Kein Tag ohne beängstigende Nachrichten: Nach zermürbenden zwei Jahren in der Corona-Pandemie kommt jetzt der Krieg in der Ukraine hinzu. Das beschäftigt sehr viele Menschen: Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage befürchten 69 Prozent der Deutschen, die NATO könnte in den Krieg hineingezogen werden – und in der Folge auch die Bundeswehr. Was gegen die Kriegsangst hilft, haben drei Ulmer Experten dem SWR gesagt.
Telefonseelsorge anrufen, wenn niemand da ist
Das Reden steht als Mittel gegen Angst ganz oben auf der Liste. Da sind sich die Experten einig. Offen und ehrlich die Ängste und Befürchtungen an- und aussprechen. Es hilft, sich jemandem anzuvertrauen. Wer niemanden hat, um sich die Angst von der Seele zu reden, kann anonym bei der Telefonseelsorge Ulm/Neu-Ulm anrufen. Dort hört das Team um die Leiterin Claudia Köpf "einfach mal zu" und gibt "Orientierung für den Moment", erzählt sie.
Bei 15 Prozent aller Anrufe geht es derzeit um den Ukraine-Krieg. Sonst sind die Themen dort eher Depression, Beziehungsprobleme oder auch Einsamkeit.
"Bei älteren Menschen findet eine Art Retraumatisierung statt. Die kennen Krieg aus ihrer Kindheit."
Besonders hart trifft die Angst Menschen, die bereits durch ein früheres Trauma vorbelastet sind oder unter Depressionen leiden, erläutert Claudia Köpf. Wichtig sei, die Angst wirklich ernst zu nehmen und sie nicht einfach wegzureden. Gerade die ältere Generation reagiere häufiger traumatisch auf Kriegsnachrichten, da längst verdrängte Eindrücke und Erfahrungen wieder aktiviert würden. Auch wer den Zweiten Weltkrieg oder die anschließende Flucht selbst nicht miterlebt habe, könne durch die Erzählungen von Eltern und Verwandten unter deren traumatischen Erlebnissen leiden.
Zukunftsängste bei jungen Menschen nehmen zu
Jüngere Anruferinnen und Anrufer sorgen sich um ihre Zukunft. Konkret fürchten Menschen unter 30 die Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auf ihren Arbeitsplatz, sagt Claudia Köpf.
Ein Universalrezept gegen die durch den Krieg ausgelösten Ängste gibt es nicht, sagt der Leiter der psychologischen Familien- und Lebensberatung der Caritas Ulm/Alb-Donau, Andreas Mattenschlager. Er rät zu bewusstem Medienkonsum. Manchmal sei es sinnvoll, Kriegsbildern in den Nachrichten aus dem Weg zu gehen.
"Es sind auch Bilder, die für einen kurzen Moment veranschaulichen, was Realität ausmacht. Sie helfen jemandem mit Kriegsängsten aber wenig."
Offen mit Kindern über den Krieg sprechen
Mit Kindern über den Krieg zu reden ist besonders schwierig, denn erst ab zehn Jahren können sie mit Medien richtig umgehen. Laut dem Therapeuten und Leiter der Traumaambulanz im Ulmer Uniklinikum, Thorsten Sukale, brauchen Kinder Sicherheit und Orientierung. "Schauen Sie mit ihren Kindern gemeinsam eine Nachrichtensendung und ordnen sie dann die Bilder ein", erklärt Sukale.
"Bei Kindern unter zehn Jahren kann der Eindruck entstehen, dass der Krieg vor ihrer eigenen Haustür stattfindet."
Ganz wichtig sei es, den Krieg nicht zu tabuisieren, sondern den Kindern die Dinge rund um die Ukraine zu erklären. Oft hätten Kinder und Jugendliche genau wie Erwachsene, ein Gefühl der Ohnmacht. Es könne helfen, mit den Kindern etwas zu unternehmen, um einen eigenen Beitrag gegen den Krieg oder die Not zu leisten, sagt Sukale. Er selbst habe beispielsweise mit seinen Kindern Waffeln gebacken und verkauft. Der Erlös soll Kindern in der Ukraine zugutekommen.