Die Corona-Maßnahmen erschweren Hilfsangebote für wohnungslose und von Armut bedrohte Menschen, so die Liga der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg. Laut dem Dachverband der Wohlfahrtsverbände im Land ist die Zahl der Betroffenen im zweiten Jahr der Corona-Pandemie gestiegen - wenngleich sie noch leicht unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit liegt.
Dachverband fordert mehr soziale Wohnungen
Auf längere Sicht müssten deutlich mehr Wohnungen gebaut werden, die für die betroffenen Gruppen in Frage kämen, forderte die Vorsitzende des Dachverbands, Annette Holuscha-Uhlenbrock, am Dienstag in Stuttgart.
Der soziale Wohnungsbau müsse dafür priorisiert werden. Im Bestand und beim Neubau müsse "wirksam und sozial verantwortlich gesteuert" werden. Holuscha-Uhlenbrock ergänzte: "Wir brauchen Kontingente an Sozialwohnungen für wohnungslose Menschen."
Rund 11.600 Menschen suchten Hilfe
Der Bedarf steigt. Am Stichtag der Erhebung im September 2021 haben rund 11.600 Menschen die Dienste der Wohnungslosen- und Straffälligenhilfe im Land genutzt. Das seien zwar etwa 650 weniger als im Vor-Corona-Jahr 2019, aber rund 200 mehr als 2020.
Ehrenamtliche und Caritas helfen Obdachlose haben es in Pforzheim im Corona-Winter schwer
Nässe und Kälte sind für Obdachlose im Winter eine große Herausforderung. In Pforzheim gibt es laut Caritas kein ausreichendes Betreuungsangebot.
Die meisten Hilfesuchenden sind Männer
Die Schätzung der Liga geht auf die sogenannte Stichtagserhebung vom vergangenen September zurück. Dabei wurden die Menschen gezählt, die sich an einem bestimmten Tag in einer sozialen Hilfseinrichtung aufhielten oder bis 30 Tage zuvor Kontakt zur Einrichtung gesucht hatten oder am Stichtag noch betreut wurden.
Demnach waren die meisten Hilfesuchenden im vergangenen Jahr Männer (72,7 Prozent), die Gruppe der 25- bis 49-Jährigen machte zudem mit 46,4 Prozent den größten Anteil aus. "Seit mehreren Jahren ist zu beobachten, dass die Altersgruppe der über 50-Jährigen stetig ansteigt", teilte die Liga mit.
"Das Risiko, im Alter arm zu sein, steigt für Teilgruppen unserer Gesellschaft an."
Verband: Digitalisierung grenzt Wohnungslose aus
Die strengen Corona-Auflagen hätten diese Gruppen stark getroffen, sagte Gabriele Kraft von der Diakonie Württemberg. "Im Lockdown hat man die wohnungslosen Menschen weitgehend vergessen." Das Land müsse über die 2020 gestellte schnelle Hilfe weitere Kosten durch die Pandemie ausgleichen und bei der digitalen Infrastruktur aushelfen.
Hilfseinrichtungen müssten derzeit Aufgaben der Behörden übernehmen, weil diese nicht gut zu erreichen seien. Die Digitalisierung der Verwaltung grenze wohnungslose Menschen aus, so Holuscha-Uhlenbrock., so Holuscha-Uhlenbrock.
FDP will Obdachlosen schneller Wohnungen stellen
Vertreter der Opposition reagierten auf die verschärfte Situation für Wohnunsglose in der Pandemie. Ein wichtiger Schritt wäre nach Einschätzung der FDP eine umfassende "Housing First"-Strategie. Nach dem aus den USA stammenden Konzept wird Menschen, die lange oder immer wieder auf der Straße gelebt haben, bedingungslos eine richtige Wohnung gestellt. Erst im zweiten Schritt wird der individuelle Hilfebedarf ermittelt. Dadurch werde auch die Gesellschaft von Kosten für Akutbehandlungen, Polizeieinsätze, Ordnungsmaßnahmen oder den Betrieb von Notunterkünften entlastet, sagte Niko Reith, der sozialpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion.
SPD fordert mehr sozialen Wohnungsbau
Die SPD fordert mehr Geld: "Ohne eine massive Aufstockung der Mittel für den sozialen Wohnungsbau wird es nicht gelingen, die Wohnungsnot im Land zu lindern", sagte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dorothea Kliche-Behnke. Sie kritisierte: "Insgesamt ist diese Entwicklung auch das Ergebnis einer Wohnungspolitik, die darauf vertraut, dass der Markt alleine schon alles richten werde."
Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) verwies am Dienstag in der Regierungspressekonferenz auf ein Bündel von Maßnahmen, zu denen unter anderem mehrere Soforthilfeprogramme in den vergangenen beiden Wintern und die Initiative Erfrierungsschutz gehörten.