intakt, Anlagen wie Luftfilter oder Notstromaggregate werden aber nicht mehr gewartet und wurden oft zurückgebaut. Viele private Bunker in Kellern oder Gärten würden heute brach liegen, so der Stuttgarter Verein. Teilweise würden sie für andere Dinge genutzt oder sind längst abgerissen. Wo sie sind, weiß kaum jemand.
Vermehrt Nachfragen zu Schutzmöglichkeiten in Bunkern
Was lange in Vergessenheit geraten schien, beschäftigt seit der russischen Invasion in der Ukraine immer mehr Menschen. Vermehrt riefen Leute an, die nach Zugang zum Bunker in Feuerbach und anderswo in Stuttgart fragten, so Rolf Zielfleisch. Nicht für eine Führung, sondern zum Schutz. Das müsse man leider verneinen. In Stuttgart sei das leider nicht mehr möglich.
Im Kalten Krieg dagegen gab es in Stuttgart viele große Schutzräume. Unter anderem die S-Bahn-Station "Stadtmitte". Hier wären im Notfall Betten auf dem Bahnsteig aufgestellt worden. Solche Szenarien waren nach dem Mauerfall unvorstellbar, sagt Hermann Schröder, Leiter der Abteilung "Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement" im baden-württembergischen Innenministerium. Damals habe man alle Zivilschutzmaßnahmen zurückgefahren.
Niemand konnte sich mehr vorstellen, dass wir in der Nähe von Europa kriegerische Handlungen haben.
Für den Zivilschutz, also die Sicherung der Bevölkerung im Kriegsfall, ist der Bund zuständig. Länder und Kommunen dagegen kümmern sich um den Katastrophenschutz - zum Beispiel bei Hochwasser.
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Zivil- und Katastrophenschutz gehe dabei Hand in Hand - beispielsweise bei Sirenen-Alarmen. Sirenen gebe es zwischenzeitlich nicht mehr flächendeckend, so Schröder. Manche Kommunen warnen lediglich über spezielle Apps. Das sei ein Problem, das sich unter anderem bei den Naturkatastrophen der vergangenen Jahre gezeigt habe.
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Sirenen seien in den letzten Jahren als ergänzendes Warnsystem für besondere Gefahrenlagen notwendig gewesen. Man müsse sich jetzt aber überlegen, ob man diese nicht wieder bundesweit als Warnmittel im Falle eines Luftangriffes einführe. Schröder glaubt, der Krieg in der Ukraine wird den Zivilschutz in Deutschland verändern. Eine konkrete Bedrohung sieht er derzeit aber nicht. Die Lage sei sehr dynamisch und man müsse sie beobachten. Zur Zeit gehe man aber davon aus, dass der Krieg in der Ukraine für Deutschland keine Gefährung der Sicherheit bedeute.
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