In Baden-Württemberg gibt es seit Mittwoch eine landesweite Koordinierungsstelle für Fachberatung bei sexualisierter Gewalt. Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen müsse entschieden bekämpft werden, sagte Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) bei der Eröffnung der neuen Koordinierungsstelle in Stuttgart. Diese soll die bereits vorhandenen 45 Beratungsstellen vernetzen und für landesweite Projekte im Präventionsbereich sorgen. "Nachdem sexuelle Gewalt ewig tabuisiert wurde, ist es jetzt unsere Aufgabe es aufzuarbeiten: strafrechtlich und pädagogisch", so Lucha.
Schulen in Präventionsarbeit einbeziehen
So soll an den 4.500 Schulen im Land eine Analyse gemacht werden: Hausmeister, Schulsozialarbeiterinnen und -arbeiter sowie Lehrerinnen und Lehrer sollen gemeinsam überprüfen, wo es Risiken für sexualisierte Gewalt gebe. Ziel sei es, so Gewalt zu verhindern. Fachleute schätzen, dass auch in Baden-Württemberg in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder sitzen, die Opfer von sexualisierter Gewalt sind.
Das berichtet Martina Huck, Vorstandsmitglied bei der neu gegründeten Landeskoordinierungsstelle spezialisierter Fachberatung bei sexualisierter Gewalt in Baden-Württemberg. Bis vor kurzem war sie noch Leiterin der Fachberatungsstelle Wildwasser in Esslingen.
"Es ist eine erschreckend hohe Zahl, die wir trotzdem nicht genau beziffern können, denn die Dunkelziffer ist hoch."
Kinder hätten aber in jedem Fall ein sehr gutes Gefühl, wann etwas nicht in Ordnung sei und was sie dabei empfunden hätten, berichtet Huck. Bei Präventionsveranstaltungen ermuntern die Fachpädagoginnen und -pädagogen Kinder genau darüber zu sprechen und zu erzählen.
Koordinierungsstelle soll Netz aufbauen
Die neue Koordinierungsstelle, die von Expertinnen der Organisationen Wildwasser, Brennessel und Frauen helfen Frauen aufgebaut wurde, soll helfen, Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg noch besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Das Land finanziert das Koordinierungsbüro mit jährlich 300.000 Euro. Damit soll auch die Zusammenarbeit beispielsweise mit Familiengerichten und Jugendämtern verbessert werden, so das Sozialministerium. Bislang fänden Betroffene und ihre Angehörigen sowie Fachkräfte in Schulen und Kitas nicht in allen Stadt- und Landkreisen spezialisierte Beratungsstellen. "Ob eine Person Hilfe bekommt, darf aber nicht von ihrem Wohnort abhängen", sagte Sozialminister Lucha.
Anlaufstellen fehlen in einigen Landkreisen noch
Erst kürzlich sind in Biberach und Sigmaringen neue Anlaufstellen entstanden. In Freudenstadt klafft noch eine Lücke. Die verbleibenden weißen Flecken auf der Landkarte sollen mit Hilfe der Koordinierungsstelle geschlossen werden. "Ich denke, es ist schon ein großes Stück geschafft, wenn Kinder, die irgendetwas erleben, sich in den Anfängen trauen zu öffnen und dann Erwachsene an ihrer Seite wissen, die ihnen helfen das zu beenden, sodass gar kein großer Schaden entsteht", so Martina Huck von der neuen Koordinierungsstelle.
Politik will das Problem angehen
Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) sagte, es sei ihr erklärtes Ziel, dass alle Schulen zu einem Schutzort werden. Auch aus der Opposition kommt Zuspruch. Es brauche eine politische Kraftanstrengung zum Schutz der Kinder, so die familienpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion Isabell Huber. Die Einrichtung der Landeskoordinierungsstelle für Kinderschutz in Stuttgart sei dabei ein wichtiger Schritt.
Sexualstraftaten im öffentlichen Raum: Tendenz steigend
Laut aktueller Kriminalitätsstatistik für Baden-Württemberg sind Sexualstraftaten im öffentlichen Raum 2021 im Vergleich zu 2020 um knapp acht Prozent angestiegen. Dies sei insbesondere auf die Zunahme der Verbreitung, des Erwerbs, des Besitzes oder des Herstellens kinderpornografischer Inhalte zurückzuführen. Die Aufklärungsquote aller Sexualstraftaten betrug im Jahr 2021 laut Innenminister Thomas Strobl (CDU) gut 89 Prozent. "Das ist der höchste Wert seit mehr als 15 Jahren“, sagte der Innenminister bei der Vorstellung des Berichts.