Stefan Wallaschek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Flensburg. Am Montagabend (24. Januar) spricht er über den Solidaritätsbegriff in einer Online-Veranstaltung der Volkshochschule Aalen.
SWR: Herr Wallaschek, sowohl die Impfgegner als auch die Impfbefürworter fordern Solidarität ein. Wer darf denn die Solidarität für sich beanspruchen?
Wo endet diese Solidarität denn?
Stefan Wallaschek: Irgendwann ist eine Solidaritätsbereitschaft erschöpft. Wir kennen das aus vorhergehenden Krisen: Migrations- oder Euro-Krise. Wenn wir ständig aufgefordert werden, Solidarität auszuüben, folgt natürlich irgendwann auch ein: 'Okay, ich kann nicht mehr.' Das ist zum Beispiel in der Pandemie bei Familien der Fall, die Homeschooling betreuen müssen, die auch die Kinder zu Hause haben, die auf einmal zu Hause arbeiten müssen. Und dann gibt es natürlich die Fragen: Wann hört das auf? Was macht die Bundesregierung, um das zu kompensieren? Irgendwann ist die Kapazität von allen erschöpft.
Mal so allgemein gesprochen, ist man leichter bereit, solidarisch zu sein, wenn der eigenen Körper unversehrt bleibt. Das war immer so eine Grenze, diese körperliche Unversehrtheit im solidarischen Gedanken. Nun sagen beide Seiten, diese Grenze wird verletzt.
Das ist eine gewisse Abwägung, die man treffen muss, weil es nicht nur darum geht, dass man eine Impfung bekommt. Es geht auch um spätere Folgen für Kinder, von denen viele nicht geimpft werden können, oder um ältere Menschen, die schwer daran erkranken. Auch die Ungeimpften haben ein Interesse, dass die Pandemie aufhört. Damit müsste man gemeinsam stehen. Es ist generell wichtig, Aufklärung zu bieten, um eine Solidaritätsbereitschaft überhaupt herzustellen.
Sie beobachten sicherlich, diese Montags- und Freitagsdemonstrationen für und gegen die Corona-Maßnahmen. Haben Sie sich mal mit dem Gedanken auseinandergesetzt, was denn passiert, wenn dieser Solidaritätsgedanke einfach zu Ende ist? Wenn einfach alle beiden Seiten sagen, so jetzt ist Schluss.
Solidarität kann nicht beendet werden. Eine gewisse Solidarität ist eigentlich immer da, sonst würde die Gesellschaft zusammenbrechen. Sie ist nicht nur in einem Thema zu sehen, sondern auch in anderen Bereichen. Und daran jetzt alles festzumachen ist, glaube ich, zu voreilig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Solidarität einfach aufhört. Das kann man sich kaum vorstellen, auch wenn man sich vorhergehende Krisen anschaut. Die Frage ist eher: Wie lösen wir den Konflikt? Und vielleicht wird auch der Solidaritätsbegriff überstrapaziert. Vielleicht geht es einfach um andere, neue Regeln, neue institutionelle Arrangements, um das zu schaffen. Bei dem Begriff Solidarität bleibt man nicht neutral, sondern fühlt sich angesprochen.
Haben Sie denn eine Idee, wie diese Konflikte enden könnten?
Das Patentrezept habe ich natürlich nicht, das muss ich eingestehen. Was wichtig ist, ist einerseits klare Regeln zu kommunizieren und Menschen, die sich bisher stark eingeschränkt haben, klare Auswege zeigen. Und da ist die Politik gefragt, aber auch die Zivilgesellschaft, um neue Formate zu finden. Und das nicht nur in der Form, wie wir es im vergangenen Frühjahr hatten, dass man geklatscht hat für die Pflegerinnen, sondern eine klare Güterverteilung gibt. Etwa eine bessere Bezahlung im Krankenhaus oder im Pflegesektor, dass man den Leuten auch anderweitig entgegenkommt. Da ist die Politik gefragt, gemeinsam Regeln zu finden, um zu zeigen: Es gibt auch eine Solidarität von der Regierung zu den Bürgern zurück. Es ist nicht nur eine Last, die die Bevölkerung trägt.