Was ist der Zensus?
Wieviel kostet der Zensus Baden-Württemberg?
Wie zählen Ukraine-Flüchtlinge?
Verlierer des Zensus 2011
Was ist 2022 anders?
Was bedeutet Auskunftspflicht?
Wie steht es um den Datenschutz?
Kritik an der Methode der Erhebung
Wann liegen Ergebnisse vor?
Zensus 2022 - Was ist das?
"Es ist die größte Erhebung der amtlichen Statistiker, das Umfangreichste, was uns die ganze Zeit begleitet", sagt Alexander Grund, ein Sprecher des Statistischen Landesamtes. Seit mehr als fünf Jahren wird am Zensus 2022 gearbeitet - am 15. Mai startet er. Unterstützt wird das Statistische Landesamt von den Kommunen im Land.
Alle Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, alle zehn Jahre einen Zensus durchzuführen. In Deutschland ist der Zensus 2022 eine Bevölkerungszählung, die mit einer Gebäude- und Wohnungszählung kombiniert wird. Sie basiert auf Daten aus Verwaltungsregistern. Zudem werden in einer sogenannten Haushaltsstichprobe weitere Daten gesammelt - dafür befragt das Statistische Landesamt allein in Baden-Württemberg etwa 1,7 Millionen Personen.
So viel kostet der Zensus 2022 das Land Baden-Württemberg
So viel Aufwand kostet auch viel Geld: Insgesamt belaufen sich die Gesamtkosten auf rund 118 Millionen Euro. Das sagt das baden-württembergische Finanzministerium, das für den Zensus zuständig ist. Der Großteil fällt demnach beim Statistischen Landesamt an, für Personalkosten als auch für die IT, welche die Behörde für die Erhebung zur Verfügung stellt. 44,4 Millionen Euro erhalten die Kommunen. Weitere Kosten zahlt der Bund: Er beteiligt sich mit insgesamt 300 Millionen Euro an den Ausgaben der Länder für den Zensus, auf Baden-Württemberg entfallen davon knapp 41,3 Millionen Euro.
"Von der amtlichen Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner hängt die Finanzverteilung auf verschiedenen Ebenen ab", so erläutert ein Sprecher des Finanzministeriums die Bedeutung der amtlichen Einwohnerzahl. Das gelte zum Beispiel für EU-Gelder und den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern sowie unter den Ländern.
Wegen Corona: Zensus wurde um ein Jahr verschoben
Eigentlich hätte der Zensus bereits im Jahr 2021 stattfinden sollen - wegen der Pandemie verschob der Bund alles um ein Jahr. Der damit verbundene Aufwand verursachte allein dem Land Baden-Württemberg Kosten von rund 18 Millionen Euro.
CDU-Fraktionschef Manuel Hagel hatte Ende März mit dem Landkreistag und dem Gemeindetag für eine weitere Verschiebung plädiert, weil die Kommunen durch Corona und die Ukraineflüchtlinge belastet seien. Dies wurde vom Finanzministerium abgelehnt: Die Planungen seien weit fortgeschritten, zudem würden weitere Kosten entstehen. Außerdem sei Deutschland eines der ganz wenigen Länder in der EU, das 2021 keine Werte erhoben habe, so eine Sprecherin des Ministeriums.

Zählen Ukraine-Flüchtlinge im Zensus mit?
Eine große Herausforderung für die Durchführung der Zensus-Erhebung 2022 sei die andauernde Pandemiesituation, so formuliert es ein Sprecher der Stadt Mannheim. Auch die aktuelle geopolitische Lage und der Zuzug von Flüchtlingen aus der Ukraine stelle eine "so nicht antizipierte Unwägbarkeit dar, mit der bei der Erhebung vor Ort umgegangen werden muss".
