Prozess um schweren sexuellen Kindesmissbrauch in Karlsruhe (Foto: IMAGO, Christian Ohde)

Kindesmissbrauch und Kinderpornografie

Missbrauchskomplex "Wermelskirchen": Auch vier Verdachtsfälle in Baden-Württemberg

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Oliver Linsenmaier
Bild von Oliver Linsenmaier (Foto: privat)

Das Ausmaß des Kindesmissbrauchs in Wermelskirchen (NRW) erschüttert viele Menschen. SWR-Recherchen zeigen, dass der Täter Verbindungen nach BW hatte. Auch hier wird ermittelt.

Zwölf teilweise extrem junge Kinder soll ein vermeintlicher Babysitter aus Wermelskirchen in Nordrhein-Westfalen zwischen 2005 und 2019 sexuell missbraucht haben. Außerdem wurden auf seinem Computer und mehreren Festplatten riesige Datenmengen an Kinderpornografie und Missbrauchsdarstellungen gefunden. Um nicht den Überblick zu verlieren, führte der 44-jährige Beschuldigte Listen, die in der Folge bei der Ermittlung von zahlreichen weiteren Tatverdächtigen halfen. Insgesamt wird beziehungsweise wurde zunächst gegen 70 Personen in ganz Deutschland ermittelt. 33 Opfer konnten bislang identifiziert werden.

Wie das Landesinnenministerium dem SWR bestätigte, hat die Staatsanwaltschaft Köln auch vier Verfahren nach Baden-Württemberg abgegeben. Dabei geht es um Verdachtsfälle in Freiburg, Pforzheim, Rottweil und Ellwangen. Allerdings ist jeder Fall ganz unterschiedlich zu bewerten.

Verdacht des sexuellen Missbrauchs im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald

So führt die Staatswanwaltschaft Freiburg ein Ermittlungsverfahren gegen einen 49 Jahre alten Mann aus dem Kreis Breisgau-Hochschwarzwald. Es bestehe sowohl der Tatverdacht des sexuellen Missbrauchs von Kindern als auch des Besitzes von Kinderpornografie, teilt Martina Wilke, Erste Staatsanwältin und Pressesprecherin in Freiburg, auf SWR-Anfrage mit.

Dabei hielt der 49-Jährige offensichtlich Kontakt zu dem Beschuldigten aus Wermelskirchen. "Ein Tatverdacht gegen den hiesigen Beschuldigten ergab sich im Rahmen von Chatauswertungen aus dem Verfahren Wermelskirchen", schreibt Wilke. Ob dabei auch kinderpornografisches Material ausgetauscht wurde, wollte ihr Kollege Ralf Langenbach auf Nachfrage aus "Gründen des Opfer- und Persönlichkeitsschutzes" nicht sagen.

Verfahren der Staatsanwaltschaft Freiburg kurz vor dem Abschluss

Auch weitergehende Fragen zum Verdacht des Kindesmissbrauchs und einer möglichen Anklage, wurden nicht beantwortet. Klar ist aber, dass sich der Beschuldigte aktuell nicht in Untersuchungshaft befindet und sich keine weiteren Tatverdächtigen aus dem Verfahren heraus ergeben haben. Auch befinde es sich bereits in der Abschlussphase, so Wilke.

Ermittlungen wegen Besitz von Kinderpornografie im Kreis Freudenstadt

Derweil ermittelt die Staatsanwaltschaft Rottweil gegen einen Mann aus dem Kreis Freudenstadt. Ihm wird der Besitz "von strafrechtlich relevanten pornografischen Inhalten" vorgeworfen, wie Staatsanwältin Sama Martina auf Anfrage mitteilt. Bislang sei es zu keiner Festnahme gekommen.

In welcher Verbindung der Tatverdächtigte zu dem Beschuldigten aus Wermelskirchen stand und welchen Kontakt er hatte, kann Martina nicht sagen. Auch weitere Details zu dem Verfahren nennt sie mit dem Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht.

