Jugendlicher liegt auf einem Sofa und blickt auf sein Smartphone. (Foto: dpa Bildfunk, Tobias Hase)

Umstrittene EU-Pläne

Chat-Kontrolle gegen Kindesmissbrauch: BW-Datenschützer befürchtet Ende der Privatsphäre

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Katharina Fuß
SWR-Redakteurin Katharina Fuß (Foto: Fotoatelier M., Terzo Algeri)

Die EU will Messenger-Dienste verpflichten, die Kommunikation ihrer Nutzer zu kontrollieren. Experten sind alarmiert. Können wir bald nicht mehr geschützt bei WhatsApp und Co kommunizieren?

Die EU-Kommission will noch stärker gegen Kinderpornografie im Internet vorgehen und die Täter aus der Anonymität holen. E-Mails und Chats sollen dafür künftig automatisch gescannt werden.

Für die Unternehmen heißt das, sie sollen sexualisierte Gewalt gegen Kinder auf ihren Plattformen erkennen, melden und dann entfernen. Die genaue Umsetzung soll den Anbietern selbst überlassen bleiben.

Facebook- und WhatsApp-App auf einem Smartphone. (Foto: IMAGO, IMAGO / photothek)
Plattformen wie Facebook müssen die Chatkontrolle selbst umsetzen.

BW-Datenschutzbeauftragter: Massiver Eingriff in Grundrechte

Der Datenschutzbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Stefan Brink, sieht in dem Gesetzentwurf der EU-Kommission einen massiven Eingriff in die Bürgerrechte. Auf SWR-Anfrage sagte Brink: "Wer ein Gesetz zum Schutz vor sexuellem Missbrauch von Kindern vorlegt, muss einen vernünftigen Vorschlag formulieren, wie der offensichtliche Konflikt mit dem Schutz privater Kommunikation und der Wahrung von Verschlüsselung sinnvoll gelöst wird". Diese Abwägung werde in dem Gesetzesentwurf nicht ansatzweise vorgenommen, so der Landes-Datenschutzbeauftragte.

Stefan Brink, Baden-Württembergs Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, spricht während der Vorstellung des Datenschutzberichts 2020.  (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow)
Der BW-Datenschutzbeauftragte Brink hält den Gesetzentwurf für die Chatkontrolle für freiheitsfeindlich.

Die Presse- und Meinungsfreiheit geriete deutlich unter Druck, so Brink. Die journalistische Arbeit, zu der auch der Schutz der Quellen gehört, werde in Mitleidenschaft gezogen. "Der Gesetzesentwurf der EU-Kommission ist untauglich und freiheitsfeindlich."

Markus Reuter von netzpolitik.org sieht das ähnlich. Die Chatkontrolle stelle anlass- und verdachtslos alle Menschen unter Generalverdacht und würde auf privateste Dateien zugreifen, so Reuter.

"Ich halte diese neue Form der Massenüberwachung für beispiellos, unverhältnismäßig und nicht vereinbar mit den Grundrechten in der Europäischen Union."

"Chatkontrolle beendet keinen Kindesmissbrauch"

Der Meinung ist auch der Chaos Computer Club (CCC) und fügt hinzu: "Das massenhafte Scannen greift nicht nur vertrauliche Kommunikation an ihren Grundfesten an, sondern wäre obendrein unwirksam". Kriminelle nutzten bereits heute Verbreitungswege, die von diesen Scans nicht betroffen seien und würden in Zukunft den Scans leicht entgehen, heißt es in einer Pressemitteilung.

Stefan Leibfarth vom CCC Stuttgart sagte im SWR Interview, die Chatkontrolle im Netz beende keinen Missbrauch von Kindern. Es sei sinnvoller, mehr Ressourcen in die Arbeit der Jugendämter vor Ort zu stecken, um gegen Kindesmissbrauch vorzugehen.

Netzexperte: Technik führt zum Ende der privaten Kommunikation

Die große Frage ist, wie die Plattformen die EU-Pläne umsetzen und gleichzeitig die Privatsphäre ihrer Kunden schützen sollen? Netzpolitik-Redakteur Reuter sieht derzeit zwei Wege, wie man das Projekt der EU-Kommission technisch verwirklichen kann. "Der eine Weg ist das so genanntes Client-Side-Scanning, bei dem auf dem Handy oder Computer der Bürger:innen nach bestimmten Dateien gesucht wird, bevor diese Dateien verschlüsselt versendet werden können", so der Netzexperte.

Diese Variante sieht der Chaos Computer Club extrem kritisch. "Das so genannte Client-Side-Scanning wäre ein Angriff auf jegliche vertrauliche Kommunikation", heißt es von den Computerexperten. Der Entwurf sehe vor, alle Kommunikationsinhalte direkt auf den Geräten zu untersuchen und im Verdachtsfalle auszuleiten.

Die EU-Kommission will alle Chatnachrichten durchleuchten. Völlig am Ziel vorbeigeschossen: Diese #Chatkontrolle ist als fundamental fehlgeleitete Technologie grundsätzlich abzulehnen https://t.co/txDOt8K07c

Die andere Variante zur Chatkontrolle ist laut Markus Reuter ein Eingriff in die Verschlüsselung, "also eine Hintertüre oder ein Generalschlüssel, mit dem die Kommunikation dann angesehen und durchsucht wird". Beide Techniken würden zu einem Ende der privaten Kommunikation führen, so Reuter. "Sie bieten zudem ein Einfallstor für Missbrauch und Ausweitung."

Bundesregierung uneinig beim Thema Chatkontrolle

Wie es jetzt nach dem Vorschlag der EU-Kommission weitergeht, dürfte auch von der Bundesregierung abhängen und die ist sich bei dem Thema nicht wirklich einig. SPD, Grüne und FDP versprechen im Koalitionsvertrag eigentlich "ein Recht auf Verschlüsselung". Digitalminister Volker Wissing (FDP) erklärte am Dienstag, allgemeine Chatkontrollen seien nicht hinnehmbar. "Wir brauchen einen geschützten Raum privater Kommunikation", erklärte der FDP-Politiker.

Es hat höchste Priorität, Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen und den Kampf gegen Missbrauchstaten sowie ihre Vermarktung mit Missbrauchsdarstellungen im Netz nochmals zu verstärken. Wir müssen die Täter und ihre Netzwerke mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolgen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hingegen gilt als Unterstützerin des EU-Vorhabens. Auf Twitter erklärte sie, es habe "höchste Priorität, Kinder vor sexualisierter Gewalt zu schützen" und "Täter und ihre Netzwerke mit allen rechtsstaatlichen Mitteln" zu verfolgen. Sie begrüße deshalb den Entwurf der EU-Kommission. Auch Wissing betonte, der Schutz von Kindern vor Missbrauch habe für ihn höchste Priorität. "Gleichzeitig müssen wir digitale Bürgerrechte schützen, dazu gehört ein Recht auf Verschlüsselung", betonte der Digitalminister.

Stefan Brink fordert als Datenschutzbeauftragter von Baden-Württemberg, dass die EU-Kommission den vorgelegten Entwurf insgesamt zurückzieht. "Sollte das Gesetz dennoch so verabschiedet werden, haben Klagen von Bürgerrechtlern dagegen sehr gute Erfolgsaussichten", so Brink.

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