Der Städtetag Baden-Württemberg hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um solche Fragen zu klären. So bat er wegen der Frage nach dem Umgang mit Ukraine-Geflüchteten um Anweisungen vom Statistischen Bundesamt, das den Zensus bundesweit verantwortet. Diese wurden am Mittwoch bekanntgegeben. Ob Geflüchtete im Zensus gezählt werden oder nicht, hängt demnach unter anderem von ihrer Wohnsituation ab. Es ist kompliziert: In provisorischen Notunterkünften wird nicht gezählt, in bestehenden Flüchtlingsunterkünften schon. Kommen Geflüchtete in einer Privatwohnung unter und sind dort gemeldet, werden sie gezählt. Geben Sie an, dort nur vorübergehend zu wohnen, werden sie nicht gezählt. Wohnen sie unangemeldet in einer Privatwohnung, werden sie nur gezählt, wenn sie bei der Befragung angeben, dass sie längerfristig an dieser Anschrift wohnen.
"Wir hatten solche Hinweise nach Beginn des Ukrainekriegs erbeten und früher erwartet", so Norbert Brugger vom Städtetag Baden-Württtemberg gegenüber dem SWR. Solche Angaben seien für eine bundesweit einheitliche Zählweise notwendig. "Die Städte haben jetzt nur noch wenig Zeit, ihre Umsetzung vorzubereiten, sind durch die Coronasituation ohnedies besonders belastet", kritisiert Brugger.

Zudem verweist Brugger darauf, dass der Zensus nur die Basis für die Fortschreibung der Einwohnerzahl durch die Kommunen in den folgenden zehn Jahren festlege: "Wenn jetzt jemand gezählt wird, der aus der Ukraine ist und der wieder wegzieht, dann ist er nicht mehr in der Einwohnerstatistik und dann bekommen Städte auch kein Geld mehr."
Zensus 2011: Auswirkungen auf Baden-Württemberg
Der letzte Zensus aus dem Jahr 2011 brachte Baden-Württemberg wenig Gutes: Er zählte nämlich weniger Einwohner, als das Land prognostiziert hatte - insgesamt 274.000 Einwohner und Einwohnerinnen weniger. In Baden-Württemberg sank die Einwohnerzahl um 2,6 Prozent. Das wirkte sich auf den Finanzausgleich aus: In Summe kostete die veränderte Einwohnerzahl Baden-Württemberg im Jahr 2013 netto rund 140 Millionen Euro, so das Finanzministerium.
Auf die Gemeinden im Land bezogen zeigte der Zensus: 77 Prozent hatten weniger Einwohner als zuvor angenommen. Am größten war der Verlust in Mannheim: Die Stadt war nicht mehr zweitgrößte Stadt im Land, sondern hinter Stuttgart und Karlsruhe an dritter Stelle.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zensus
In ganz Deutschland zogen Städte und Gemeinden vor Gericht, um den Zensus anzufechten. In Baden-Württemberg taten sich die sechs Städte Mannheim, Heilbronn, Esslingen, Rutesheim (Kreis Böblingen), Metzingen (Kreis Reutlingen) und Emmendingen zu einer Musterklage zusammen. Im Herbst 2018 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Zählverfahren des Zensus im Falle von Berlin und Hamburg für rechtmäßig. Die Verfahren in Baden-Württemberg wurden mit Blick auf das Urteil zurückgezogen.
So berichtete damals SWR Aktuell über die Entscheidung:
"Die Klagen waren nicht umsonst"
Norbert Brugger vom baden-württembergischen Städtetag hatte damals die Musterklagen organisiert. "Die Klagen waren nicht umsonst", sagt er rückblickend. "Weil man jetzt die Stichprobe erhöht hat von 10 auf 15 Prozent in Baden-Württemberg und alle Kommunen bei der Zählung gleich behandelt werden". Daher blickt er der aktuellen Erhebung optimistisch entgegen. Ähnlich äußerten sich auf SWR-Nachfrage auch die Städte Mannheim und Emmendingen.
Was ist beim Zensus 2022 anders?