Tatverdächtige aus dem Enzkreis bereits in anderem Verfahren verurteilt

Einen Schritt weiter ist die Zweigstelle Pforzheim der Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Auch hier wurde ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Köln übernommen. Allerdings wurde es bereits wegen des sogenannten Strafklageverbrauchs eingestellt, wie Staatsanwalt Tobias Wagner auf Anfrage mitteilt. Konkret bedeutet das: Der Tatverdächtige wurde schon in einem anderen Verfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie verurteilt. Zuvor hatte es aber Verbindungen zu dem mutmaßlichen Täter aus Wermelskirchen gegeben.

So soll der 51 Jahre alte Mann aus dem Enzkreis ein Bild mit kinderpornografischem Inhalt von dem Tatverdächtigen aus NRW erhalten haben. Dieses wurde laut Wagner aber spätestens 2015 geschickt und befand sich damit wohl auch in der Folge in seinem Besitz.

Verdacht des Kindesmissbrauchs bestätigte sich nicht

Im Juli 2020 wurde die Wohnung des heute 51-Jährigen durchsucht, weil er im Verdacht stand, seine eigene Tochter missbraucht zu haben. Dieser Verdacht konnte zwar nicht bestätigt werden, doch wurde bei den Durchsuchungen kinderpornografisches Material auf seinem Computer gefunden - darunter aller Wahrscheinlichkeit auch das Bild von dem Beschuldigten aus Wermelskirchen. Das kann Wagner aber nicht genau sagen, doch spiele es juristisch gesehen ohnehin keine Rolle mehr.

Denn ein Jahr später, im Juli 2021, wurde der Mann aus dem Enzkreis wegen des Besitzes von Kinderpornografie zu einer Bewährungsstrafe von vier Monaten verurteilt. Damit wurde aus juristischer Sicht auch der Besitz des Bildes aus dem Komplex Wermelskirchen bestraft, weswegen das Verfahren nun eingestellt werden musste. "Das ist nicht mehr verfolgbar, weil es schon Gegenstand eines Verfahrens unabhängig von Wermelskirchen war", sagt Wagner.

Verfahren der Staatsanwaltschaft Ellwangen bereits eingestellt

Ebenfalls abgeschlossen beziehungsweise eingestellt wurde das bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen anhängige Verfahren. Der ehemals Beschuldigte lebt im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft Ellwangen, die für den Ostalbkreis und Teile der Kreise Heidenheim und Schwäbisch Hall verantwortlich ist.

Es habe sich kein Anfangsverdacht gegen den Mann ergeben, erklärt Klaus Schwichtenberg, stellvertretender Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Ellwangen, auf Anfrage. "Der Beschuldigtenstatus ergab sich allein aus einer digitalen Liste eines von der Staatsanwaltschaft Köln gesondert verfolgten Beschuldigten, auf der der Skype-Kontakt des Beschuldigten gespeichert war", teilt Schwichtenberg mit.

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Kein Chatkontakt und keine ausgetauschten Dateien

Zu einem Chat-Kontakt oder gar dem Austausch von kinderpornografischen Dateien sei es zwischen den beiden Männern aber nicht gekommen. Zudem sei die Liste zuletzt Anfang 2015 geändert worden, erklärt Schwichtenberg: "Selbst wenn es zu oder vor diesem Zeitpunkt zu einem Austausch etwaiger kinder- oder jugendpornografischer Inhalten gekommen wäre, wäre bezüglich dieser Taten bereits die Verfolgungsverjährung eingetreten."

Diese habe im Jahr 2015 für den Besitz von Kinderpornografie noch fünf Jahre betragen - heutzutage sind es zehn Jahre. Damit bestehe ein Verfahrenshindernis, weshalb weitere Ermittlungen nicht geführt werden könnten, so Schwichtenberg. Daher sei das Verfahren gegen den Mann eingestellt worden.

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