Soldaten in Kasachstan (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/TASS | Valery Sharifulin)

Instabiler Handelspartner

Unruhen in Kasachstan: Auswirkungen auf wirtschaftliche Beziehungen zu Baden-Württemberg?

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Senada Sokollu

Menschen werden getötet - Grundrechte sind in Gefahr. Kasachstan kommt seit gut einer Woche nicht zur Ruhe. Hat das auch Auswirkungen auf die Beziehungen zu Baden-Württemberg?

"Das Internet und die Mobiltelefone funktionieren nicht. Nur über das Festnetztelefon konnte ich heute meine Freunde und Familie anrufen. Das Internet wird für ein paar Stunden freigeschaltet und dann wieder blockiert", schildert eine Frau aus Almaty die momentane Lage in der kasachischen Millionenstadt. Sie möchte anonym bleiben. Es sei sicherer zu Hause zu bleiben. "Wir verlassen das Haus nicht. Wir hören in der Ferne Schießereien aus der Innenstadt. Das Problem sind auch die leeren Supermärkte. Die Regale sind leer geräumt. Wir backen Brot zu Hause und rationieren, weil es kaum noch was zu kaufen gibt", sagt sie im Gespräch mit dem SWR.

Auch auf Twitter posten Familienangehörige aus Deutschland immer wieder, dass ihre Verwandten in Kasachstan nicht erreichbar seien. Seit fast einer Woche halten die Unruhen in der Republik Kasachstan in Zentralasien nun schon an. Vor allem in Almaty gibt es teils gewaltsame Proteste mit Toten, Verletzten, Massen-Festnahmen. Das Militär geht gewaltsam gegen Demonstranten vor. Ein von Russland geführtes Militärbündnis entsandte Soldaten in die Ex-Sowjetrepublik.

Leute, die meinen, dass wir in einer Diktatur leben, empfehle ich einen Besuch bei meinem Vater, der grad in #Kasachstan lebt und bei dem einfach mal das ganze Internet abgestellt wurde, damit sich die Demonstranten nicht organisieren können.

Honorarkonsulin in Baden-Württemberg: "Situation stabilisiert sich"

Die Situation in Kasachstan sei nun wieder stabil, außer in Almaty, erklärt Dorothea Haller-Laible, Honorarkonsulin von Kasachstan in Baden-Württemberg im Gespräch mit dem SWR. "Almaty ist der Hauptbrennpunkt der Unruhen. Es wird unterschieden zwischen zwei Arten von Demonstranten. Die Demonstranten, die ihre Ziele haben, die etwas in dem Land verändern wollen. Diese Demonstranten brauchen keine Bewaffnung", weiß die Honorarkonsulin aus internen Quellen der kasachischen Botschaft.

Dann gebe es noch die sogenannten "Terroristen" - die "Bewaffneten", die auf die offiziellen Gebäude losgehen, sagt die Honorarkonsulin, die die kasachische Regierungsposition vertritt. "Auf den Flughafen, das Rathaus, die Polizei." In der deutschen Presse werde außerdem der Schießbefehl des kasachischen Präsidenten Tokajew als ein Schießbefehl gegen alle Demonstranten ausgelegt, so Haller -Laible. "Die sogenannten Terroristen sind noch auf der Straße, sie sind bewaffnet und auf sie sind die Waffen gerichtet", betont die Honorarkonsulin. Auch das Internet und die Telefone seien aus "Sicherheitsgründen" abgestellt worden. "Weil sich die Terroristen daran bedienen. Nun werden die Verbindungen streckenweise wieder geöffnet", so Haller-Laible weiter.

Scharfe Kritik aus Deutschland

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat den Schießbefehl des kasachischen Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew scharf verurteilt. Wer ohne Vorwarnung auf Demonstranten schießen lasse, um sie zu töten, habe den Kreis zivilisierter Staaten verlassen, so Buschmann auf Twitter. Zuvor hatte Tokajew den Schießbefehl im Staatsfernsehen bekanntgegeben.