Wie beim letzten Zensus wird nicht die gesamte Bevölkerung, sondern nur ein Teil befragt, es wird eine sogenannte Haushaltsstichprobe ermittelt. Für den Zensus 2022 werden wesentlich mehr Menschen befragt als 2011. Zudem soll der Zensus dieses Mal auch in Gemeinden durchgeführt werden, die weniger als 10.000 Einwohner haben. Dies soll eine Ungleichbehandlung zwischen kleinen und großen Gemeinden verhindern. So wurden zwei wesentliche Faktoren verbessert, die auch die Kläger-Städte in Baden-Württemberg kritisiert hatten.
Außerdem neu sind Fragen zur Netto-Kaltmiete sowie zu den Energieträgern in den Gebäuden und Wohnungen und zum Leerstand. 2011 gab es zusätzlich noch Fragen zur Religion. "Die fallen jetzt dieses Jahr komplett weg", so Alexander Grund vom Statistischen Landesamt.
Emmendingen hofft auf bessere Zahlen als letztes Mal
Auf Seiten der Kommunen wurde für den neuen Zensus Aufwand betrieben, um Ergebnisse wie beim letzten Mal zu vermeiden. “Wir erwarten uns sicherlich davon, dass ganz einfach dieser Bevölkerungsschwund, der damals unerklärlich war, diesmal nicht eintritt", formulierte es Uwe Ehrhardt von der Stadt Emmendingen. Zudem erwartet er, dass die amtliche Einwohnerzahl nach oben korrigiert werde. Dafür sei "schon eine gewisse Arbeit nötig", so Ehrhardt.
"Ich glaube schon, dass die Klage von Emmendingen und den anderen Kommunen einfach dazu geführt hat, dass man das ganze Verfahren nochmal auf den Prüfstand gestellt hat."

103 Erhebungsstellen in Baden-Württemberg
Für die Ermittlung der Bevölkerungszahlen wurden in ganz Baden-Württemberg 103 Erhebungsstellen eingerichtet. Zum Vergleich: Im Jahr 2011 waren es 83. Gemeinden mit 30.000 und mehr Einwohnerinnen und Einwohnern sind gesetzlich verpflichtet, Erhebungsstellen einzurichten, ebenso die Landkreise. Dieses Mal durften auch große Kreisstädte mit weniger als 30.000 Einwohnern eine eigene Erhebungsstelle einrichten - wenn sie wollten.
Nach Auskunft des baden-württembergischen Städtetages hat sich etwa die Hälfte der betroffenen Städte dafür entschieden. So auch Emmendingen: Ingesamt 30 Personen wurden eigens dafür angestellt. "Sie haben den Auftrag, wirklich ganz verlässlich zu schauen, findet man alle Menschen, die an dieser Anschrift wohnen, sodass wir dann im Ergebnis in der Erhebungsstelle diese Bewohner auch wieder in das System eintragen können und damit die amtliche Einwohnerzahl und die Zahlen aus unserem Einwohnerregister möglichst natürlich auch übereinstimmen”, erklärte Ehrhardt.
Zudem erfordert die "Statistische Geheimhaltung" besondere Schutzmaßnahmen: So ist gesetzlich vorgeschrieben, dass die Erhebungsstellen räumlich, organisatorisch und personell von anderen kommunalen Verwaltungsstellen getrennt sein müssen.
Kritik an der gewählten Methode der Befragung
Ginge es nach der Stadt Mannheim und dem Städtetag Baden-Württemberg, sollte der Zensus anstatt auf einer Haushaltsstichprobe auf einem zentralen Melderegister beruhen - wie es zum Beispiel in skandinavischen Ländern der Fall ist. In Dänemark erhält jeder Bürger eine CPR-Nummer, eine Servicenummer, in der alle Behördendaten gespeichert werden. So können auch Bevölkerungszahlen relativ einfach abgerufen werden.
"Unterm Strich hoffe ich, dass es der letzte Zensus dieser Art ist."
