"Zivile Verteidigung" stärken

Innenminister sieht wachsende Bedrohung durch Russland: BW will sich auf Ernstfall vorbereiten

Stand

Die sicherheitspolitische Lage auf der Welt hat sich verändert - und zwar zu Ungunsten von Deutschland. BW will sich auf den Ernstfall vorbereiten. Doch das sorgt auch für Kritik.

Bei einer Infoveranstaltung am Freitag in Stuttgart klärt das Bundesinnenministerium zusammen mit dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg auf, was auf das Land bei einem Angriff auf NATO-Gebiet zukommen würde. Dabei werden verschiedene Szenarien durchgespielt: von Cyberattacken bis hin zum Vormarsch des Gegners auf deutsches Gebiet.

Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) spricht hierbei unter anderem mit Landrätinnen und Landräten, Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern sowie der Bundeswehr darüber, welche Vorbereitungen nötig sind.

BW müsse "verteidigungsfähig" werden

Grund für die Veranstaltung ist die veränderte sicherheitspolitische Lage. "Russland zeigt sich aggressiv, die USA sind kein zuverlässiger Partner mehr, auf den sich Deutschland und Europa verteidigungspolitisch verlassen können", erklärte Innenminister Strobl in einer Pressemitteilung.

Da bei einem Angriff auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werde, setzt das Land in verschiedenen Bereichen auf starke Kooperation mit dem Bund und den Kommunen. Etwa wenn es darauf ankommt, die Bevölkerung über verschiedene Kanäle vor Bedrohungen zu warnen, oder bei der Einrichtung von Notfallzentren und Schutzräumen.

Schutzräume sind in schlechtem Zustand

Laut baden-württembergischem Innenministerium gibt es im Land rund 220 öffentliche Schutzräume mit rund 176.000 Schutzplätzen. Nach den Vorgaben des Bundes werden diese jedoch seit Jahren nicht mehr fachgerecht unterhalten.

Auf Initiative des Landes erarbeitet der Bund jetzt ein neues Konzept für Schutzräume. Die Kommunen sollen vom Land zudem eine Notfallausrüstung erhalten: unter anderem Notstromaggregate, Radios und Megaphone.

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Man müsse sich insgesamt zudem auf eine veränderte Zusammenarbeit mit der Bundeswehr einstellen, so Strobl. In den vergangenen Jahren habe der Schwerpunkt vor allem darauf gelegen, dass die Bundeswehr den zivilen Kräften geholfen habe, etwa in der Pandemie oder bei Unwettern. Jetzt rücke der umgekehrte Fall in den Fokus: die Unterstützung der Streitkräfte durch die zivile Seite, sagte Strobl.

Große Belastung für BW bei Truppen-Aufmarsch

Sollte es im Ernstfall zu einem militärischen Konflikt an der NATO-Ostflanke kommen, hätte das spürbare Auswirkungen auf ganz Deutschland, erklärte Michael Giss, Bundeswehr-Kommandeur des Landeskommandos für Baden-Württemberg. Denn das Bundesgebiet sei die logistische Drehscheibe, wenn es darum gehe, Truppen an die NATO-Ostflanke zu verlegen. "Das ist ein Punkt, wo wir also im Ländle und in Deutschland eben mit großen Militärkolonnen zu rechnen haben, die wir hier auch mal versorgen müssen, die hier einfach durchs Land fahren", sagte Giss dem SWR.

Welche Rolle Baden-Württemberg in diesem Fall zukäme, ist im sogenannten Operationsplan Deutschland festgeschrieben. Der Plan legt fest, wie Behörden, Wirtschaft und Bundeswehr im Ernstfall zusammenarbeiten. Aufgrund der wirtschaftlichen Stärke und den Verkehrsmöglichkeiten sei Baden-Württemberg aber von großer Bedeutung. "Ich würde schon sagen, dass Baden-Württemberg im Zuge unserer Planungen zivil und militärisch da eine wesentliche Rolle spielen wird", so Giss.

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Bei einem Truppen-Aufmarsch an der NATO-Ostflanke, also beispielsweise im Baltikum, werde die Infrastruktur stark beansprucht. Giss verweist zudem darauf, dass in diesem Fall auch viel Arbeit auf die Kommunen zukommen würde. Diese müsste die Militärtransporte unterstützen. "Wenn die da irgendwo mal anhalten und Rast machen, dann brauchen die etwas zu essen. Dann brauchen die Benzin, dann brauchen die einen Arzt et cetera et cetera", erklärte Giss.

Für die medizinische Versorgung in einem möglichen Krisenfall ist das baden-württembergische Sozialministerium "im engen Austausch mit den zuständigen Partnern". Vonseiten des Ministeriums heißt es auf SWR-Anfrage, Krankenhäuser in Baden-Württemberg müssten durch geeignete Vorkehrungen sicherstellen, dass die Versorgung auch bei einem Massenanfall von Verletzten gewährleistet werden könne. Derzeit werde geprüft, ob solche Regelungen mit Hinblick auf zukünftige Krisenszenarien noch tauglich seien.

Freiburger Friedensaktivist: Aufrüstung auf Kosten von Gesundheit und Pflege

Jürgen Grässlin, Bundessprecher der Deutschen-Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), betonte im Gespräch mit dem SWR, man sei heute schon Russland in konventionellen militärischen Bereichen hochüberlegen. "Mit dem Sondervermögen wird die Bundeswehr bis auf die Zähne hochgerüstet." Das passiere auf Kosten von Bildung, Sozialem, Gesundheit und Pflege, so der Freiburger Friedensaktivist.

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Zudem zähle die baden-württembergische Rüstungsindustrie schon heute zu den "Kriegsprofiteuren par excellence". Was man in Baden-Württemberg brauche, sei die Rückkehr zu einer Kultur des Friedens mit Abrüstungsverhandlungen. Vorbildlich dafür sei das "Konzept Sicherheit neu denken" der Evangelischen Landeskirche Baden.

Laut der Evangelischen Landeskirche wird darin ein Szenario entwickelt, nach dem ein Ausstieg aus der militärischen Friedenssicherung und ein Umstieg in eine rein zivile Sicherheitspolitik gelingen könnte. Zivile Sicherheitspolitik bedeute, dass Sicherheit nicht mit militärischen Mitteln, sondern durch Diplomatie, Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung erreicht werden sollen. Das Ziel dabei: Konflikte frühzeitig zu verhindern.

Von der zivilen Verteidigung, wie sie am Freitag im Innenministerium besprochen wird, hält Grässlin nichts. Er sagt, das Sondervermögen benötige man für die Sanierung maroder Brücken und Straßen für den zivilen Autoverkehr, "aber bitte nicht für tonnenschwere Militär-Lkw und Kampfpanzer."

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