"Dass ohne Vorwarnung auf Demonstranten geschossen werden kann, das ist unfassbar", kritisiert auch Elisabeth Cheauré, Seniorprofessorin am Slavischen Seminar und Vorsitzende des Zwetajewa-Zentrums für russische Kultur an der Universität Freiburg, im Gespräch mit dem SWR. Die Unruhen seien eine kleine, noch nicht abschätzbare Revolution von unten, erklärt Cheauré. "Aber auch ein Versuch einer Einlösung von Grundrechten in Bezug auf das Demonstrationsrecht. Dieses Recht wird nicht nur bedroht, sondern massiv niedergeschlagen. Dass hier die Regierung von Kasachstan dann noch Hilfe aus Russland erbittet, das ist ein Skandal. Aber das kommt natürlich den russischen Machtinteressen sehr entgegen", so die Professorin. Das alles habe sie an den Einmarsch der sowjetischen Armee in die Tschechoslowakei im Jahr 1968 erinnert, betont Cheauré.

Soldaten in Kasachstan (Foto: dpa Bildfunk, picture alliance/dpa/TASS | Valery Sharifulin)

Kasachstan: Wirtschaftliches Potential für Baden-Württemberg

Insgesamt sind etwa 480 deutsche Unternehmen in Kasachstan aktiv. Unter anderem auch das Unternehmen HeidelbergCement aus Baden-Württemberg. Das deutsche Investitionsvolumen liegt bei 1,3 Milliarden Euro, schätzt der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. In den ersten zehn Monaten 2021 wuchsen die kasachischen Exporte nach Deutschland um knapp 47 Prozent auf drei Milliarden Euro. Die deutschen Exporte dorthin schrumpften gleichzeitig um mehr als sechs Prozent auf 1,1 Milliarden Euro.

Kasachstan gehöre nicht zu den wichtigsten Handelspartnern für Baden-Württemberg, aber das Land biete viel Potential, so Barbara Effenberger, Abteilung Außenwirtschaft und Dienstleistungen bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. "Auch bei Unternehmensreisen nach Kasachstan herrscht immer ein reger Andrang. Das Interesse dürfte in den kommenden Jahren zunehmen, Kasachstan wird sich weiterentwickeln und dürfte damit auch für baden-württembergische Unternehmen interessanter werden. Das Land ist reich an Rohstoffen, vor allem Erdöl, Erdgas und Seltene Erden."

Auswirkungen der Unruhen auf wirtschaftliche Beziehungen

Die wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands mit Kasachstan, aber auch die wissenschaftlichen - man denke an die Deutsch-Kasachische Universität - seien erstaunlich eng, sagt auch Professorin Cheauré. "Deutschland hat hier auf stabile politische Strukturen gesetzt. Unruhen sind immer schlecht für die Wirtschaft", so die Professorin.

Auch Honorarkonsulin Haller-Laible betont: "Kasachstan ist für Deutschland ein sehr, sehr wichtiger Handelspartner. Kasachstan hat durch die zentrale Lage Verbindungen zu China und zu Indien und große Wichtigkeit für unsere Wirtschaft in Deutschland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Firmen wie HeidelbergCement von heute auf morgen ihre Zelte abbrechen", so die Honorarkonsulin. Deutschland brauche Kasachstan wegen Öl und Gas, fügt sie hinzu.

Ein Ende der Unruhen in Sicht?

"Ich denke, dass die Unruhen bald zu Ende sind. Denn wenn schon der größte Teil von Kasachstan wieder stabil ist, ist das ein gutes Zeichen. Außerdem ist die kasachische Regierung daran interessiert, dass die Industrie und die Leute im Land wieder in Ruhe arbeiten können", betont Haller-Laible.

Für die Wirtschaft wie die Wissenschaft sei es immer wichtig, dass die Verhältnisse stabil sind, so Professorin Cheauré. "Man kann nur hoffen, dass es hier zu politischen Lösungen kommt - aber ich bin nicht sehr optimistisch."

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