In einem Appartment für Geflüchtete aus der Ukraine steht Küchengeschirr. (Foto: picture-alliance / Reportdienste, picture alliance/dpa | Sophie Brössler)

Krieg in der Ukraine

Wie kommen Geflüchtete in Baden-Württemberg an passende Wohnungen?

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Betina Starzmann

Nach der ersten Versorgung brauchen Geflüchtete aus der Ukraine auch Platz zum Wohnen. Das stellt Hilfesuchende und Helfende in Baden-Württemberg vor bürokratische Hürden.

In vielen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg ist die Hilfsbereitschaft für Geflüchtete aus der Ukraine groß. Viele sind bereits im Land angekommen und werden notgedrungen zuerst in Landeserstaufnahmezentren, Messen oder Sporthallen untergebracht. Andere finden bei Verwandten oder bei Freiwilligen vorübergehend eine Bleibe.

Doch niemand weiß, wie lange der Krieg in der Ukraine noch andauert. Die, die länger bleiben, brauchen dann über kurz oder lang eine eigene Wohnung. Das stellt auch Städte und Gemeinden im Land vor Herausforderungen.

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Kommunen suchen geeigneten Wohnraum

Innerhalb der ersten zwei Wochen nach ihrer Ankunft sollten die Geflüchteten von der Erstunterbringung in der Tübinger Kreissporthalle weiter vermittelt werden, so Monika Jaroch-Völker, Leiterin der Fachabteilung Hilfen für Geflüchtete der Stadt Tübingen, - entweder in Wohnungen im Stadtgebiet oder in den Gemeinden.

In Tübingen seien derzeit rund 60 Menschen bei Privatleuten untergekommen, schätzt Jaroch-Völker. Im Gespräch mit dem SWR geht sie von weiteren 80 Personen aus, für die man momentan offiziell nach Wohnraum suche.

Jaroch-Völker sagt aber auch, dass sich mittlerweile immer mehr Menschen bei der Stadt meldeten, die Geflüchtete aus der Ukraine privat bei sich aufgenommen hätten, jetzt aber sagen, das gehe noch ein, zwei Wochen gut, dann bräuchte man eine andere Unterbringungsmöglichkeit.

Privatleute bieten bereits hunderte Wohnmöglichkeiten an

In Tübingen seien der Stadt bereits 75 Wohnungen oder sogar Häuser von Privatleuten angeboten worden, die länger als ein Jahr vermietet werden können. Dazu kämen 130 kürzere Mietverträge. Die Wohnungen besichtige man derzeit, so Jaroch-Völker. Ihre Kolleginnen und Kollegen schauen nach Zustand, vorhandenen Möbeln oder, ob sie renovierungsbedürftig sind. Angeboten werde alles, von der Doppelhaushälfte bis zur Einliegerwohnung. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl sei, dass Wohnraum mindestens für ein Jahr zur Miete angeboten werde, sagt Jaroch-Völker. Gesucht würden vor allem Wohnungen oder Häuser für Familien und Alleinerziehende mit Kindern.

Von der Einliegerwohnung bis zum Mehrfamilienhaus

Der Stadt Ulm liegen bis jetzt knapp 200 Angebote vor, heißt es aus der Abteilung für Soziales auf SWR-Anfrage. Die Bandbreite reiche von Einzelzimmern über private Einlieger- und abgeschlossenen Einzelwohnungen bis hin zu Mehrfamilienhäusern. Auch alte Gasthöfe oder sogenannte Monteursunterkünfte gewerblicher Anbieter, die als Gemeinschaftsunterkünfte geeignet sind, würden angeboten. Man stehe kurz vor Vertragsabschlüssen über die Anmietung von fünf, wahrscheinlich sogar sieben größeren Liegenschaften mit jeweils bis zu 40 Plätzen, bestätigt die Abteilung.

Mehrere Städte in der Region Stuttgart haben sich bereits über die Sozialen Medien an die Bürgerinnen und Bürger gewandt, um nach Wohnraum zu suchen. Einige Angebote für freie Wohnungen und Zimmer seien auch schon eingetrudelt, so Sprecher der Städte Sindelfingen und Stuttgart.

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Erste Vermietungen ab April möglich

In Ulm dauere es etwa vier Wochen ab dem ersten Kontakt zwischen Vermieter und der Stadt, bis erste Geflüchtete einziehen können. Wenn der Wohnraum erst noch saniert, hergerichtet oder möbliert werden muss, entsprechend länger, so die Stadt.

In Tübingen sollen erste Geflüchtete ab 4. April in ihre neuen Wohnungen einziehen können, sagt Jaroch-Völker. Sollten Vermieterinnen und Vermieter beispielsweise auf eine Miete angewiesen sein, gebe es auch die Überlegung, Mietverträge auf den 1. April zurück zu datieren.