Blick in die Zukunft: Zensus 2031
Tatsächlich sei der Zensus 2031 bereits in Planung - ausschließlich registergestützt, heißt es beim Statistischen Landesamt. Diese Veränderung würde weniger Aufwand bedeuten: "Die Mühe mit der Haushaltsstichprobe, Erhebungsstellen, Erhebungsbeauftragten - das fällt dann alles weg", so Sprecher Alexander Grund.
Zunächst müssen dafür aber rechtliche Grundlagen geschaffen werden - dazu gehört eine Registermodernisierung. Denn bisher sind die Daten der deutschen Ämter nicht miteinander vernetzt. Nach Ansicht des Städtetags Baden-Württemberg wäre das ein Gewinn, denn: "Das schmerzt uns natürlich nach wie vor als Kommunen: dass wir Zahlen in eine Blackbox geben, die eine Blackbox bleibt", so Norbert Brugger. Dem entgegen sprechen Bedenken von Datenschützern - wenn es bestimmte Daten gibt, dann liege auch ein Missbrauch nahe.
Registermodernisierung und Datenschutz
Die offiziellen baden-württembergischen Datenschützer können sich durchaus eine datenschutzkonforme Registermodernisierung vorstellen. "Bei der Verwendung personenbezogener Daten durch den Staat im Zusammenhang mit einer Registermodernisierung sollte insbesondere auf größtmögliche Transparenz geachtet werden, damit die Bürger und Bürgerinnen immer über die Verarbeitungsvorgänge Kenntnis haben und gegebenenfalls ihre Rechte geltend machen können", so ein Sprecher des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Stefan Brink.
Eine Einschätzung dazu, ob der rechtliche Rahmen dafür tatsächlich bis 2031 geschaffen werden kann, wollte man nicht geben.
Mehrere Gesetze zum Zensus
Mehrere Gesetze regeln den rechtlichen Rahmen des Zensus, darunter das Zensusgesetz. Darin sind zum Beispiel die Stichprobengröße und Maßnahmen zur Gewährung des Datenschutzes und die Kostenaufteilung zwischen Bund und Ländern geregelt. Paragraf 23 des Zensusgesetz besagt, dass die Befragten, die per Zufall ausgewählt wurden, gesetzlich zur Auskunftserteilung verpflichtet sind.
Wer befragt wird, muss mitmachen
Kommen Befragte auch nach Erinnerung ihrer Auskunftspflicht dem nicht nach, kann es dazu kommen, dass sie ein Zwangsgeld zahlen müssen: "Von wenigen Hundert bis mehrere Tausend Euro sind möglich", heißt es beim Statistischen Landesamt. Bei wiederholter Nichtmeldung kann ein erhöhtes Zwangsgeld erhoben werden, so lange bis die gesetzliche Auskunftspflicht erfüllt ist.

Warum der 15. Mai als Stichtag?
Der Stichtag wurde bewusst auf einen Sonntag gelegt: "Weil am Sonntag keine Änderungen im Melderegister vorgenommen werden können. Gleichfalls oder ebenfalls werden auch keine Eigentumsverhältnisse bei Gebäuden und Wohnungen am Sonntag vorgehen", so Alexander Grund vom Statistischen Landesamt.
Was passiert mit den Daten?
Alles was den Zensus anbelangt, entspricht den Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung und den Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik. Es gilt ein sogenanntes Rückspielverbot. Das heißt, dass die statistische Geheimhaltung die Weitergabe oder die Veröffentlichung verbietet, wenn die Daten Rückschlüsse auf einzelne Betroffene zulassen. Gleichzeitig ist es auch untersagt, dass personenbezogene Daten an die Stellen zurückgespielt werden, von denen die Angaben kommen.
Wann gibt es Ergebnisse?
Die Aufbereitung der Daten findet kommendes Jahr statt. Die Ergebnisse sollen im Herbst 2023 veröffentlicht werden. Daten, die bis dahin eingehen, fließen in die Ergebnisse mit ein. Die Daten sollen online bereitgestellt werden.