Stadt mietet Wohnungen für Geflüchtete an

Für die Erstunterbringung der Geflüchteten ist zunächst der Landkreis zuständig. Er stellt den Geflüchteten die Wohnung für das erste halbe Jahr zur Verfügung. Wenn Geflüchtete länger im Land bleiben, werden sie in Anschlussunterkünfte vermittelt. Dafür sind wiederum die jeweiligen Städte und Gemeinden verantwortlich. Die zur Verfügung stehenden Wohnungen würden durch die Stadt an den Landkreis gemeldet, erklärt Monika Jaroch-Völker.

In Tübingen beispielsweise mietet die Wohnungsgesellschaft GWG die angeboteten Wohnungen im Auftrag der Stadt an. Der Landkreis sei dann für die kommenden sechs Monate sozusagen Untermieter, erklärt Jaroch-Völker. Gemeinsam mit Stadt und Landratsamt kümmere sich die Wohnungsgesellschaft dann um die Verwaltung der Wohnungen. Die Mietkaution werde ebenfalls übernommen.

Mietpreise richten sich nach Obergrenzen

Die meisten Geflüchteten erhalten zunächst Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder sind auf die Leistungen der Sozialleistungsträger angewiesen, wenn sie nicht sofort eine Arbeitsstelle erhalten.

Die Stadt Ulm orientiert sich bei den vermittelten Wohnungen deshalb an den Mietobergrenzen, wie sie auch in den Asylbewerberleistungen und anderen Bereichen der Sozialhilfe definiert sind. In die Kalkulation für große Objekte fließen auch weitere Faktoren ein: Wie viele Personen können in der Immobilie untergebracht werden? In welchem Zustand ist diese? Muss sie saniert werden? Wie sind Zuschnitt und Lage? Das seien alles keine Standardgrößen, sondern jedes Angebot werde einzeln geprüft und verhandelt, schreibt die Stadt auf SWR-Nachfrage.

In Tübingen handelt die Wohnungsgesellschaft GWG die Mietverträge mit den Vermieterinnen und Vermietern aus. Einzelheiten zur Angemessenheit der Miethöhe können im individuellen Gespräch geklärt werden, steht dazu auf der Webseite der Stadt.

Kosten werden über Sozialleistungen erstattet

Aber auch wer privat Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich aufnimmt, kann Unterstützung erhalten. Der Kreis Reutlingen informiert dazu auf seiner Internetseite: Werden Menschen aus der Ukraine in der eigenen Wohnung mit aufgenommen, können zusätzlich zu den sogenannten Regelleistungen (beispielsweise für Essen und Bekleidung) pro erwachsener Person bis zu 280 Euro und für jedes mitaufgenommene Kind bis zu 140 Euro pro Monat als Beteiligung an den Aufnahmekosten berücksichtigt werden.

Auch die Stadt Ulm erstattet privaten Gastgeberinnen und Gastgebern, die ukrainische Geflüchtete beherbergen, einen Großteil der Unterkunftskosten. Dies geschieht im Rahmen der Sozialleistungen, auf die Geflüchtete aus der Ukraine Anspruch haben.

Land übernimmt Kosten für privat untergebrachte Ukraine-Geflüchtete

Die Landesregierung hat mittlerweile angekündigt, die Kosten für privat untergebrachte Flüchtlinge aus der Ukraine zu übernehmen. Normalerweise wären die Sozialleistungen eine kommunale Angelegenheit. Das Land hat nun aber den Kommunen zugesagt, ihnen die anfallenden Kosten zu erstatten.

Wohnraum besser an Städte und Gemeinden melden

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg bestätigte dem SWR, dass es bei der Vermittlung von geeignetem Wohnraum wohl immer wieder zu zu hohen Preisvorstellungen seitens der Eigentümer und Eigentümerinnen komme.

Viele Vermieterinnen und Vermieter bieten auch privat, beispielsweise über Anzeigen im Internet, Wohnungen oder Zimmer auf dem freien Markt für Geflüchtete an. Andere suchen dort für Geflüchtete nach Wohnraum. Davon rät Monika Jaroch-Völker ab. Mit Hilfs- und Suchangeboten solle man sich besser direkt an die Landratsämter beziehungsweise die Kommunen wenden. Viele hätten bereits Online-Registrierungsmöglichkeiten auf ihren jeweiligen Internetseiten eingerichtet. Außerdem könne man als Vermieter oder Vermieterin dann auch sichergehen, dass die jeweilige Miete vom Jobcenter übernommen werde.

Anbieter dürfen mitentscheiden wer einzieht

Bei der offiziellen Vermittlung in Einzelwohnungen spielen verschiedene Faktoren eine Rolle: Vor allem die Aufenthaltsdauer ist entscheidend, aber auch die Eignung des Wohnraums spielt eine große Rolle, Familien mit Kindern werden ebenfalls möglichst rasch vermittelt. Bevorzugt werden auch Geflüchtete mit besonderer Vulnerabilität etwa hohes Alter, Vorerkrankung, Behinderung, heißt es aus Ulm. Auch in Tübingen hat man als Vermieter oder Vermieterin ein Mitspracherecht bei der Belegung der angebotenen Wohnung.

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